»Aber was denn, bei allen Heiligen?«, rief Markéta aus, die nun eher zornig als erschrocken wirkte. Sie stemmte die Fäuste auf die Hüften, ihr Pfirsichbusen wogte. »Was redest du denn in Rätseln, Julius? Sag halt geradeheraus, was dich eben so verletzt hat - oder meinethalben fast gekränkt hätte?«
»Bastard«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Hinter meinem Rücken nennen mich alle den Bastard des Kaisers, das weißt du ja. Aber ich könnt’s nicht ertragen, Markéta, wenn du genauso über mich dächtest, wenn du wie alle Welt glauben würdest, dass ich nicht würdig wär, das väterliche Zepter zu tragen.«
Sie starrte ihn nur wortlos an. Ihr Mund öffnete sich und ging wieder zu. Dann hob sie die Arme, als ob sie ihn an sich ziehen wollte, und ließ sie in einer ratlosen Gebärde wieder sinken.
»Versprichst du’s?«, fragte er. »Schwörst du’s mir, Geliebte -bei deinem Leben?«
Ein schwarzer Schwan, der bisher wie tot im Schilf gehockt hatte, sprang auf einmal auf und lief drohend auf sie zu, die Flügel gespreizt und lauthals fauchend. Ohne seinen Blick von Markéta zu wenden, packte Julius das Vieh und drehte ihm den Hals um. »Schwörst du’s?«, wiederholte er.
Sie nickte krampfhaft, die Augen weit aufgerissen, und da schoss es ihm auf einmal durch den Sinn: So, ganz genau so hat mich auch Johanna angesehen ... Aber wie kann das sein? Was hatte sie bei den Infantengemächern verloren - tief in der Nacht?
»Woran denkst du, Julius?«
Er fuhr zusammen und ließ den schlaffen Schwan ins Uferschilf fallen. »Ah, seltsam«, antwortete er, »immer wieder quäl ich mich mit jener Nacht - du weißt schon, als das Mariandl auf einmal ...« Er unterbrach sich und fuhr sich mit der flachen Hand übers Gesicht.
»Bis heut kann ich mich einfach nicht erinnern, was damals passiert ist. Ein Gebräu haben sie mir eingeflößt, weil ich in tiefen Schlaf fallen sollt ... Aber einmal muss ich doch aufgewacht sein . aufgestanden . auf den Gang hinaus, und da ... So wie du mich eben angesehen hast, Markéta, die Augen weit aufgerissen: So stand in jener Nacht sie vor mir!«
»Sie?«, wiederholte Markéta, nach seiner Hand greifend. »Du meinst - Johanna?«
Julius nickte mehrfach, noch immer tief in Gedanken. »Sie schlafwandelt zuweilen, das weiß im Hradschin jeder - aber warum ist sie ausgerechnet in jener Nacht vor meiner Tür herumgeschlichen?« Heftig schüttelte Julius seinen Kopf, um die Benommenheit zu vertreiben. »Na, wer weiß, ob ich da nicht was durcheinander werf.«
Er nahm ihren Arm und wollte sie weiterziehen, aber Markéta sträubte sich und blieb wie angewurzelt im Uferschilf stehen. »Die fromme Senora«, murmelte sie, »Johanna schlafwandelt also? Und traust du ihr’s zu, dass sie in die Kabale verwickelt ist?«
Julius schüttelte heftig den Kopf. Baron von Waldstein war ein Intimus der väterlichen Majestät - da war es gewiss nicht ratsam, seine Tochter der Verstrickung in eine Mordintrige zu bezichtigen, besonders dann nicht, wenn man keinerlei Beweise in Händen hielt.
»Nein? Und was würdest du sagen, Julius, wenn sich herausstellte, dass sie mir gedroht hat?«
»Ich wäre überrascht, wenn sie dir nicht gedroht hätte.« Er lachte leise. »Aber das sind leere Worte, glaub mir: Sie könnte niemals ...«
Er unterbrach sich und spürte im gleichen Moment, wie seine Stimmung sich erneut verfinsterte. »Kein Wort mehr von Johanna, ich bitt dich«, fuhr er fort. »Es spielt ja sowieso keine Rolle mehr: Wenn der Kaiser am Samstag das Gold in Hezilows Topf sieht, wird er meine Verbannung im Handumdrehen aufheben.« Er schob seinen Arm in ihre Beuge, und diesmal ließ sie sich willig weiterziehen. »Übrigens hab ich jemanden ausgeschickt, ins Siebenbürgische, um die Herkunft deiner Mutter zu überprüfen.« Von der Seite her sah sie ihn mit einer Miene an, in der sich Freude und Unglaube mischten. »Wenn du willst«, fuhr er fort, »gehen wir gleich nachher zu ihm und hören uns an, was er rausgefunden hat.«
»Gleich nachher?«, echote sie. »Aber ist er denn hier auf der Burg? Und wie konnte er so schnell nach Siebenbürgen und zurück gelangen?«
»Er ist geflogen«, sagte Julius, »auf seinem Sternenbett.« Und dann musste er so sehr lachen, dass alle überlebenden Schwäne mit rauschendem Flügelschlag von der Insel flohen, während er und Markéta auf denselben Hügel sanken, wo die Baderstochter vor bald fünf Wochen mit dem Nabellosen gesessen hatte, von Hezilows Gesellen belauert und von d’Alemberts Soldaten bewacht.
»Wenn es dahinkäm, Geliebte, dass ich zwischen dir und der väterlichen Krone wählen müsste, es würd mir das Herz in Fetzen reißen.« Er bettete seinen Kopf in ihren Schoß und sah, die Augen gegen die senkrechte Sonne zusammenkneifend, zu Markéta empor, die ihm mit sanfter Hand über Stirn und Wangen fuhr, wie um ihn im Voraus für seinen Verlust zu trösten.
Die Sonne versank hinter den Dächern von Krumau - schon wieder Abend, dachte Julius, wie bleiern die Stunden sich früher oftmals dahinschleppten, und wie geschwind sie vorwärtseilen, seit Markéta bei mir ist. Oder liegt’s daran, dass mir vor Samstag immer banger wird, je näher die Schicksalsstunde rückt? Dass mich eine uralte Angst durchschauert, wenn ich ihn in Gedanken vor mir seh, die väterliche Majestät? O mein allerherrlichster Herr, schwefelgelbe Sonne meiner Hoffnung, wie werdet Ihr mich anschauen, wenn wir Schulter an Schulter in Hezilows »Helle« stehen: zweifelnd, spöttisch - oder vertrauensvoll, ja stolz?
Vor der Mittagssonne waren sie bald wieder von der Insel geflüchtet, in die schattigen Tiefen des Parks. Julius lehnte am Stamm einer vielhundertjährigen Eiche, Markétas Hände in den seinen, und schaute sie so forschend an, als ob die Antwort auf seine stummen Fragen am Grund ihrer blitzend grünen Augenseen läge.
Wahrhaftig, dachte er wieder, es tät mir das Herz in Fetzen reißen.
Er zog sie nah zu sich heran, schlang seine Arme um ihren schlanken Leib und küsste sie mit einer wilden Zärtlichkeit, die er niemals vorher empfunden hatte, bei keinem Mädchen, keinem Weib. Zwei Gehilfen des Puppenmachers trotteten unweit durchs Unterholz, Baschek und Unçerek oder Oblion und Täkie, doch Julius nahm sie kaum wahr. Er hielt Markéta umschlungen und küsste sie, wie ein ausgedörrter Wüstenwanderer unersättlich trinkt und trinkt, bei jedem Schluck die Vorsehung preisend, die ihn eben noch zeitig die rettende Oase, das köstlich erfrischende, jede Faser seines Wesens tränkende Wasser finden ließ.
Atemlos ließ er endlich von ihr ab, ihr Gesicht, ihre ganze Gestalt schien zu leuchten, wie sie vor ihm stand, unter den Eichenästen, durch die letzte Strahlen der Abendsonne rieselten. Vielleicht, durchfuhr’s ihn, vielleicht hatte von Sargenfalt bei seiner Geisterreise ja herausgefunden, dass Markéta von weit edlerer Abkunft war, als sie bisher angenommen hatten - nicht nur vom Geschlecht der Ludanice stammend, sondern aus irgendeiner übersehenen Nebenlinie eines abendländischen Herrscherhauses?
Das war gewiss nicht sehr wahrscheinlich, aber was hatte das schon zu besagen, da er doch offenkundig vom Schicksal ausersehen war, die väterliche Majestät, das Heilige Reich, ja das gesamte Abendland aus dem Abgrund zu ziehen? Oder warum sonst wär der Puppenmacher ausgerechnet hierher gekommen, nach Krumau, um sein schicksalhaftes Werk zu vollbringen? Gold in funkelnden Strömen, Kreaturen in blanken Scharen, dachte Julius, indem er Markéta bei der Hand nahm und wieder mit sich zog, zur Burg hinab.
»Alles wird sich zum Allerbesten wenden«, sagte er zu ihr, »ich spür’s ja, und mein Astrolog hat auch alles genau so vorausgesagt. Der gute Sargenfalt, lass uns gleich zu ihm gehen: Er soll uns berichten, was er im Siebenbürgischen rausgebracht hat.«
»Der hustende Sternengucker?« Ungläubig sah sie ihn von der Seite her an und wollte sogar stehen bleiben, aber er zog sie immer weiter, lachend, auf ihre nackten Füße hinuntersehend, die wie zwei winzige braune Rehkitze neben ihm durchs Gras sprangen. »Der ist nach Preskov geritten und handkehrum zurück?«