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Die Fäden ringelten sich vor ihr im Nebel, Markéta pustete sie an, damit sie ins Tanzen und Schwingen gerieten. Von droben plötzlich Stille, kein Prusten und Plätschern aus den Zubern, keine schweren Schritte mehr von Vater Sigmund. Bis unvermittelt wieder die Stimme von Mutter Bianca erklang, schrill jetzt vor Panik: »Markéta! O Gott, sie hört mich nicht! Markéta!«

Da sieht sie auf, und vor ihr schwebt ein Faden aus zitterndem Licht, das traumleise, doch mit der Stimme von Bianca zu ihr spricht:

»O mein Gott, Mädchen, endlich bist du da.«

Markéta starrt sie an, vielmehr den fürchterlich dürftigen Glimmerfaden, der vor ihr im Nebel zittert. Wenn sie sich anstrengt, kann sie die Umrisse von Mutter Bianca erkennen, die durchscheinend, wie aus Glas geblasen, den Lichtfaden umschweben: ihre schlanke Gestalt im weißen Kleid, ihre Hände, die sie flehend nach ihr ausstreckt, ihr geliebtes Gesicht mit dem scheuen Lächeln, ihr Mund, der sich schließt und öffnet, und diesmal kann Markéta auch verstehen, was Mutter Bianca sagt, jedes einzelne Wort.

Gott sei Dank, endlich werd ich ihre Botschaft erfahren, denkt sie, dann erst sinkt der Sinn der mütterlichen Worte in sie ein: »Ich bin im Himmel, Markéta: am entsetzlichsten Ort! Sieh mich an, sieh uns alle an hier draußen: kümmerliche Funzelgeister ohne Leib! Ach, es gibt nichts Grässlicheres, Markéta, als ohne Körper zu sein! Den eigenen Herzschlag nicht mehr zu spüren, das Pulsen des warmen Blutes, die federnde Schwere des eigenen Fleischs. Keine Hände, um damit zu greifen, zu umarmen, keine Lippen, um zu küssen, keine Zunge, um zu schmecken, keine Haut, um zärtlich sich anzuschmiegen! Der Himmel ist die Hölle, Markéta, so lange schon schrei ich dir die Botschaft zu, euch allen zur Warnung, die ihr noch auf Erden wandelt. Ach, gäb’s nur genügend lebendige Leiber dort drüben, wie schlangenschnell würden wir alle, die wir hier frierend durch den Nebel gleiten, zurück in warme Körper fahren!«

Sie hielt inne, ihr Blick voll schmerzlicher Erwartung auf die Tochter gerichtet. Verzweifelt überlegte Markéta, welchen Trost sie ihr aussprechen könnte, sie selbst war ja wie zermalmt durch den mütterlichen Kummer und durch die unsäglich grässliche Botschaft: Der Himmel ist die Hölle!

Während Mutter Bianca schwieg, wurde auch das glimmende Licht in ihrem Innern immer schwächer. Schon fürchtete Markéta, ihre geliebte Gestalt im Nebel entschwinden zu sehen, wie es ihr bei so vielen Geisterfäden vorher geschehen war.

»Wie kann ich dir nur helfen, Mutter Bianca?«, gelang es ihr endlich zu fragen.

»Ein Messias wird kommen, bald schon.« Auch Biancas Stimme wurde nun mit jeder Silbe matter, als rinne mit dem Licht die allerletzte Kraft aus ihr heraus. »Er wird menschliche Körper schaffen, in die Geister wie ich aus der Nebelwelt hinüberfahren können durch seine alchymische Magie. Der Messias wird von den Menschen verfolgt werden, auch von unserm guten Pater Hasek, aber Hasek irrt, Markéta, sie alle irren: Es ist der Erlöser, drum zweifle nicht und folg ihm nach, dann werde auch ich bald wieder bei dir sein.«

Noch während Bianca sprach, wurde Markéta von ihr weggetrieben. Sie spürte, wie etwas Weiches ihr schwer über die Wangen und die Seiten ihres Körpers strich, so wie wenn man sich zwischen den Hälften eines dicken, fest geschlossenen Bühnenvorhangs hindurchschiebt, dann wurde es wieder luftig leicht um sie.

Ich bin zurück, dachte Markéta und setzte sich auf, umgeben von schwarzer Nacht. Der Kopf dröhnte ihr vor Schmerzen. Neben sich im Dunkeln hörte sie jemanden leise atmen und begriff erst nach Momenten völliger Verwirrung, wo und bei wem sie war.

Zurück aus der Welt jenseits des Nebels.

Sie tastete neben sich und erfühlte Flors Schulter, weich und warm vom Schlaf. In ihrem Innern hörte sie wieder die gewisperte Botschaft von Mutter Bianca: »Er wird menschliche Körper schaffen, in die Geister wie ich aus der Nebelwelt hinüberfahren können durch seine alchymische Magie ... «

Von einem jähen Schauder erfasst, nahm sie ihre Hand von der Haut des Nabellosen. Ihr Kopf dröhnte, als ob unter ihrer Schädeldecke ein Dutzend Schmiede unablässig auf ihre Ambosse schlügen. Und abermals hörte sie die klagende Stimme von Bianca, die wie aus Glas geblasen vor ihr in der Dunkelheit schwebte: »Der Himmel ist die Hölle, Markéta!«

Und der Messias heißt Hezilow.

61

Schon vor Tagen hatte ihm die Stradovä den kaiserlichen Speisezettel durch Boten übermittelt:    Böhmische Hirschkopfsülze und mährische Rehkitzpastete, das ließ sich aus eigenen Vorräten bestreiten; aber wie bei allen Göttern sollten sie die anderen Gaumenfreuden beschaffen, an denen Seine Allerherrlichsten Gnaden sich Samstagabend zu laben wünschten - getrüffelte Pute aus Périgord und Gänseleberpastete aus Toulouse, Lerchen aus Pézenas und Schnepfen aus Dombes, Bayonner Schinken und gekochte Zunge aus Vierzon, nicht zu vergessen den feurigen Tokaier und den prickelnden Veltliner sowie Florentiner Märzkäse nebst Ananas aus Pariser Treibhäusern zum Dessert.

Ja, warum denn nicht gleich Mannasuppe und Phönixbraten, Euer Majestät? D’Alembert ging im riesigen Kuchelgewölbe auf und ab, wo sich zwei Dutzend Köche nebst einem halben Hundert Mägden an Tischen und Herden zu schaffen machten. Fett zischte in den Pfannen, Saucen kochten in Töpfen, in der Luft schwebte eine überwältigende Mischung aus Braten- und Pasteten-, Pfeffer-, Ambra- und hundert weiteren Düften.

Eben hatte vom Kirchturm her zwölfmal die Glocke geschlagen - noch zwei, höchstens drei Stunden, dann würde der kaiserliche Konvoi mit Donnergetöse in die obere Burg einfahren.

Ruhig, nur ruhig, mahnte sich der Maître, alles würde aufs Geschmeidigste über die Bühne gehen, auch wenn von Breuner dort hinten beim großen Ofen mittlerweile hustete wie ein zerborstener Blasebalg. Auch er selbst fühlte sich noch immer sonderbar matt, als ob mit jedem Tropfen Schweiß etwas mehr von seiner Lebenskraft verrönne. Aber ich bin nicht krank, sagte er sich zum tausendsten Mal, nicht wie Sargenfalt oder wie von Breuner, die beide an qualvollem Husten und zerreißenden Brustschmerzen litten, zu schweigen von den widerlichen Wahngespinsten, die den Sterngucker seit zwei Tagen plagten.

Mit Hilfe der Stradovä und des Prager Kuchelmeisters hatten sie zumindest die ärgsten Lücken in ihren eigenen Vorräten mittlerweile geschlossen, dennoch würde es eine heikle Odyssee durch ein Labyrinth aus Pasteten und Sülzen, Saucen und Braten werden. Schon mehr als einmal hatte Rudolf einen Konvent vorzeitig verlassen, weil die Zähigkeit eines Bratenstücks, korkiger Wein oder fades Marzipan seinen Zorn erregt hatten.

Und dabei wurde die kaiserliche Gicht, Podagra so gut wie Chiagra, immer ärger, sagte sich Charles, die Stradovä selbst hatte es ihm gerade wieder en detail berichtet: An manchen Tagen vermochten Ihre strahlendsten Gnaden sich weder von seinem Lager zu erheben noch auf dem allerweichsten Daunenbett zu liegen, und zwar gleichgültig ob auf dem Rücken, der Seite oder auf dem von Wassersucht aufgetriebenen Bauch. »Robert! Hack er mir das Haupt ab! Ich leide wie ein Viech!« Solches und Ärgeres konnte man die kaiserliche Majestät immer öfter durch den Hradschin kreischen hören, und dann hielten seine Minister, Beamten und Schranzen allesamt den Atem an und wussten nicht, was sie sich wünschen sollten: dass der wunderliche Monarch endlich das Zeitliche segnete oder dass er ihnen erhalten bliebe, weil alles, was nach ihm käme, nur tausendmal grausiger wäre.

Vorneweg Rudolfs jüngerer Bruder, dachte der Maître, Erzherzog Matthias, der darauf lauerte, endlich die Krone an sich zu raffen. Ein skrupelloser Intrigant, verschlagen gegenüber seinem eigenen Blut, aber arglos vor den Feinden Habsburgs, geistig viel zu eingeschränkt, um die Schliche des Sultans, die fromme Tücke des spanischen Monarchen oder selbst die behäbige Hinterlist des Kurfürsten von Bayern zu parieren.