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»Einen neuen Bären will ich haben, Maître, pah - eine Bärenfamilie, bis Samstag, ich befehl’s!«

Er hielt inne und weidete sich an d’Alemberts Qualen. Der kleine Mann saß so starr auf seiner Stuhlkante, als fürchtete er, sich mindestens mit der Beulenpest anzustecken, wenn er auch nur die Stuhllehne berührte, ganz zu schweigen von den Fellfetzen und Brocken rohen Fleischs, die auf Tisch und Boden verstreut lagen.

Der Geruch erinnerte allerdings auch Julius an gewisse Ausdünstungen, die ihm vor Jahren mal in die Nase gefahren waren. Damals hatte der Maître ihn gezwungen - »aus erzieherischen Beweggründen« -, in Prag ein Armenhospiz aufzusuchen, wo die Siechen in langen Reihen im Krankensaal lagen, mit offenen Wunden und Blumenkohlgeschwüren, an denen sich die Fliegen gütlich taten.

»Ich will sehen, was sich tun lässt, Euer Liebden«, sagte d’Alembert.

Er sieht erschöpft aus, dachte Julius, wenn auch bei weitem nicht so abgezehrt wie von Breuner oder gar wie der Astrolog von Sargenfalt, der sich »zerreißender Brustschmerzen halber« von dieser Besprechung hatte dispensieren lassen. Aber morgen allerspätestens muss auch er mir Rede und Antwort stehen, sagte sich Julius, mir und Markéta.

Er sah in die Gesichter seiner Burgobern und genoss den Abscheu in ihren Mienen, Ekel und Angst, die sie geflissentlich vor ihm zu verbergen suchten. Mit Vorbedacht hatte er sie genötigt, sich hier im Präparationsraum einzufinden und nicht etwa nebenan im Audienzsaal; dabei hatte der Maître regelrecht gebettelt, ihm den Gestank von Aas und Salpeter zu ersparen.

An den Wänden hingen noch eine Hand voll altersdunkler Brustbilder, die weitere der offenbar zahllosen Rosenberger Ahnen zeigten, aber alle Sessel und Teppiche, Vitrinen und Schränke voll kauziger Kunst und plundriger Wunder hatte Oberstkämmerer von Hasslach tatsächlich binnen einer Nacht in den Maskensaal geschafft. Also hatten er und Obersthofmeister d’Alembert, Haushofmeister von Breuner und Medikus von Rosert sowie Oberststallmeister Skraliçek auf Schemeln Platz nehmen müssen, rings um den riesigen Tisch verteilt, auf dem der weiße Hirsch in einem Lager aus Stroh und Lumpen lag, als ob er friedlich schliefe.

Einzig er selbst, Don Julius, Graf von Krumau, thronte in einem scharlachroten Sessel, auf der hinteren Seite des Tisches; zu seiner Rechten Markéta da Ludanice, die heute gleichfalls ein wenig angegriffen wirkte.

Wie sonderbar, dachte Julius, je wohlgemuter ich mich fühle, umso mehr scheint alles um mich herum zu ermatten. Er nahm eine Hand voll Stroh und stopfte sie behutsam in den klaffenden Unterbauch des Hirsches. »Der Bärenfänger und sein Sohn«, sagte er, den Maître scharf in den Blick fassend, »haben mir versichert, dass sie über Nacht weitere Bestien herbeischaffen könnten. Robse und Hielo heißen die roten Kerle - her mit ihnen, eh’ sie sich wieder in die Büsche schlagen.« Und er beugte sich vor, nahm die Messingglocke und schüttelte sie so wild wie heute früh das Seil am Nasenring des Bären.

Beim grellen Klang der Glocke fuhr von Breuner auf seinem Schemel zusammen. Seine lange Elendsgestalt straffte sich, er blähte die Backen und presste die Lippen zu einem bläulichen Strich; doch wie jedes Mal sprengte der Hustenreiz seinen Mund und dröhnte urgewaltig hervor.

»Reiß er sich zusammen, Breuner, sonst schick ich ihn zu Kasimir«, sagte Julius mit einem Augenzwinkern zu von Rosert hinüber, dessen Schädel wie ein Lampion leuchtete. »Der Medikus hat doch sicher noch ein Bettchen bei der Leich’ des falschen Homunkel frei?«

Er spürte, wie Markéta zu seiner Rechten zusammenzuckte, und legte ihr eine Hand auf den Schenkel; eine Geste, die beruhigend wirken sollte, jedoch im Gegenteil eine bebende Unruhe im Umkreis seiner Hand entfachte.

»Keine Ursach’, nur eine Verkühlung, Exzellenz«, presste von Breuner hervor. »Am Samstag, wenn Ihre Kaiserliche Majestät auf Burg Krumau weilen, wird alles zu Eurer ...« - seine Rede explodierte in einem weiteren Hustenkrampf, dröhnend wie die Schusssalve, die heute Mittag den Bären niedergestreckt hatte.

Die Erinnerung trieb ihm die Hitze unter den Nabel. Seine Rechte fuhr Markétas Bein hinauf, wurde jedoch von ihrer kühleren Hand sanft, aber entschieden in die Schranken verwiesen.

»Wer von Euch am Sonnabend irgendwas verpatzt«, sagte Julius, »wird den Bären zum Fraß vorgeworfen.« Wieder sah er von einem zum andern und weidete sich an ihrer Furcht. Der bohnenstangenlange von Hasslach versuchte vergeblich, sich auf seinem Schemel zusammenzufalten, und Skraliçeks Trommelbauch erbebte, als hätte man tatsächlich mit dem Schlegel draufgeschlagen.

Apropos Trommel - abermals beugte sich Julius vor und ließ die Messingglocke bimmeln. »Berti!«, brüllte er. »Bring den roten Robse, aber hoppsa!« Nochmals schüttelte er die Glocke, dann knallte er sie auf den Tisch zurück, dass der Hirsch auf seinem Lumpenlager zusammenfuhr.

In die sich anschließende Stille hinein fragte d’Alembert: »Gilt das auch für Jurij Hezilow, Excellence!«

Julius zog es vor, lediglich die Stirn ein wenig zu runzeln. Für die anderen unsichtbar bewegte er seine Hand unter Markétas Fingern und knetete das feste Fleisch ihres Schenkels in der Hülle aus lachsfarbenem Samt.

»Wenn Hezilow am Samstag scheitert«, beharrte der Maître, »wenn ihm die Goldprobe missglückt - was soll dann mit dem Puppenmacher geschehen?«

Julius sah ihn an, die weiße Spottmaske, die seit jeher über ihm geschwebt war, und mit einem Mal wurde ihm trüb zumute. Rasch wie Blitze zuckten ihm Bilder durch den Kopf, die er nur allzu gern aus seiner Erinnerung verbannt hätte, aber sie ließen sich nicht ausmerzen, so wenig, wie von Breuner seinen Husten verbeißen konnte. Also blickte er in d’Alemberts weiß geschminkte Fratz wie in ein Labyrinth aus Spiegeln, die immer nur ihn selbst zeigten: als Knaben von drei, sieben, dreizehn Jahren, immer mit düsterem Gesicht, die Stirn gerunzelt, den Kopf trotzig gesenkt, immer allein. In riesigen Sälen, endlosen Fluren, auf dem Fechtboden oder zu Pferde, jedenfalls stets unter der Fuchtel des unerbittlichen Maître, der ihn mit Säbel und Degen so gewandt und elegant wie mit seinem Stöckchen zu dirigieren und zu demütigen, anzutreiben und zu strafen verstand.

»Zu den Brummbären«, sagte Julius endlich, »das gilt für jeden, auch für den magischen Magister. Aber er wird nicht scheitern, ich weiß es.«

Endlich trat sein Kammerdiener Robert in den Saal, gefolgt vom feuerhaarigen Hünen Robse und dessen schmächtigem Sohn Hielo, der immer noch die Trommel vorm Bauch trug. Der Bärenfänger wusste nicht, wohin mit seinen riesenhaften Händen, mal verschränkte er die Arme vor der Brust, dann wieder ließ er sie erdwärts hängen; endlich schob er die Hände in den Hosenbund.

»Drei Tage, Robse«, sagte Julius, »dann bringst du mir neue Bären, eine ganze Familie, hörst du?«

Der Fänger nickte, dass sein rotes Bartgezottel vorm Brustkasten zitterte.

»Brummbärvater, Brummbärmutter und so viele Kinder, wie sie halt in die Welt gesetzt haben.« Er knetete Markétas Bein, fast ohne es zu bemerken. »Bis Donnerstagabend, kein Augenzucken später, sonst sperr ich dich und deine Leute in den Graben.« Einen Moment lang malte er sich’s aus, der Gedanke gefiel ihm. »Dann halten wir euch als Bären, Rotbären statt Braunbären, Ringe durch die Nasen, verstehst du mich?«

Der Riese dienerte und buckelte, dabei stieß er seinen Sohn Gehorsam heischend an, dass die Trommel bummerte. »Vier, Euer Herrlichkeit, wenigstens vier, bis übermorgen, glänzende Gnaden, spätestens bis übermorgen!«

»Dann scher dich davon, hoppsa, Robse!«

Der Befehl war noch nicht verhallt, da rannten die Bärenfänger schon aus der Tür.