Nun war es am Bader, beschämt den Blick zu senken. »Der Russe hat’s verlangt«, ächzte er. »Dass der Scharfrichter seine Ernennung in der Badestub’ feiern darf - Schatz heißt er, Jakob Schatz; als Gegenleistung beredet Hezilow den Grafen, mir das Privilegium wiederzugeben. Was hätt’ ich denn machen sollen! Ojojoj!« Und er schlug die Hände vors Gesicht, um seine hervorquellenden Tränen zu verbergen.
Der Medikus, der Pater und der Scharfrichter, dachte Markéta, während sie auf wackligen Beinen um den Tisch herumging und Vater Sigmund tröstend umarmte. Undeutlich zeichneten sich vor ihr die Umrisse eines Plans ab, so teuflisch, so ungeheuerlich, dass sie vor ihren eigenen Gedanken erschrak.
»Der kleine Nico«, sagte sie mit gedämpfter Stimme, ihre Lippen nah am Ohr des Baders, der abwechselnd schnaufte und schniefte, »was meinst du, ist ihm geschehen?«
Der Bader fasste sie bei den Schultern und schob sie von sich fort.
»Ich hab den Leichnam nicht gesehen. Du hast ihn gefunden, Markéta, aber du hast den gräflichen Medikus gerufen, nicht mich. Also kann ich - als Heiler - nichts Genaues dazu sagen.« Er hielt inne, sichtlich mit sich ringend. »Aber wenn du trotzdem meine Meinung wissen willst«, fuhr er endlich fort, »ich glaub so wenig wie Karel Kudaçek, dass der Junge in der heißen Quelle umgekommen ist.«
Die Gesellschaft unten in der Badestube brach in vielstimmiges Jaulen und Stöhnen aus, das wahrhaftig wie das Kreischen der Gepeinigten im Fegefeuer klang.
»Warum glaubst du’s nicht?«, fragte Markéta.
»Karel und Olga durften den Leichnam noch mal sehen, bevor der Sarg verschlossen worden ist.« Der Bader knetete die Hände ineinander und redete jetzt so leise, dass sie wieder näher an ihn heranrücken musste. »Sie sagen, dass die Haut gewellt und rissig war, als ob der Körper in kochendem Wasser gelegen hätt.«
Markéta schloss die Augen und machte sie rasch wieder auf. »So hat es auch für mich ausgesehen«, sagte sie, und ein Schauer lief ihr zwischen den Schultern hinab.
»Das Wasser in der Quelle ist aber nicht mal siedendheiß.« Der Bader horchte nach unten und drückte kurz die Fäuste auf seine Ohren.
»Die tödlichen Verletzungen muss sich Nico woanders zugezogen haben. Sein Körper ist gekocht worden, Markéta.«
SECHS - COAGULATIO
»Durch Entzug der Feuchte auf dem Feuer wird Flüssiges wieder ins Feste überführt.«
58
Er zückte sein weißes Seidentüchlein und tupfte sich über Stirn und Schläfen, keineswegs zum ersten Mal an diesem Tag. Dabei war es noch früh am Morgen und die Luft, die durchs Fenster hereinstrich, empfindlich kühl. Und doch war er am ganzen Leib klamm vor Schweiß.
Charles setzte sich auf sein hirschledernes Sofa, um für einen Moment auszuruhen. Vermaledeite Schwäche, dachte er, der Körper hatte sich gefälligst dem Willen zu beugen und nicht mit derlei Eigenmächtigkeit hervorzutun. Schon gar nicht gerade jetzt, da noch so vieles zu bedenken, zu befehlen, zu bewerkstelligen war, zwei Tage vor Ankunft der kaiserlichen Majestät.
»Soll ich Euch ein Glas Wasser bringen lassen, Maître?«, fragte sein Sekretär Pavel vom Erker her, die ältliche Gestalt übers Stehpult gebeugt.
Aber d’Alembert winkte nur mit müder Gebärde ab. Kaum hatte er sich in die Polster sinken lassen, da fühlte er sich noch matter und zugleich auf fiebrige Weise aufgewühlt. Hier habe ich mit Fabrio gesessen, dachte er, hier ist er mir an den Hals geflogen, hier wäre er mir auf den Schoß gekrochen, wenn ich nicht ...
Schluss jetzt! Abermals tupfte er sich mit seinem Tüchlein über Wangen und Stirn. Die Schminke war natürlich ruiniert, nun gut, darum würde er sich später kümmern. Jetzt aber erst einmal tout de suite die wichtigsten Schreiben überfliegen, Briefe für Prag et cetera diktieren, mahnte sich der Maître, blieb jedoch zu seiner eigenen unangenehmen Überraschung in den Polstern sitzen, während seine Gedanken mit tagträumerischer Willkür umherschweiften.
Gestern Nachmittag hatte es ein gewaltiges Gewitter gegeben, mit dröhnendem Donner und Sturzfluten von Regen, die Staub und Hitze aus der Luft gewaschen hatten. Vielleicht liegt es daran, sagte sich Charles, an diesem Wetterwechsel, dass ich mich so ausgezehrt fühle. Bei allen Göttern, er durfte nicht krank werden, keine Schwäche, keine Mattigkeit zeigen, sonst war das Spiel wahrhaftig aus.
Im Sofa eher schon liegend als aufrecht sitzend, sah der Maître den majestätischen Konvoi bereits vor sich, wie er am Samstagmorgen aus der Prager Hofburg hervortosen würde: In fünfundvierzig sechsspännigen Kutschen würden Rudolf und sein hoch wohlgeborener Tross anreisen, gefolgt von zwei Dutzend Gepäckkarren und acht vierspännigen Kutschen für die kaiserliche Kuchelpartei. Man würde sich einschränken müssen, dachte d’Alembert, sie selbst ebenso wie ihre Prager Gästeschar, die sich über die hiesigen Verhältnisse natürlich die Schnäbel zerreißen würden. Denn die Rosenberger Burg war zwar geräumig genug, um Hunderte von Gästen zu beherbergen, aber drei Viertel der Kammern und Säle waren in so trostlosem Zustand, dass selbst Hezilows Lumpenkerle es vorgezogen hatten, drunten im Gewölbe zu logieren.
Jurij Hezilow, dachte er dann, dieser verdammte Teufelsmagister ist der Giftquell meiner Mattigkeit.
Unsinn!, mahnte er sich gleich wieder, es war nur der Wetterwechsel, die Anspannung wegen der vor ihm sich auftürmenden großen Aufgabe, sonst gar nichts.
Das Fürstenappartement zumindest, in dem die allerherrlichste Herrlichkeit nächtigen würde, hatte er vorausahnend schon vor Monaten herrichten lassen, glanzvoller selbst als die gräflichen Gemächer, und den mit böhmischem Glas verspiegelten Thronsaal. Einzig im Fürstenappartement, das eine ganze Etage über dem vierten Burghof einnahm, mit einem herrlichen Blick auf das Dächergewirr von Krumau und die sich durchs Tal ringelnde Moldau - einzig dort hatte d’Alembert jedes Zimmer mit echten Kostbarkeiten einrichten lassen, mit Gobelins aus den Niederlanden, Teppichen aus Venedig, Goldledertapeten aus London; allein die Vorhänge im Fürstenappartement, aus dem berühmten kurzhaarigen Lucca-Samt gefertigt, hatten die ruinöse Summe von dreitausend Silbertalern verschluckt.
Denn aus irgendeinem Grund hatte er nicht gewagt, auch diese Räumlichkeiten, in denen die väterliche Majestät logieren sollte, mit wohlfeilen Imitaten auszustatten - aus Aberglaube vielleicht, wie er nun dachte, oder aus handfesterer Angst vor dem Jähzorn des Bastardsohns.
Abermals zog er sein Tüchlein hervor, das bereits durchnässt war von seinem Schweiß. Behutsam atmete er ein und wieder aus, aber wie sorgfältig er auch in sich hineinhorchte, er vermochte keinen Schmerz in seinem Herzen, kein Kratzen in seiner Lunge festzustellen.
Dennoch wuchs in ihm die Furcht, dass in seinem Leib eine ernstliche Krankheit heranreifen könnte, übergesprungen vielleicht vom Obersthofmeister oder gar vom erbarmungswürdig ausgezehrten Astrologen, den er gestern noch in seiner Turmkammer aufgesucht hatte.
»Der Löwe hockt mir in der Brust«, hatte von Sargenfalt mit heiserer Stimme geklagt. Am helllichten Tag hatte er im Bett gelegen, bis zum Kinn unter schweißfeuchten Decken vergraben. »Ich spür seine Tatzen schon im Rücken und im Herzen, sein heißer Atem bringt mein Blut zum Kochen, Maître: Bald zerreißt’s mich, denkt an mich, mon vieil ami.« Seine Rede war in einem Chaos aus dröhnendem Husten, tränenden Augen und sprühendem Speichel zerborsten, ärger noch als die Hustenattacken, denen von Breuner in immer kürzeren Abständen erlag.
Aber auch der Haushofmeister konnte in diesem Zustand keinesfalls das kaiserliche Mahl beaufsichtigen. Unvorstellbar, dass von Breuner verzerrten Gesichts vor die väterliche Majestät trat und ihr mit bebender Hand die Bissen vorschnitt, dabei die Lippen zusammenpressend und die Backen blähend.