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Markéta schüttelte den Kopf, verwundert, wie wenn man aus Traumes Täuschung erwacht. Diese Wächter - sie kannte die beiden jungen Männer; Jan Mular hieß der Kleinere, Rundliche, Mikesch Slatava der fuchshaarige Schlacks. Vor vielen Jahren hatten sie gemeinsam die Bibelstunden bei Pater Hasek besucht, in der ehrwürdigen St.-Jost-Kirche auf der anderen Flussseite, just gegenüber ihrem Elternhaus. Aber wie war es nur möglich? Eben noch hatte sie genau an dieser Stelle, am südlichen Ende der Holzbrücke, die beiden ältlichen Wächter gesehen, die in der Frühe den Fremden zum Badehaus gebracht hatten - und nun standen, wie aus dem Boden gewachsen, diese Gefährten aus frühen Jahren vor ihr!

Ratlos sah sie von Jan zu Mikesch, die ihrerseits betretene Blicke wechselten.

»Gott und dem Kaiser zum Gruß, Markéta«, bemerkte endlich Mikesch, »lange Zeit waren wir fern der Heimat, Jan Mular, ich und etliche andere Burschen aus Krumau.« Anstelle einer Antwort nickte Markéta nur, während in ihr das nebelzarte Bildnis zerfiel.

»Bestimmt erinnerst du dich auch an Vladislav Kollek«, fuhr Mikesch mit eifriger Miene fort, »der hinter dem Rücken des Herrn Pater immer Fratzen geschnitten hat? Oder an Franz Brodner, den Sohn des Wirts >Zum Goldenen Fass<? Wir alle wurden letzten Herbst nach Prag gebracht, in eine Kaserne am Rand der Neustadt. Dort mussten wir exerzieren und schießen, bewachen und belagern lernen, alles für Don Julius, dessen erster Wachkompanie wir beide - Mular und ich - seit dem letzten Weihnachtsfest angehören.«

»Du redest zu viel, Slatava«, warf Jan Mular ein, in warnendem Ton und mit angespannter Miene, die zu seiner rundlichen Gestalt nicht recht passte. »Wenn du mich fragst, hat Markéta sowieso weder dich noch mich gesucht. Wahrscheinlich wollte sie zu den beiden Alten, die bis vorhin hier an der Brücke Wache standen. Hab ich nicht Recht, Baderstöchterlein?«

Mit der unvermittelten Frage kehrte auch das Grinsen der Burschen zurück und mit diesem ihre wehrknechtische Dreistigkeit. Jan Mular ließ seinen Blick über die Brüste der Baderstochter gleiten, die sich unter dem groben Sackleinenkleid allerdings nur undeutlich abzeichneten, und der lange Mikesch hob sogar eine Hand, wie um ihr vertraulich übers Haar zu streichen.

»Dazu braucht’s wenig Scharfsinn«, gab Markéta zurück. »Natürlich hab ich nicht erwartet, grad euch hier zu sehen.« Das plumpe Gebaren der beiden machte es ihr leichter, ihre Fassung wiederzugewinnen. Wieso nur hatte sie auf einmal allerorten wunderbare Fügungen gesehen? Plötzlich verstand sie sich selbst nicht mehr. Wie oft hatte sie sich schon geärgert, wenn die Leute vorschnell von Zauberbann und Engelsfäden redeten, während sie doch nur von ihren eigenen Ängsten oder Hoffnungen gefoppt worden waren. So wie eben auch ich selbst, sagte sich Markéta. Aber so war es ihr schon an manchem Morgen ergangen, wenn ihr zuvor im Traum die Mutter erschienen war.

Nur noch mit einem Ohr hörte sie auf die prahlerischen Phrasen, mit denen Mular und Slatava sich vor ihr in die Brust warfen, währenddessen schaute sie an Mikeschs Schulter vorbei, die Seilergasse hinab. Normalerweise konnte man von hier aus bis zur Pestsäule sehen, die sich in der Mitte des Marktes, wenigstens zweihundert Schritte entfernt, wie eine riesige steinerne Nadel in den Himmel bohrte. Heute aber schien der ganze Platz von Kutschen übersät, die in unabsehbar langem Zug den Berg hinaufkrochen.

»Was ist mit den Wächtern von heute früh«, fragte sie in beiläufigem Ton und zwang sich, ihren Blick abermals auf Mikesch und Jan zu richten. »Warum sind sie abgelöst worden?«

»Warum, fragst du?« Mikeschs Wangen blähten sich vor Stolz.

»Na, weil wir jetzt die Stadt übernommen haben - wir, die Salvaguardia des neuen Herrschers Don Julius!«

»So halt doch endlich dein Maul, Slatava«, versuchte ihn der andere abermals zu bremsen, aber sein Kamerad achtete nicht auf ihn.

»Ihr Leute hier in Krumau«, erklärte er eifrig, »glaubt wahrscheinlich immer noch, dass in eurer Stadt alles im alten Trott weitergeht. Aber mit Don Julius’ Ankunft wird sich hier alles von Grund auf ändern! Bis gestern Mittag haben wir Gardisten ja auch noch von nichts gewusst, aber dann bekamen wir holterdiepolter den Befehl, auf Krumau zu marschieren.«

Markéta mochte Jan Mulars Blick, der immer dreister über ihre Brüste strich, und Mikeschs prahlerische Miene nicht länger ertragen. Aber eine letzte Antwort musste sie den beiden doch noch entlocken:

»Also bleibt Don Julius für länger droben in der Burg?«

»Ob er hier bleibt?«, wiederholte diesmal Jan Mular, vor Begeisterung beinahe kreischend. »Da kommt ja sein ganzer Hofstaat aus Prag herbeigerollt - sieh nur hin, Badersmaid!«

Unter dem Vorwand, ihr die Richtung weisen zu wollen, packte er nach ihrem Arm, den er wie zufällig zwei Fingerbreit verfehlte. Markéta spürte die harte Hand, die sich in ihre linke Brust grub, und als hätte der Wachsoldat seinen Irrtum nicht bemerkt, griff er nur noch fester zu und wollte sie an sich heranziehen.

Derlei Rüderien abzuwehren hatte die Baderstochter schon als kleines Kind gelernt. Ihre Rechte fuhr empor, und der Soldat zuckte zurück, mit fiependem Schrei. Von seiner Wange, die er, die Augen weit aufgerissen, mit spitzen Fingern befühlte, troff aus vier Zickzackstriemen Blut.

Im gleichen Augenblick erschallte eine Fanfare, von Westen her, weit entfernt noch und doch gewaltig wie der Ruf eines riesigen Greifs.

»Das büßt du mir, Hürchen«, knurrte der Soldat, die Blutstropfen auf seinen Fingerspitzen inspizierend. Um dann noch hervorzustoßen, mit tückischer Hellsicht, wie sie von jähem Schmerz manchmal entfacht wird: »Was du von den alten Bütteln wolltest - ich find’s heraus! War was Heimliches, hinterm Rücken der Herrschaft - das riech ich doch!«

Aber Jan Mulars Verwünschung drang kaum mehr an Markétas Ohr. Mit einem Mal flatterte ihr Herz wie eine aufgestörte Nachtigall, und während sie zurück ins Badehaus lief, schwirrte ihr unablässig nur ein Gedanke durch den Kopf: Don Julius bleibt in Krumau!

6

»Das Badehaus schließen wollt Ihr, Mäjster Bottich? Ist Euer Schädel leck wie altes Fass dort drieben? Habt Ihr ja vor winzigem Stindchen erst aufgesperrt!«

Dumpf drangen die Laute herab in Flors Verlies. Dielenhölzer knarrten unter schweren Schritten, immer wieder schwappte Wasser in Kübeln, untermalt vom Malmen des Flusses. Dazwischen erklangen die Stimmen der beiden Männer, die sich offenbar nicht einig wurden.

»Bitte untertänigst um Vergebung, Herr. Heut ist ein besonderer Tag für unsere Stadt.« Des Baders Bassstimme verriet Ungeduld und wachsenden Groll. Im Dunkel seines Kerkers sah Flor den bauchigen Glatzkopf mit dem gewaltigen Schnauzbart wieder vor sich, den das Mädchen vorhin Vater genannt hatte.

»Wieso besonderer Tag?«, ereiferte sich der zweite Mann, wobei er die Silben absonderlich zerdehnte. »Ist sich geweehnlicher Sonnabend im Mäj!«

»Nun zeigt doch ein Einsehen, Hochwohlgeboren! Euch wird ja nicht entgangen sein, dass Graf Julius endlich in Krumau eingezogen ist. Da will ich wie jeder andere brave Bürger hinauf zur Burg, um dem neuen Herrn meine Ergebenheit zu bezeigen.«

»Dem Käjserbastard, wäj, wäj! Könnt ich Euch manches Spottlied aus den Prager Gassen singen, Mäjster Bottich: Den Herren hackt Julius bloß den Kopf ab, den Wäjbern die Brüstchen dazu ...«

»Hütet Eure Zunge, Hezilow!«

Hezilow! Beim Klang dieses Namens fuhr Flor zusammen. Ein Frösteln überlief ihn, er schob sich noch tiefer in seinen Winkel und drückte den Rücken gegen die klamme Kellerwand. Nicht nur der Name, auch die schnurrende Stimme kam ihm mit einem Mal bekannt vor - übel bekannt, auf ganz und gar unheimliche Weise vertraut. Er lauschte in sich hinein und spürte ein Grauen, wie jedes Mal, wenn er an sein Gedächtnis zu rühren wagte. Flüchtig sah er eine gewaltige Halle vor sich, erfüllt von Finsternis und Stille, und weit droben schwebend den riesigen Vogel der Nacht ...