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»Alles muss vollkommen sein«, sagte Julius, »wenn die väterliche Majestät mich besucht. Die besten Speisen werdet Ihr auftischen, Breuner, das Fürstenappartement lasst herrichten, Hasslach, mit der Ehrenkompanie, Skraliçek, werden wir die kaiserliche Majestät an der Grenze der Grafschaft empfangen.« Mit finsterer Miene sah er von einem zum andern, im Voraus zornig wegen der Fehler, Nachlässigkeiten, Sabotage, die er allerorten schon witterte. »Auch auf Euch verlass ich mich, Medikus, Ihr versteht mich.«

»Macht Euch keine Sorgen, Euer Liebden«, warf der Maître ein, den er absichtlich übergangen hatte, »alles wird so verlaufen, wie Ihr es Euch wünscht.«

»Warum sollte ich mich sorgen?«, gab Julius zurück. »Sicher hocken auch in diesem Raum einige Personen, die sich Sorgen machen sollten, aber ich zähl wohl kaum zu diesem Kreis.« Vergeblich forschte er in den Zügen d’Alemberts nach Zeichen der Kränkung oder, besser noch, der Furcht. Er versteht es immer noch meisterlich, sich zu beherrschen, dachte er, aber zweifellos weiß d’Alembert, dass er diese Partie verlieren wird, sein letztes Spiel. Du hast mich lang genug niedergehalten, Meisterlein; jetzt endlich zahl ich’s dir und allen andern heim.

»Hattet Ihr denn schon Gelegenheit, die Leich’ zu beschauen?«

Alle Köpfe fuhren herum zu Markéta da Ludanice, die scheinbar gelassen den Medikus ansah; nur Julius bemerkte, dass ihre Finger auf seiner Hand erstarrten. »Den toten Nico mein ich, Herr?«

»Verbrüht wie eine Wurst in siedendem Wasser«, knurrte von Rosert, dessen Gesicht mit einem Mal grau geworden war. »Er ist in den heißen Quell gefallen und hat vergebens versucht, sich wieder rauszuwinden, alles andere wär Spintisterei.«

Markéta da Ludanices Antwort bestand in einem schrecklichen Stöhnen, das die Burgoberen in Verwirrung stürzte. Während sie noch ratlose Blicke tauschten, zerbarst von Breuners Atemapparat abermals in einem Hustenkrampf, und Julius tätschelte begütigend Markétas Schenkel, in den er soeben mit aller Kraft hineingekniffen hatte.

Haltet Euch fern von dort, Markéta, dachte Julius beschwörend, das Herz würd mir brechen, wenn die Hitz’ auch Euer geliebtes Antlitz verbrüht.

Tintenschwarze Nacht.

»Heda?«

Keiner da.

»Robert?« Wo steckt der verdammte Kerl! Lässt alle Lampen ausgehn und verkriecht sich in seiner Kammer. »D’Alembert? Medikus?« Wo sind die alle hin, hockten eben noch wie mürrische Vögel um meinen Tisch. Muss eingeschlafen sein, mit dem Lumpenhirsch als Kissen.

Er tastete umher, zündete endlich ein Licht an, nahm die Kerze in die Hand und leuchtete zu den Schemeln hinüber. Alle auf und davon. Und so still, so still, nur das Murmeln der Moldau drang von unten herauf, leise wie im Traum.

Julius stand auf. Wie sonderbar, dass ich hier im Nachthemd steh.

»Markéta?« Er begann, auf dem Tisch umherzuleuchten. Der weiße Hirsch, o mein Herr, zerschnitten, zerhackt, in Stücke zerfetzt das majestätische Vieh!

»Von wessen frevlerischer Hand ...« Seine Stimme, eben noch brüllend, erstarb. Das Messer, da liegt’s ja, und nun entsann er sich auch wieder: wie er erwacht ist in seinem Schlafgemach, vor dem Fenster fett und buttergelb der Mond.

Juliusmond! Er wirft die Decke zurück, leise, damit Markéta nicht aus dem Schlaf fährt, schleicht sich auf Zehenspitzen aus der Kammer; der Boden knarrt, die Angeln seufzen, als er die Tür zum Maskensaal aufzieht.

Er zündet eine Kerze an, und da starrt und glotzt es ihm aus tausend Augen entgegen: die Totenmasken der Rosenberger an den Wänden und, viel ärger noch, die grausigen Zaubersachen, die der Maître all die Jahre für ihn gesammelt hat.

»Eine wahre Mirakelkammer, Don Julius - pour vous, Excellence, wie die Wundersammlung der väterlichen Majestät!« Er hört d’Alembert hinter den Vitrinen wispern, fast so, als ob der Maître selbst zu den gesammelten Mirakeln zählte.

Habt Ihr nie geahnt, Monsieur, wie sehr mich Eure Wunder seit jeher geängstigt haben, abgeschreckt, verstört? Als kleiner Knabe, doch auch später noch? Was würdet Ihr sagen, wenn Ihr mich jetzt sehen könntet, Maître: bei Nacht inmitten Eurer Wunder stehend, im Nachthemd, die Kerze in der Hand?

Für einen Moment sträuben sich ihm wahrhaftig die Haare, und das Flämmchen über seiner Rechten flackert.

Der Fellmann da hinten, cher maître, habt Ihr nie gespürt, welcher Schrecken von dem gepinselten Monstrum ausgeht? Die goldgefassten Haifischzähne, doppelköpfigen Missgeburten, ausgestopften Krokodile, die schon in meinen Kinderträumen grinsten; der Eisenstuhl, der jeden zerquetscht, der drauf Platz zu nehmen wagt; die Kelche aus Rhinozeroshorn, in denen unter gläsernem Deckel tödliche Gifte brodeln, solange ich denken kann; fünf Hände voll Alraunwurzeln, von der Form winziger nackter Menschlein, aus Silber geformte Riesenspinnen, Puppen aus farbigem Wachs, so lebensecht, dass ich sie mehr als einmal geküsst und geschlagen hab, wenn ich Euch, mon cher maître, und mich selbst, den dressierten Bastard, nicht mehr ertrug. Und dann die Krönung Eurer Kollektion, Monsieur: da, der nackte Frauentorso, fleischfarben, mit Kürbisbrüsten und zahnlosem Totenschädel.

Hatte er dem tönernen Rumpf tatsächlich einen Tritt versetzt, dass das Weibsstück von seinem Podest getorkelt und auf dem Boden in große Placken zerbrochen war: mürbe, rissig, hohl?

Ah, dieser heiße Zorn, eine Flutwelle, in ihm emporschießend, bis er nur noch blutroten Nebel vor Augen sah!

Weitergerissen, so viel weiß ich noch, dachte er, durch den Maskensaal voll Wunderplunder, Albtraumrequisiten bis hierher. Und dann? Auf den Sessel gehockt, hinter den Hirsch mit seinem klaffenden Unterbauch, aus dem Stroh und Lumpen quollen. Das Messer, auf einmal in meiner Hand, und die Hand hebt sich und saust hinab und fährt wieder hoch und saust runter und schneidet und sägt und ritsch und ratsch wie neulich erst, in der Kutsche, o Gott, in meinem Traum, nur im Traum.

Tatsächlich hatte er das Messer schon wieder in die Hand genommen, ohne es zu bemerken. Nun ließ er’s fallen, nahm die Kerze dafür und rannte, stolperte, taumelte zur Tür, wieder durch den Wundersaal, vorbei an den glotzenden Monstren, grinsenden Bestien, winselnden Püppchen und polternd ins Schlafgemach.

Trat neben sein Himmelbett, hielt die Kerze hoch, und da lag sie: die rossbraune Mähne um ihren Kopf gebreitet wie dunkle Strahlen, ihre Miene störrisch selbst im Schlaf.

Jetzt begannen ihre Lider zu flattern, sie öffnete die Augen und machte sie gleich wieder zu, von der Kerze geblendet. »Was tust du, Julius?«

So arglos, dachte er, so vertrauensvoll, und die Kehle zog sich ihm zusammen.

Er stellte die Kerze auf den Nachtkasten neben dem gräflichen Himmelbett und pustete sie aus, so behutsam, als ob’s ein Lebensflämmlein wär. »Psst, gar nichts, war nur ein Traum.«

Dann lag er wach und zählte die Glockenschläge, während Markéta längst wieder neben ihm schlief.

55

»Was hast du, Julius? Was schaust du mich so an?«

So hatte sie ihn noch nie erlebt, in all den Wochen ihrer Liebe nicht. Den wilden, übermütigen, leidenschaftlichen Geliebten hatte sie kennen gelernt, auch den wütenden, trotzigen, vor Zorn sich verdüsternden Julius, selbst von seiner ganz und gar schwarzen Nachtseite hatte sie hie und da ein erschreckendes Schwanzstück gesehen: Julius, den jählings die Jagdgier, die Lust am Töten, an Angst und Pein eines Opfers überkam.

Aber diese samtene Seite hatte er ihr bisher noch nie gezeigt: Julius, der sie voller Zärtlichkeit ansah, neben ihr liegend, den Ellbogen ins Kissen gestützt. Julius, der ihr sacht übers Haar fuhr, ihre Wange streichelte, ganz träumerisch zart, fast so, als ob sie beide Engelwesen wären, keine Menschen aus Fleisch und Blut.