Bronja steuerte nun auf eine scheinbar massive Wand zu, die mit einer silbrig gestreiften Seidentapete bedeckt war. Mit der flachen Hand drückte die Zofe gegen eine kaum sichtbare Wölbung, und vor ihr glitt eine Tapetentür auf. Sie traten hindurch und durchquerten einen fast kahlen Vorraum, dessen Fenster mit schwarzen Tüchern verhängt waren.
Endlich blieb Bronja vor einer schwarz lackierten Tür stehen. Sie klopfte an und lauschte, bis von drinnen ein ungnädiges »Nun denn!« ertönte. Zaghaft zog sie die Tür auf und zirpte, dabei zu einem Knicks zusammensinkend: »Gnädige Frau, wie befohlen - Madame Markéta.«
Der Saal, in den Markéta eintrat, schien eine unbestimmte Mitte zwischen Kapelle und Audienzraum einzunehmen. Auch hier waren die Fenster mit dunklen Tüchern zugehängt, sodass die Sonne nur verdüstert durchdringen konnte. An der Stirnwand hing ein riesiges Kreuz aus schwarzem Holz, davor stand ein Bronzebecken, aus dem silbrige Schwaden aufstiegen - die Quelle jenes süßlichen Geruchs. Den Boden bedeckten steinerne Quadrate in Schwarz und Weiß, angeordnet wie auf einem riesenhaften Schachbrett. In der Mitte dieses Feldes stand ein Dutzend schlichter Stühle von schmuckloser Strenge rings um einen schwarzen Marmorsockel, ansonsten war der gewaltige Raum gänzlich kahl. Auf den Stühlen saßen die »heiligen Weiber«, die Markéta vorhin schon gesehen hatte, als sie singend und Weihrauch verspritzend durch den unteren Burghof gewandelt waren. Alle zwölf Nonnen saßen ihr zugewandt, eingemummt in ihre schwarzen Kutten, und sie alle blickten sie so kalt und strafend an, als ob sie die verworfenste Sünderin auf Erden wäre.
»Kommt nur näher - Senorita.«
Erst jetzt richtete Markéta ihr Augenmerk auf die schmale Dame, die inmitten des heiligen Kreises auf dem Sockel thronte. Das ist Johanna?, dachte sie.
Die Waldstein - denn wer sonst sollte die Thronende sein -hob eine vor Juwelen glitzernde Hand und winkte sie mit Zeige-und Mittelfinger herbei. »Lasst Euch betrachten - solange Ihr noch halbwegs ansehnlich seid.«
»Johanna?« Sie trat langsam näher, über schwarze und weiße Riesenfelder stelzend und Julius’ Verlobte ungläubig musternd. Der süßliche Geruch aus dem Bronzetopf benahm ihr fast den Atem. »Ihr seid Johanna von Waldstein?«
»Was erstaunt Euch daran so sehr?« Die Frau auf dem schwarzen Sockel hob strichdünne Augenbrauen.
»Ihr seid so ... jung«, sagte Markéta, dabei traf das Gegenteil sehr viel eher zu. Höchstens achtzehn Jahre mochte Johanna von Waldstein zählen, und doch begann sie in der Blüte ihrer Mädchenjahre bereits zu welken. Die scharfen Falten um ihren Mund verieten den galligen Charakter. Und dann die leise Schlaffheit gewisser Hautpartien, dachte Markéta, vorerst nur fürs Auge einer Baderin sichtbar, aber in kaum zehn Jahren würde Johanna von Waldstein einer Vogelscheuche ähneln: die Gestalt allzu dürr, scheinbar fleischlos, die Haut an Hals und Wangen lose herabhängend, zu schweigen von heikleren Partien. Kein Wunder, dass Julius vor derart herben Reizen zurückschreckte, sagte sich Markéta und verspürte ein Kribbeln in der Bauchgegend, als Julius’ Gesicht vor ihrem inneren Auge erschien, sein funkelnder Blick, die vom Tokaier geröteten Lippen.
»Aus welchem Grund sollte Graf Julius’ Verlobte ein altes Weib sein?« Johanna warf den Kopf zurück. »Ahmt er nicht in allen Belangen seinem kaiserlichen Vater nach? Aber woher soll ein Dämchen wie Ihr wissen, wem Rudolf versprochen ist!« Und sie stieß ein krähenhaftes Lachen aus, das die Falten um ihren Mund noch schärfer hervorkerbte.
»Der Kaiser ist mit der Infantin Isabella von Spanien verlobt«, gab Markéta zurück, »das weiß in ganz Böhmen jedes Kind, Madame.«
Sie mahnte sich zur Mäßigung, um den Hass der Dame nicht noch zusätzlich zu schüren. Am besten würde sie selbst so wenig wie möglich reden.
Mit vogelhafter Starre sah Johanna von der Höhe ihres Thronsessels auf sie herab. Tatsächlich war sie in strenges Schwarz gewandet, nach der allerneuesten, allerkatholischsten Mode. Eine weiße Spitzenhaube verbarg nahezu gänzlich ihr schwarzes Haar. Aus dem ebenso blendend weißen Stehkragen spähte ein blasses Gesicht mit spitzem Kinn und dunklen Augen hervor. »Don Julius ist ein Mann«, sagte Johanna endlich, in einem Tonfall, der unerfreulichen Feststellungen vorbehalten schien, »da sind gewisse Dinge wohl unvermeidlich, zumindest in jüngeren Jahren.«
Ihre Blicke strichen Markétas Gestalt hinab, über Brüste, Bauch und Beine, und Markéta empfand, wie derb ihre Leiblichkeit wirken musste, mit den Augen der kargen Dame besehen.
»Wenn Julius in allem seinem Vater nachahmt, wie Ihr sagt, Johanna«, erwiderte sie und ahnte schon im Voraus, dass sie ihre Worte bereuen würde, »welche Rolle kommt dann Euch in seinem Leben zu - und welche mir?«
Die Waldstein beugte sich noch weiter auf ihrem Prunksessel vor und kniff die Augen zusammen. Mehrere der heiligen Weiber waren von ihren Stühlen aufgesprungen und machten Miene, sich auf Markéta zu stürzen, aber sie nahm die Nonnen nur am Rande wahr. Ihr Blick haftete auf dem totenblassen Krähengesicht, das mit zitternder Starre über ihr schwebte.
»Ich jedenfalls«, fuhr sie fort, ebenso betont und leise wie zuvor, »ich lieb Don Julius von Herzen, Madame - jede Faser seines Wesens lieb ich, sein Lachen und seine Launen, seine Leidenschaft und seine Zärtlichkeit.« Das hagere Gesicht über ihr verzog sich wie in jähem Schmerz. »Ergeht’s Euch ebenso, Madame?«, fügte sie hinzu. »Dann mag Don Julius zwischen uns entscheiden.« Sie trat noch einen Schritt näher, so dass sie sich zwischen zwei Nonnen hindurchdrängen und den Kopf in den Nacken legen musste, um der Waldstein weiter in die Augen zu sehen. »Wenn nicht, Johanna, wär’s besser - für Euch und für ihn -, wenn Ihr möglichst bald nach Prag zurückreist.«
Für einen scheinbar endlosen Moment herrschte völlige Stille, dann stieß die Waldstein ein heiseres Lachen aus. Markéta fuhr zusammen. Mit hastigen Schritten wich sie von Johanna und den heiligen Weibern zurück.
»Was für eine Närrin Ihr seid.« Alles an Johanna schien dünn und spitz, selbst ihre Stimme, die wie mit Nadeln in Markétas Gehörgänge fuhr. »Meint Ihr wirklich, nur weil der brave Maître diesen siebenbürgischen Papierfetzen herbeigezaubert hat, könnt Ihr einer von Waldstein gefährlich werden?« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, und wieder verzerrte sich ihr Gesicht wie vor Ekel oder Schmerz. »Genug jetzt, die Angelegenheit wird enden wie die Affärchen vor ihr. Daran zu zweifeln wäre töricht, Senorita - und nun lauft davon, solange Ihr noch laufen könnt!«
Hatte Johanna ihr eben tatsächlich gedroht, und womit denn um Himmels willen? Oder verlier jetzt ich den Verstand?, dachte Markéta und sah ungläubig zu ihrer Widersacherin hinauf. Doch ehe sie noch etwas erwidern konnte, begannen mit einem Mal alle zwölf heiligen Weiber mit schallenden Stimmen zu singen. Auch die Waldstein stimmte sogleich in die Litanei zum Lob ihres gütigen Gottes ein, während sie weiter aus schrägen Vogelaugen zu ihr herabspähte.
Markéta verharrte noch einige Augenblicke, dann wandte sie sich um und stelzte mit weichen Knien aus der Kapelle. Wieso hab ich nur mein Maulwerk nicht bezähmt?, dachte sie. Aber wer weiß, ob der Waldstein sonst die sonderbare Drohung entschlüpft wär?
Warum sollt ich bald nicht mehr laufen können?, fragte sich Markéta noch immer, als sie hinter Bronjas schaukelnden Hüften abermals die Flucht der Frauengemächer durchmaß. Etwa weil’s mir demnächst wie jenem Mariandl ergehen soll? Aber was weiß die Waldstein von dieser Kabale - und wie kommt sie dazu, mir mit dem Schlachtbeil zu drohen?