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So oder so, dachte d’Alembert dann, würde es Robert, Rudolfs Kammerdiener und engster Vertrauter, nicht dulden, dass irgendjemand außer ihm selbst dem Kaiser auch nur ein Bröckchen Brot vorlegte. »Niemand hier in Prag misstraut der kulinarischen Raffinesse Eures wackeren von Breuner, aber der Magen der Majestät ist empfindlich, wie Ihr ja wisst, mon cher monsieur«, hatte ihn die Stradovä in ihrem jüngsten Schreiben beschwichtigt. Schon seit Jahren begab sich Rudolf kaum mehr auf Reisen, ohne zumindest seine zuverlässigsten Köche mitsamt der unentbehrlichsten Kuchelschar mitzuführen. Und wenn es sich irgend vermeiden ließ, schlug er ohnehin alle Einladungen aus und verkroch sich in den hintersten Kammern des Hradschin, unerreichbar selbst für seine Minister oder seinen Bruder Matthias, der in Ungarn seit Jahr und Tag verzweifelte Schlachten gegen die Mohammedaner schlug.

Tatsächlich hatte Rudolfs Angst vor Giftanschlägen mit den Jahren immer noch zugenommen, dachte der Maître, und Katharina da Strada war bloß zu taktvoll, um anzudeuten, dass der Kaiser sich selbst hier in Krumau vor derlei Heimtücke nicht sicher fühlte.

Sogar hier - oder gerade in der Burg seines Bastardsohns, der ihm in gewissen unseligen Charakteraspekten nur allzu sehr ähnelte? Einen Moment lang verweilte er noch bei diesem in einzelnen Facetten so glanzvollen, in seiner Gesamtkomposition aber schrecklich spannungsvollen, fürchterlich widersprüchlichen Habsburger Charakter mit seinem Drang in teuflische Tiefen und seinem Hang zu schwärzester melancholischer Starre; dann stieß Charles d’Alembert einen Seufzer aus und rappelte sich auf.

Glücklicherweise würde die edle Heerschar nur einen halben Tag und eine Nacht in Krumau bleiben. Und wenn die neuerliche Goldprobe erst geglückt und Rudolf mit seinem Bastard versöhnt wäre, wenn die Sonne der kaiserlichen Gnade wieder über Krumau schiene und die prachtvolle Prager Plage endlich davongeschwirrt wäre - dann, ja dann würde er Fabrio umarmen, dachte d’Alembert und kicherte leise über seinen kleinen Scherz.

»Maître? Sind Sie wohlauf?«

»Tunk die Feder ein, Pavel«, kommandierte d’Alembert energisch, »und schreibe: >Chère Madame, erlaubt mir, auf einen Punkt zurückzukommen, den aus dem Blick zu verlieren unklug wäre, so unerheblich er sein mag, gemessen an Glanz und Größe des heiß erwarteten Gastes: Sollte Madame Markéta sich dahingehend vergessen, Euch als seine Mutter oder, horribile dictu, gar die allerherrlichste Majestät höchstderoselbst wegen eines gewissen Begehrens anzusprechen, so empfehle ich dringend, ihr Folgendes zu antworten .. .<«

Pavels Feder fuhr noch einige Augenblicke lang kratzend über das Blatt. »Ja, Maître?«

»Später.« D’Alembert war schon bei der Tür. »Den Brief diktiere ich nachher zu Ende, warte hier, bis ich von Don Julius zurück bin.«

59

»Die Spanier und die Pfaffen - was in gewissem Sinn das Gleiche ist - warten seit Jahr und Tag drauf, dass er endlich Isabella heiratet.« Lachend half er Markéta in eins der plumpen schwarzen Boote, die am Ufer des Schwanenteichs lagen. »Aber mein Vater weicht Traualtar und Ehepfuhl so hartnäckig aus, dass die Infantin vor lauter vergeblicher Hoffnung längst welk und grau geworden ist.«

Wie Johanna von Waldstein, fügte Julius in Gedanken hinzu, Johanna, die sich neuerdings mit ihren Dominikanerinnen wie mit einer spirituellen Salvaguardia umgab. Manchmal war sie ihm regelrecht unheimlich, der kalte Blick ihrer dunklen Augen, die frömmlerische Miene, hinter der sie ihren Hass und Ekel immer mühsamer verbarg.

Er sprang zu Markéta ins Boot, nahm die Riemen zur Hand und versuchte den Kahn vom Ufer abzustoßen. Aber er stemmte das hölzerne Blatt so tölpelhaft in die Böschung, dass sie beinahe gekentert wären.

»Setz du dich ins Heck, meiner Lieb’«, sagte die Baderstochter, »ich rudere.«

Mit verzwickter Miene sah sie zu ihm empor, entschlossen und furchtsam in einem, wie ihm schien. Gehorsam erhob er sich, einmal mehr erheitert durch ihre unzimperliche Art. Der Kahn schwankte, das Wasser unter ihnen gluckste, als sie sich aneinander vorbeischlängelten, um die Plätze zu tauschen.

Auf den Wegen rings um den Teich patrouillierten seine Gardisten in der Mittagssonne, daher versagte er’s sich, sie noch enger an sich heranzuziehen und ihre samtigen Falten mit seinen Fingern zu erforschen. »Auf so schwankendem Grund«, sagte er stattdessen, indem er mit steifer Grafenmiene auf der hinteren Holzbank Platz nahm, »ruht seit jeher auch die Verbindung meiner Eltern: väterliche Majestät und mütterliche Mätresse.«

Markéta stemmte sich in die Riemen, schweigend, ihr Blick auf sein Gesicht gerichtet. Unter ihnen rauschte das Wasser, Enten stoben schnatternd auf, während sie in rascher Fahrt auf die Schwaneninsel zuhielten.

Julius seinerseits betrachtete ihre mädchenhaften Brüste, die sich im türkisfarbenen Dekollete hoben und senkten. »Frag ruhig meine Mutter, übermorgen lernst du sie ja kennen«, sagte er. »Sie wird dir versichern, dass sie glücklich ist.«

Vor wenigen Stunden erst hatte d’Alembert ihm angekündigt, dass Markéta ihn mit dieser speziellen Angelegenheit bedrängen würde, und der Maître hatte Recht behalten. Ein meisterlicher Menschenkenner, ohne Zweifel, dachte Julius. Umso erstaunlicher, dass der Maître ihn gleich darauf beschworen hatte, sich von der Ludanice keinerlei Versprechungen abringen zu lassen, zumindest nicht im Moment.

Aber warum dieser plötzliche Meinungswandel? Hatte nicht d’Alembert selbst ihn mit Markéta regelrecht verkuppelt, damit er sein Genügen hier in Krumau fand, beim Possenspiel geschenkter Grafenmacht? Und beschwor ihn nun dennoch, sich von ihr nicht zur Ehe bereden zu lassen? Heißt das nicht, dachte Julius, dass d’Alembert meine Hoffnungen, die er mir seit Jahren und Jahren mit allen Mitteln auszutreiben trachtet, auf einmal teilt? Ha! Glaubt auch Ihr plötzlich, mon cher monsieur, dass ich die väterliche Krone zu erringen vermag? Und wollt mir daher raten, durch eine Vermählung mit der minderblütigen Schönen nicht das Zepter zu zerschmettern, das Hezilows Kunst mir auf einmal in die Hände spielt?

Sein Blick schweifte zum Ufer zurück, wo zwei struppige Gesellen unter den Bäumen hervortraten, sich umsahen, dann den Weg entlangtrotteten, zur Burg hinab. Oblion und Täkie, dachte er, oder Unçerek und Fondor? Zu jeder Tages- und vor allem Nachtzeit konnte man den Kerlen hier oben im Park begegnen, wo sie Moos von Mauersteinen kratzten oder gallertige Pilze ernteten, um Pelikan und Tiegel ihres Meisters mit magischen Ingredienzien zu füllen.

»Und wenn er deine Mutter zur Gemahlin nähme?«, fragte Markéta in sein Sinnen hinein und ließ schwer atmend die Ruder fahren.

»Müsst er abdanken, als Kaiser und König - unvorstellbar!«

Knirschend fuhr ihr Kahn ins Uferschilf der Schwaneninsel. Julius sprang über Bord und reichte ihr die Hand, aber Markéta schüttelte den Kopf und kletterte allein an Land. Wieder hatte sie ihre störrische Miene aufgesetzt, die ihn ebenso sehr erheiterte wie erregte.

»Ich weiß, mein Herr«, sagte sie unerwartet sanftmütig und hängte sich bei ihm ein. »Ich hab’s auch nur des Kontrastes halber gefragt: weil du ja sowieso nie Kaiser oder König wirst.«

Da wurde ihm sturzdüster ums Gemüt. »Sag so was nicht«, murmelte er mit fremder Stimme, »sag’s nie mehr.«

Der gepresste Ton schien sie aufzustören. Sie entzog ihm ihren Arm wieder und wich zum Kahn hin zurück. »Was hast du, Julius?«, fragte sie wie gestern früh, jetzt aber voller Schrecken. »Was hab ich denn gesagt?«

»Gar nichts«, brummte er und sah sie stirnrunzelnd an. »Zum Glück hast du’s nicht gesagt, und sag’s auch niemals: nicht mit Bedacht und nicht aus Versehen.«