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Alle Trauernden starrten Markéta nun an. Auch der Pater hatte seinen Blick auf sie gerichtet, doch noch immer wirkte er seltsam abwesend, als ob er eine Fremde vor sich sähe.

»Es war ein Unglück, bitte glaub mir, Olga«, fuhr Markéta beinah gegen ihren Willen fort. »Niemand trägt die Schuld an Nicos Tod - es war Gottes Wille, ihn zu sich zu holen«, setzte sie hinzu. Ebenso gut hätte sie das Gegenteil behaupten können, und sogar mit mehr Überzeugung, wenn auch gleichfalls ohne irgendeinen Beweis.

Aus weiter Ferne ertönte nun leises Donnergrollen, dabei war der Himmel über Krumau noch immer wolkenlos und leuchtend blau. Dennoch nutzte Pater Hasek den Beistand der Gewalten und reckte drohend seinen Arm zum Firmament empor. »So wie auch niemand die Schuld an Unzucht und Wollust, Todsünde und teuflischer Verderbtheit trägt, die mit dem neuen Grafen droben in der Burg eingezogen sind - wolltet Ihr das sagen, Madame?«

Das Blut stieg ihr in die Wangen. »Nein, Pater, das wollt ich nicht.«

»Oder war es vielleicht auch Gottes Wille, dass Euer Vater Sigmund Pichler seines Privilegiums beraubt worden ist, obwohl er immer ein kundiger und gewissenhafter Heiler war, der sich nie die geringste Verfehlung zuschulden kommen ließ?«

Brennend spürte sie seinen Blick auf ihrem Gesicht. Pater Hasek hatte sie getauft, ihr Lesen und Schreiben beigebracht, sie in der Bibel unterrichtet, ihr die erste Beichte abgenommen. Sie vertraute ihm und schätzte ihn, auch wenn ihr in den letzten Jahren ein Großteil ihres Kinderglaubens abhanden gekommen war, nicht erst durch d’Alemberts Sentenzen und das fiebrig bunte Gomorra droben auf der Burg. »Mit Gottes Willen kenn ich mich nicht aus, Pater«, sagte sie endlich, indem sie die Stimme senkte und nah an ihn herantrat.

»Aber dass Vater Sigmund an der Affäre ganz unschuldig ist, glaubt Ihr wohl so wenig wie er selbst.«

Anstelle einer Antwort bekreuzigte er sich vor ihr, wandte sich um und schritt zwischen den Gräbern davon, auf das Kirchgebäude zu, das sich blendend weiß vom Blau des Morgenhimmels abhob. Die Trauergäste folgten der würdevoll schaukelnden Gestalt, doch Markéta wartete neben dem Grab des falschen Homunkel, bis sich die Sandwege des Gottesackers geleert hatten. Dann erst eilte sie zum Ausgang, ihre Chopinen wieder in den Händen, spähte nach links und rechts und huschte über die Straße, vis-à-vis ins Baderhaus.

57

»Er hat mir versprochen, beim Grafen ein Wort für mich einzulegen!«

»Der Lumpenteufel? Der hilft dir höchstens, schneller zur Hölle zu fahren!«

»Leise, um Himmels willen - wenn er dich hört!«

»Was ich von ihm denke, weiß Hezilow längst. Schlimm genug, dass du das Scheusal ins Haus lässt - aber jetzt auch noch seine verluderten Gesellen und einen Haufen fetter Huren dazu!«

Wie aufs Stichwort drang von der Badestube besoffenes Kreischen aus einem halben Dutzend Weiberhälsen herauf, untermalt von der pfeifenden Stimme des Puppenmachers und heiserem Johlen. Als Markéta eben in die Badestube getreten war, hatte sie ihren Augen nicht trauen wollen: In allen Zubern, auf der Ofenbank, selbst auf dem blanken Boden lagen oder wälzten sich Hezilows wirrbärtige Gehilfen, in den Armen oder zwischen den Schenkeln der feistesten Weiber, die sie jemals zu Gesicht bekommen hatte. Und dazwischen hockte, von Wasserdampf umwabert, Hezilow bei einem knochendürren Kerl mit stechenden Augen, bucklig verwachsen und so splitternackt wie die ganze Versammlung, die bei ihrem Erscheinen in rüde Ermunterungen ausgebrochen war.

Mit düsterer Miene lauschte der Bader einige Augenblicke nach unten, dann fuhr er Markéta an, mühsam seine Stimme dämpfend:

»Auf welche Fürsprecher soll man schließlich setzen - wenn schon die eigne Tochter einem in der blanksten Not nicht beisteht? Wirst du mir das wohl mal erklären, Markéta Pichlerovä?«

»Ich hab ja mit dem Obersthofmeister gesprochen«, verteidigte sich Markéta, »mit Maître d’Alembert. Er sagt, dass Don Julius selbst befohlen hat, dir das Privilegium zu entziehen, das macht die Sache nicht grade leichter.« Sie wich seinem Blick aus und wusste dann nicht, wo sie stattdessen hinsehen sollte. Du bist mein Vater nicht. Schon unten im Durchhaus hatte sie geahnt, dass sie es wieder nicht über sich bringen würde, ihm die Kindschaft aufzukündigen. »Aber sobald sich eine günstige Gelegenheit ergibt .«

»Eine günstige Gelegenheit?«, wiederholte der Bader. »Die ergibt sich doch jede Nacht, meine Hübsche, genauso wie du selbst. Schmeichers ihm ab, derweil du ihm den Schwanz walkst!«

Für einen Moment stockte ihr der Atem. Vater Sigmund hatte sich niemals einer zarten Sprache bedient, aber diese Worte waren absichtlich grob gewählt. Dabei war der Bader heute keineswegs berauscht; ärger als die trunkene Trübseligkeit, in der sie ihn vor Tagen zurückgelassen hatte, traf sie nun seine Nüchternheit. Im schwarzen Kirchgewand saß er vor ihr am blitzblank geschrubbten Tisch, die Stube war gesäubert, die Fenster freilich noch immer verrammelt, sodass nur spärliche Sonnenstrahlen durch die Läden drangen.

»Du scheinst Don Julius und mich mit dem Lumpenvolk zu verwechseln, dem du neuerdings deine Badestube öffnest«, sagte sie. »Ist dir eigentlich klar, Vater Sigmund, was diese Kerle und die Huren da unten treiben? Wenn Pater Hasek davon erfährt - oder gar die Nonnen, die jetzt oben in der Burg wohnen -, bist du nicht nur das Privilegium für alle Zeiten los, sondern landest auch noch im Karzer!«

»Pater Hasek!« Der Bader winkte mit einer Hand ab, die andere zwirbelte seinen Schnauzbart. »Der kann froh sein, wenn sie ihn nicht ganz aus seinem Sprengel verjagen.«

Der Magen zog sich ihr zusammen, während sie im Stillen seine Worte wiederholte. Daher der abwesende Blick, dachte sie, mit dem der Pater sie eben angesehen hatte, seine abweisende Bitterkeit. »Hasek«, sagte sie, »aber wieso denn nur?«

»Wieso, wieso?«, äffte der Bader sie schreiend nach. »Weil es deinem Herrn Bastardgrafen eben so passt! Der alte Heiler -weg mit ihm! Der alte Pater - auf den Kehricht! Die alten Stadtbüttel - hui, ins Armenhaus! Und dann? Ja, was weiß denn ich, Markéta? Frag ihn doch selbst, deinen Kaiserfratz, warum er alle diese Posten mit seinen eigenen Leuten besetzt! Das wird schon seinen Grund haben, nicht wahr? Aber vielleicht sagt er’s dir, wenn du ihm nur lang genug die fürstlichen Eier leckst?«

Markéta sprang auf, bis zu den Schläfen glühend. »Vater Sigmund!« Auch sie schrie jetzt, ohne Rücksicht auf die wirrbärtigen Böcke drunten, die alle im gleichen Takt auf die Ärsche der feisten Huren zu klatschen schienen - jedenfalls hörte es sich so an, als ob achthundert Pfund nacktes Fleisch unter rhythmischen Schlägen erbebten. »Kein Wort mehr gegen Don Julius, sonst sind wir geschiedene Leut’!«

Sie zitterte am ganzen Leib und musste sich mit beiden Händen auf der Tischplatte aufstützen, so weich fühlten sich ihre Beine an.

»Ich versteh’s nicht, wirklich nicht«, sagte sie viel leiser, »erklär du mir doch: warum?«

»Wenn ich’s wüsst, würd ich’s dir ja sagen«, gab der Bader zurück; auch seine Wut schien verraucht. »Aber ich begreif so wenig wie du, was da droben vorgeht, Töchterlein, umso weniger, als Don Julius auch einen neuen Scharfrichter eingesetzt hat - der hockt ja auch drunten im Zuber, der Knochendürre mit dem bösen Blick!«

»Der Henker«, flüsterte Markéta. »Du hast den Henker ins Haus gelassen, Vater Sigmund? Du wusstest, wer er ist, und hast trotzdem zugestimmt?« Nun erst dämmerte ihr, was es mit den schamlosen Weibern drunten in der Badestube auf sich hatte. Seit jeher besaß der Scharfrichter von Krumau das Privilegium, in seinem Haus draußen bei der Richtstätte Huren zu beherbergen, an denen sich die Freier für ein paar Münzen gütlich taten. Aber niemals hatte sie gehört, dass ein ehrbarer Bürger den Henker und seine Teufelsweiber gastlich bei sich aufnahm.