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»Erlaubt mir eine Gegenfrage«, sagte er, die Arme vor der Brust verschränkend. »Wie viele Personen sind im Burgspital gestorben, während ich in Fieberträumen lag? Breuner allein oder weitere mit ihm?«

»Fünf, soweit ich weiß. Der Haushofmeister und vier junge Leute aus der Stadt, Kinder fast noch.«

»Fünf Tote also? Und wodurch wurden diese jungen Leute dahingerafft - etwa auch durch das Fieber, das mich in seinen Krallen hält und dem armen Breuner die Brust zerrissen hat?«

Er hielt inne und sah forschend zu ihr auf. Der Wortwechsel schien ihn zu beleben, aber hinter seiner Munterkeit spürte sie bleierne Melancholie.

»Ihr zuckt mit den Schultern, Madame? Vermutlich hattet Ihr keine Gelegenheit, auch nur einen dieser Leichname anzusehen? Und argwöhnt gleichwohl - oder gerade deshalb -, dass es mit diesen unseligen Toten eine ähnliche Bewandtnis haben könnte wie mit dem armen Tropf, den Ihr drunten in der heißen Quelle fandet? Und nun verratet mir aber bitte eins noch, Madame Markéta: Müsstet Ihr unter diesen makabren Umständen nicht froh und dankbar sein, wenn der Lumpenteufel, wie Ihr ihn so trefflich nanntet, uns endlich verlässt und sich eine andere Wirkungsstätte sucht?«

Jetzt erst bemerkte sie, dass auch sie die Arme vor ihrer Brust verschränkt hatte, so als ob sie beide sich gegen eine unsichtbare Bedrohung wappnen wollten. »Das stimmt schon - einerseits, Monsieur«, gab sie zurück. »Wenn Julius erkennen würde, dass er Hezilow loswerden muss, wenn ich ihn überzeugen könnte und wir uns so den Kerl vom Hals schaffen würden - ich würd singen vor Freude, Maître d’Alembert.«

Mit raschen Schritten trat sie nun zu ihm, sodass er den Kopf zurücklegen musste, um ihr weiter ins Gesicht zu sehen. »Aber so, cher maître? Wenn der Puppenmacher auf diese Weise ginge - es wär ja viel ärger, als wenn er noch eine Weile bei uns bliebe: bis wir selbst die Kraft aufbringen, ihn aus dem Tor zu werfen, oder meinetwegen auch zu den Bären. Alles, alles, Maître, bloß nicht so: durch ein Verräterbündnis mit der väterlichen Majestät!«

D’Alembert schien diese Worte eine Weile lang zu bedenken, oder vielleicht kräftigte er sich auch durch einen kurzen Schlummer; jedenfalls sank sein Kopf auf die Brust, und für einige Minuten blieben sie beide still.

»Ich gebe Euch Recht, Madame«, sagte der Maître schließlich, indem er aufs Neue zu Markéta aufsah. »Für unseren Freund und Schützling wäre es eine schreckliche Niederlage, wenn Hezilow jetzt auf und davon ginge, weil der Kaiser ihm mehr verspricht - Ruhm, Reichtum, Macht -, als Julius ihm jemals bieten kann.« Er tastete nach dem Stöckchen und befingerte es ein wenig, konnte sich aber offenbar nicht entschließen, es in die Hand zu nehmen. »Woraus sich nun leider mit Leichtigkeit folgern lässt, dass Julius alles Erdenkliche unternehmen wird, um Hezilows Verrat zu unterbinden. Dass er ihm die Urkunde vorenthält, sollte uns also nicht überraschen, doch damit allein kann er natürlich nicht verhindern, dass ihm der Puppenmacher in Richtung Prag davonläuft. Also wird bald schon ein zweiter Streich folgen. Habt Ihr eine Ahnung, Madame, worin dieser Streich bestehen wird?«

Erschöpft ließ sich Markéta neben ihm aufs Sofa sinken. »Ich hatte gehofft, dass Ihr diese Frage beantworten könntet, Monsieur.«

Der Maître senkte wieder den Kopf. »Seid nachsichtig mit einem Kranken, Madame. Ich habe mich nur deshalb von meinem Lager erhoben, weil ich einsehen musste, dass sich das Fieber nicht bezwingen lässt, nicht einmal mit Hilfe der ausgezeichneten Arznei, für die ich Euch übrigens herzlich danke.« Ein Anflug des alten Spotts ließ seine Augen funkeln. »Und nun muss ich nachdenken, Madame, vielleicht, dass mir noch rechtzeitig einfällt, wie ich Julius’ bevorstehenden Zug parieren kann.«

»Seinen Zug?«, wiederholte Markéta. »Also ahnt Ihr doch schon, was er unternehmen wird?«

»Nun, genauer besehen ist es natürlich der Schachzug des Puppenmachers. Aber in diesem Fall wird wohl Julius sich einbilden, dass er die Puppen dirigiert, anstatt ihnen bloß anzugehören - übrigens der Wunschtraum eines jeden Schachkönigs: einmal wirklicher Herrscher zu sein.« Er unterbrach sich und lächelte Markéta flüchtig zu.

»Von Hezilows unsichtbarer Hand ermuntert, wird unser schwarzer Schachkönig also mit seinem nächsten Zug alle verbliebenen Schlupflöcher abriegeln, sodass die weiße Partei vollständig von schwarzen Wächtern umzingelt ist.«

In Markétas Kopf begann es sich zu drehen, sie riss die Augen auf und überlegte angestrengt, was die Rätselworte bedeuten mochten.

»Könnt Ihr Euch nicht einfacher erklären, Monsieur? Meine Mutter war eine leidenschaftliche Schachspielerin, aber ich hab an dem irrgärtnerischen Schnitzwerk nie Gefallen gefunden.«

»So wenig wie der Bader Pichler, ich weiß.« Maître d’Alembert zog nun tatsächlich sein Stöckchen zwischen den Polstern hervor und warf es zaghaft empor. »Spätestens morgen wird Julius die Stadttore von Krumau verriegeln lassen, so nämlich, dass niemand mehr die Stadt verlassen und niemand mehr von außen hereingelangen kann.«

»Aber mit welcher Begründung könnte er so etwas anordnen?« »Ganz einfach, Madame.« D’Alembert beugte sich vor und klaubte mit Mühe seinen Stab vom Teppich. »Der gräfliche Medikus wird - zu Recht oder nicht - erklären, dass in Krumau die Pestilenz ausgebrochen sei.«

67

»Madame, bitte verzeiht, ich suche Flor. Habt Ihr eine Vorstellung, wohin er ...«

»Flor?« Sie sah Lisetta unwillig an, mit einem Fuß schon auf der Treppe nach unten. »Ist er denn nicht im Frauengemach?« Dort hatte sie ihn zurückgelassen, auf dem lachsfarbenen Sofa, vor zwei Stunden erst.

»Nein, Madame, ich versteh’s ja auch nicht. Madame Johanna hat mich zu den Wäscherinnen geschickt, und als ich zurückkomm, ist er fort! Ich hab alles abgesucht, jeden Winkel, ich weiß ja, wie gern er sich verkriecht.«

Ihre Rede verebbte, stattdessen begannen Tränen aus wasserblauen Augen zu fließen.

»Ruhig, Mädchen«, sagte Markéta, dabei fühlte sie selbst sich gejagter denn je. Sie musste mit dem Medikus reden, auf der Stelle, vielleicht, dass sich das Unheil doch noch abwenden ließ. Von Rosert drohen, dachte sie, ihn einschüchtern, irgendwie Vater Sigmund mit herbeiziehen. Wenn der Medikus sieht, dass er’s mit Heilkundigen zu tun hat, wird er sich scheuen, den Leuten eine lügenhafte Pest an die Wand zu malen.

Aber nun das: Flor verschwunden, vor ihr Lisetta ans Treppengeländer geklammert, der ganze Kopf unter dem dünnen blonden Haar vor Erregung glühend.

»Hast du im Schlafgemach nachgeschaut? In der Badekammer, hinter den Sofas im Empfangsraum?«

Lisetta nickte bei jeder einzelnen Frage, anscheinend erleichtert, dass sich zumindest ihre Unschuld erwies.

»Nach draußen ist er sicher nicht gelaufen«, sagte Markéta, an der Unterlippe nagend. Seit Hezilow ihn eingefangen, im Gewölbe aufgehängt und in ein Kristallglas voll Wasser gestoßen hatte, wagte Flor sich kaum mehr aus der Schlafkammer hervor. Nur durch flehentliche Bitten hatte sie Julius überhaupt erweichen können, den Nabellosen noch einmal Hezilow zu entreißen. Gerät er abermals in die Fänge des Lumpenteufels, dachte sie, so ist’s um ihn geschehen. Aber diesmal hatte der Puppenmacher nichts mit Flors Verschwinden zu tun, das spürte sie.

»Komm mit.« Und Markéta zog die kleine Zofe hinter sich her, ins Frauengemach zurück und windgeschwind durch die Flucht lachsfarbener und pfirsich- und aprikosenzart getönter Säle und Gemächer und Kammern, der Quelle des Weihrauchdufts entgegen, der mit jedem Schritt lastender wurde. Mit einer Hellsicht, die der fromme Dampf möglicherweise beförderte, sah sie bereits vor sich, wie Flor in dem kahlen Saal stand, den Kopf gesenkt vor der kalten Gestalt, die über ihm auf dem Prunksessel thronte.

Sie riss die Tapetentür auf, auf die Bronja damals zugesteuert war, sie selbst war seitdem nie mehr drüben gewesen. Der leere Vorraum, die Fenster auch hier noch immer verhängt. Dann die Doppeltür; dumpf drang Chorgesang durchs schwarze Holz.