»Wart’s ab, wart’s nur ab«, sagte Julius, die Geliebte immer rascher mit sich ziehend, den abschüssigen Weg zur Burg hinunter, bis sie in den Schatten des obersten Burghofs tauchten, der sie nach der flirrenden Hitze des Parks mit kühlem Dämmerlicht umfing.
Das bunte Völkchen der Maler und Schranzen, Musikanten und Poseure, Narren und Schauspieler lagerte in den Höfen. Viele hatten Weinbecher in den Händen, andere hockten oder lagen, paarweise oder zu dreien, in Winkeln und Nischen, müßiger Wollust zugetan.
Aus einem Knäuel von Leibern und Gliedern reckten sich zwei schwarz gelockte Köpfe, aber Julius winkte ihnen ab: Die Syrakuser wollte er jetzt nicht bei sich haben.
Sein ganzes bisheriges Leben schien ihm auf einmal wie zielloses Verspritzen des kostbarsten Elixiers. Mit so vielen Fötzlein und Schwänzlein getändelt, dachte er, Jahre und Jahre mit Kutschreisen, Spiegelfechtereien, mit Jagdpartien, prahlerischen Gelagen durchgebracht.
Und dabei habt Ihr eine Aufgabe hier auf Erden zu leisten, mein herrlicher Herr, die größte, glanzvollste Pflicht auf dieser Welt: Retter des Kaiserreichs! Dumpf schwante es mir ja seit langem, als kleinem Knaben schon. Und dienten mein Groll und mein Abscheu, der ewige Selbsthass auf den Kaiserbastard nicht immer nur dazu: mich vor der heiligen Aufgabe zu verstecken, die mir im Geheimen allzu groß und gefahrvoll schien?
Aber damit ist’s nun vorbei, für alle Zeiten vorbei, schwor sich Julius, indem er Markéta immer weiter mit sich zog, Hof um Hof abwärts, durch Scharen und Spaliere buckelnder Schranzen und Lakaien, bis sie endlich die lang gezogene, sanft abfallende Fläche des untersten Burghofs erreichten.
Ein wenig außer Atem traten sie an die Burgmauer, die sich rechterhand an den Hungerturm anschloss, und beugten sich darüber. Tief unter ihnen zog sich der Graben dahin, zehn Schritte breit, finster wie eine Waldschlucht und mit Gestrüpp und Bäumen bewachsen.
»Die Bären, siehst du?« Er deutete hinab, dabei waren die beiden Bestien wahrhaftig nicht zu übersehen, wie sie im Schlamm umhertrotteten, in Mais und Kartoffeln wühlten, die zu großen Haufen vor ihnen aufgetürmt waren.
Als er die Stimme des jungen Grafen hörte, sah Robse, der Hüne mit der brandroten Mähne, zu ihnen auf. Er hockte einige Schritte abseits im Graben, auf einem Steinbrocken vor der äußeren Burgmauer, neben ihm sein halbwüchsiger Sohn. Nun sprangen beide auf und warfen sich gleich wieder auf die Knie, die Hände aneinander gelegt und bittend emporgereckt. »Erbarmen, Herr«, rief Robse, »ich fleh Euch an, lasst uns frei!«
»Nichts da, so war’s abgemacht, Robse.« Lachend spie Julius auf ihn hinab. »Du hast mir keine Brummbärkinder gebracht, nur die beiden Alten. Drum bleibt ihr beiden hübsch im Graben, ich befehl’s.«
60
»Ein heilsames Elixier hab ich Euch gemischt, nach der Formula des Magisters, seht nur.« Der Medikus stand über den Astrologen gebeugt, einen Zinnbecher in der Hand, den er lockend vor der Nase des Kranken schwenkte. »Trinkt nur, Sargenfalt, trinkt, und wenn Ihr morgen erwacht, fühlt Ihr Euch wie neugeboren.«
Sargenfalt lag flach auf dem Rücken, die Decke voll gestickter Silbersterne bis unters Kinn gezogen. Der Sterngucker hauste unter der Kuppel des Hungerturms, seine kreisrunde Stube war so eng, dass zwischen Bett und Stehpult nur wenig Raum blieb. Auf einem Schemel vor der Wand hockte sein schwarzes Fernrohr, klobig wie ein Kanonenrohr bedrohte es den Abendhimmel, dessen Gestirne durch ein Dutzend schmaler Fensterlöcher schienen.
In schwacher Abwehr schüttelte der Astrolog den Kopf, doch Kasimir von Rosert pries unbeeindruckt weiter seinen Heiltrank an:
»Reines Goldwasser, Sargenfalt, das stillt den Durst des Löwen in Eurer Brust. Verschmäht es, und der Leu wird Euch das Herz zerreißen. Trinkt’s, und Ihr seid morgen wieder munter wie ein Komet.«
Tomatenrot leuchtete sein Glatzkopf über dem fahlen Antlitz des Sternenguckers, der alle paar Atemzüge von Hustenstößen erschüttert wurde. Mehrfach grimassierte der Medikus Verständnis heischend zu Julius herüber, der neben Markéta unter der Tür stand. Für mehr als einen Besucher bot die Stube keinen Platz, zumal wenn dieser Gast die ausladende Statur von Roserts besaß.
»Nun sauf er’s endlich aus«, sagte Julius, »sonst träufel ich’s ihm ein, aber nicht durchs Maul, der Herr.«
Aus eingesunkenen Augen sah Sargenfalt voller Schrecken zur Stubentür. »Euer Gnaden, hat Euch gar nicht - kech, kech! -Verzeiht!«
Während er stammelte und hustete, wühlte er einen dürren Arm unter der Sternendecke hervor. »Dann Prosit, Kasimir«, hörte Markéta ihn murmeln, »her mit dem Schlangentrunk, er befiehlt’s.« Und der Astrolog nahm den Becher in die zitternde Rechte, setzte an und leerte ihn so hastig, dass sein Adamsapfel am dürren Hals auf und nieder sauste.
»Brav, Sargenfalt«, lobte Julius, »und nun heb er sich hinweg, Medikus, damit ich den Geisterreisenden befragen kann. Wegen Madame«, setzte er hinzu, mit einem Augenzwinkern für von Rosert, das Markéta wenig behagte.
Doch Julius’ unerwartete Eröffnung hatte sie in solche Aufregung gestürzt, dass sie kaum erwarten konnte, endlich zu hören, was der Astrolog herausgebracht hatte. Auf seiner Geisterreise, dachte sie wieder und wieder, also gab’s sie doch: kundige Boten, die in die Welt jenseits des Nebels reisten und wohlbehalten zurück in unsere Welt? Wenn studierte Herren wie Don Julius und Sargenfalt dran glaubten, wenn der eine von ihnen, ein grauhaariger Herr von ausgezehrtem Aussehen, sogar beteuerte, die Schattenwelt kürzlich erst bereist zu haben, wie könnte dann sie, die Krumauer Dorfgans Markéta, an der Weisheit so hoher Herren zweifeln?
»Ah, die Herkunftsfrage«, sagte von Rosert, indem er den geleerten Becher entgegennahm. »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Euer Liebden - ich bin überzeugt, dass unsere Nachkommen all diese Herkunftsdebatten, Blutsverherrlichung, Abstammungsdispute, um die wir Heutigen so viel Gewese machen, höchstens noch belächeln werden, ja, man wird kaum mehr begreifen, was uns Alte damals so erhitzt hat, vor zwanzig oder fünfzig Jahren.« Die dröhnende Stimme des Medikus hallte von den Wänden wider, und sein Schatten schien die gesamte Stube auszufüllen, als er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete, vom Bett her durch eine Lampe angestrahlt. »Vielleicht geruht Ihr Euch zu entsinnen, Exzellenz, was ich schon vor Jahren vorausgesagt habe: Nicht mehr lange, und die Menschen werden Ebenbilder ihrer selbst mit eigner Hand erschaffen, den alten Göttern gleich.«
»Schon recht, schon recht, Kasimir«, fiel ihm Julius in die Rede, »allerdings habt Ihr stets prophezeit, dass es sich bei diesen Ebenbildern um angemalte Apparate handeln werde.« Er machte einen Schritt in die Stube, den Medikus beim Ärmel packend. »Der Magister wird uns aber blutwarme Männchen aus lebendigem Fleisch backen, das ist ein Unterschied, nicht? Und nun heb er sich endlich hinweg!«
Kasimir von Rosert stolperte hinaus, und an ihm vorbei presste sich Markéta in die Astrologenstube. Obwohl mehrere der Lukenfenster geöffnet waren, herrschte hier drinnen ein beißender Geruch nach Kerzenrauch und fiebrigem Schweiß.
»Gott zum Gruß.« Sie nickte dem Kranken zu. »Was hat der Medikus Euch eingeflößt, mein Herr?«
»Goldwasser, zumindest sagt er’s, Ihr habt’s ja gehört.« Sargenfalt richtete sich auf seinem Lager auf, stopfte sich ein Kissen in den Rücken und sah seine Besucher mit munterer Miene an. »Aber was der Magister da auch zusammengemischt haben mag, es tut seine Wirkung, schneller als ein Engel fliegen kann!« Hohlwangig lächelnd sah er von Julius zu Markéta. »Ich war schon drauf gefasst, dass der Löwe mir die Brust zerreißt! Jetzt aber sind der Husten, die Schmerzen, Schwindel und Fieber - alles wie weggeblasen.«