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Auf den pfeifenden Ruf hin tanzten Sonne und Mond auf ihn zu, eng umschlungen nun, und stellten sich neben den Athanor. Die Mondkönigin sprang an ihrem Sonnengemahl empor, seine Mitte mit ihren Schenkeln umklammernd, während Hezilow aus einer Phiole einen Strahl Löwenöl in den Tiegel gab. »Gettliche Mondschlange«, rief er, »nimm den keeniglichen Läj in deinen mercurischen Leib auf!« Er gab einen großen Löffel voll des eben gewonnenen Pulvers hinzu und bedeckte den Tiegel mit einer Kupelle, die mit glühenden Kohlen gefüllt war.

Während die Essenzen im Tiegel sich miteinander vermählten, begannen die Leiber von Frau Mond und Herrn Sonne sich rhythmisch zu bewegen. Die Königin umklammerte die Schultern ihres Gemahls mit den Armen und seine Lenden mit ihren Schenkeln, abermals erklang ruckhaftes Stöhnen. Erst nach einigen Augenblicken begriff d’Alembert, dass die Laute tatsächlich von der Decke über ihnen kamen und nicht aus den Mündern des alchymischen Paars.

An der rostigen Kette schwebte abermals der Nabellose herab, nun jedoch zur Rechten des Athanors, wo das schwarze Tuch die Sicht versperrte, wenigstens mannshoch und zweimal so breit. Ruckweise verschwand die Kreatur hinter dem Vorhang, erst die Füße bis zu den Knien, dann der Unterleib bis über den nabellosen Bauch. In diesem Moment ertönte ein platschendes Geräusch, und der Geschaffene kam mit einem Schrei zu sich.

Von der Brust aufwärts ragte er noch immer über den Vorhang, so sah er wahrhaftig aus wie eine künstliche Figur im Puppentheater. Die zwiefarbenen Augen weit aufgerissen, die goldenen Locken mit Spinnweb vernestelt, starrte er entgeistert in die Tiefe, doch nicht etwa auf sein Publikum jenseits des Vorhangs, sondern an seinem dürftigen Leib hinab - dorthin, wo für d’Alembert, die Majestät und den Bastard wegen des schwarzen Tuchs nichts zu sehen war.

»Ni-nicht zurück!«, schrie der Geschaffene mit überkippendem Kreischen, dann klatschte und platschte es lauter als jemals. Im gleichen Moment wurde der Vorhang zur Seite gerissen, ein so unerhörtes Bild entblößend, dass selbst der statuarischen Majestät ein lautes »Ah!« entfuhr.

O ihr Götter, dachte d’Alembert wieder.

In einem gewaltigen Glasbassin schwammen unzählige daumenkleine Menschlein umher, nackt, goldgelockt, die winzigen Bäuche allesamt nabellos glatt.

D’Alembert hatte sich hinlänglich mit der Kunst der Glasschleiferei beschäftigt, die ganz neuartige Trompe-l’œil-Effekte schuf. Daher dämmerte ihm rasch, welcher Kunstgriffe Hezilow sich bedient haben musste: Die vordere Wand des Bassins schien eine riesige, konkav geschliffene Linse zu sein, mit zahllosen prismatischen Brechungen, sodass der eine lebensgroße Flor zu einer Unzahl winziger Homunkel zugleich verkleinert und vervielfacht wurde. Doch obwohl er dies ahnte, konnte auch Charles sich dem dunklen Zauber dieses blasphemischen Anblicks nicht entziehen. Die Zwillinge waren unbeachtet verschwunden, gebannt starrten sie alle drei auf das Becken, in dem sich Hunderte nackter Menschlein bewegten, von gleichförmigem Aussehen, im Uterus der gläsernen Mutter schwebend.

Hezilow zog die Kupelle mit den glühenden Kohlen vom Tiegel, nahm eine Weinrebe zur Hand und rührte damit um. Einige Augenblicke war nichts zu hören außer seinem pfeifenden Atem und stetigem Wasserplätschern vom Kristallbecken her.

Ruhig rührte der Puppenmacher noch einmal um, dann nahm er eine Zange, hob den Tiegel vom Herd und setzte ihn auf einen Stein.

»Wenn Euer Herrlichkeit die Gnade besäßen?« Lockend hielt er dem Kaiser die Zange hin, und die wundroten Lippen im Bartgestrüpp schnappten auf und zu.

Tatsächlich erhob sich die väterliche Majestät von ihrem Sessel, suchte sich steifbeinig einen Weg zwischen den Särgen und nahm die Zange vom buckelnden Magister entgegen.

D’Alembert sah deutlich, dass die gichtknotige Rechte des Kaisers zitterte, als er die Zange in den Tiegel senkte. Er stocherte darin herum, zog endlich einen glühenden Klumpen hervor und hielt ihn ins Licht, das eine Fackel neben dem Athanor verströmte.

»Wenn Euer strahlende Gnaden so gietig wären, das Klimpchen dort hineinzuwerfen?« Der Russe deutete auf das Bassin, in dem hundert winzige Menschlein bei seinen Worten erstarrten.

»Dort hinein?«, wiederholte Rudolf.

Der Puppenmacher nickte und buckelte zur gleichen Zeit.

»Ganz recht, ganz recht, durchläjchtigste Herrlichkeit, damit das Mysterium sich vollendet.«

Der Kaiser hob die Hand und warf den glühenden Klumpen mitsamt der Zange ins Bassin. Lautes Zischen ertönte, wieder kreischte Flor, und von der Wasserfläche stieg Dampf auf, sodass für einige Momente kaum etwas zu erkennen war.

Als sich das Wasser hinter der Kristallwand wieder geklärt hatte, sah d’Alembert, wie hundert kleine Menschlein mit krampfhaften Bewegungen zum Grund des Beckens tauchten, hundert Hände nach hundert gülden funkelnden Klümpchen griffen und mit ihrer Beute wieder nach oben schwebten.

»Go-gold!«, rief Flor atemlos, aus hundert winzigen Mündern.

»Der kö-königliche Leu!«

Hundert Arme warfen hundert Goldklumpen aus dem Bassin heraus, doch nur ein einziger überwand die Zaubergrenze und flog zu ihnen herüber.

D’Alembert fing den Metallbrocken auf. Unerwartet schwer, funkelnd und nass lag er in seiner fieberheißen Hand.

»Übergebt ihn uns, Maître, wir gebieten’ s«, sprach die väterliche Majestät. »Bestätigen unsere Schwarzkünstler die Probe, so lassen wir den Magister zum böhmischen Ritter schlagen.«

64

Am folgenden Morgen rollten alle siebenundsiebzig Kutschen des kaiserlichen Konvois unter sonntäglichem Glockengeläute wieder gen Prag. Acht Tage später, am 17. Junius 1607 A.D. erhielt d’Alembert einen dringenden Brief von Katharina da Strada, des Inhalts, dass die Mitglieder der kaiserlichalchimistischen Akademie befunden hätten, Magister Hezilow habe wirklich und wahrhaftig Plumbum zu Gold transformiert.

Maître d’Alembert vermochte die Worte nur mit Mühe zu entziffern. Die Zeilen flimmerten ihm vor den Augen, der Bogen entglitt seinen Fingern; Pavel nahm ihn wieder an sich, tupfte seinem Herrn über die fiebrig glühenden Wangen und schlich auf Zehenspitzen zur Tür.

D’Alembert hatte sich unmittelbar nach der Goldprobe zu Bett begeben, siebzig Stunden wie ein Toter geschlafen und auch in den Tagen danach sein Schlafgemach nicht ein einziges Mal verlassen. Fieberträume quälten ihn bei Tag und Nacht, er verspürte keinen Appetit, nicht einmal Durst, obwohl er nach wie vor maßlos schwitzte. In seinen Träumen tanzten und schwebten Tausende goldener Homunkel in weltengroßen Kristallbassins, Löwen, Bären und mondgestaltige Schlangen kämpften um Haufen gleichförmiger nackter Menschlein, die zu himmelhohen Türmen vor ihnen aufgestapelt lagen.

Der Maître knirschte mit den Zähnen, stöhnte furchtbar und warf den Kopf hin und her. Zum ersten Mal, seit ihm die väterliche Majestät vor bald zwanzig Jahren ihren Bastardsohn anvertraut hatte, war Charles d’Alembert unleugbar krank.

»Flüchtiges wird dauerhaft und lernt, selbst der Flamme zu widerstehen.«

SIEBEN - FIXATIO

65

Als sich d’Alembert von seinem Krankenlager aufraffte, war ein früher Herbst ins Moldautal eingezogen. An Pavels hageren Arm geklammert, schleppte er sich vom Schlafgemach in seinen weißen Salon, den er seit Monaten nicht betreten hatte. Das erste Bild, das er, am Fensterstock lehnend, in sich aufnahm, war ein bleifarbener Himmel, über den schwarzgraue Wolken jagten, bauchig und gefleckt wie trächtige Kühe. Der Ostwind blies einen Wirbel goldenen Eichlaubs über die vor Nässe stumpfen Dächer von Krumau, so klaftertief unter seinem Fenster, dass er sich gleich wieder abwandte, erschauernd und von Schwindel geplagt.