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»Madame«, zirpte Lisetta, »wollt Ihr nicht besser .«

Ohne die Zofe zu beachten oder anzuklopfen, trat Markéta ein.

»Was erlaubt sie sich!« Tatsächlich saß Johanna von Waldstein in der gleichen Haltung wie damals auf ihrem Sockel, sogar im gleichen schwarzen Kleid, die gleiche weiße Haube auf dem Turm ihrer Haare, so als ob sie in all den Monaten dort oben ausgeharrt hätte wie eine Kirchenskulptur. »Hinaus mit Euch - dies ist ein heiliger Ort. Eure Gegenwart entweiht ihn, Senorita!«

Die hassvollen Worte prasselten auf sie herab wie ein Schwall aus dem Schweinekübel. Markéta fuhr zusammen, aber sie zwang sich, weiter auf Johanna zuzugehen, über den kalten Steinboden mit dem schwarz-weißen Kastenmuster, unter den Blicken der vogelhaften Dame auf dem schwarzen Thron und der zwölf Nonnen in ackerschwarzen Kutten, die im Halbkreis den Sockel umstanden, die Münder noch halb geöffnet vom frommen Chorgesang.

Vor dem Thronsessel hockte Flor in einem schwarzen Steinkarree, der goldene Schopf tatsächlich gesenkt, wie sie’s vorausgesehen hatte, die Beine angewinkelt, die dünnen Arme um seine Knie verschränkt.

Sie kauerte sich neben ihm auf den Boden, ohne den Blick von Johanna zu wenden. »Was wollt Ihr von ihm?«, fragte sie. »Warum habt Ihr den armen Flor entführen lassen?«

Den Kopf krähenhaft schief gelegt, äugte die Waldstein zu ihr herab. Die zwölf Nonnen hielten allesamt das Kruzifix umklammert, das ihnen vor den keuschen Brüsten baumelte, als wären sie drauf und dran, einen Dämon zu bannen.

»Oder habt Ihr ihn gar mit eigner Hand entführt, Madame -und könnt Euch nur nicht recht entsinnen?«

Dieser Hieb hatte besser getroffen. Johanna fuhr zusammen, dass das Häubchen auf dem Turm ihrer Haare bebte.

Markéta legte Flor eine Hand auf den Arm, doch sein Kopf blieb gesenkt. »Wie mir Don Julius erzählt hat«, fuhr sie fort, »ist er Euch in einer gewissen Nacht Anfang Mai begegnet - im dunklen Flur vor den Infantengemächern, Johanna, wo Ihr wieder einmal schlafwandeltet. War das heut auch so, edle Dame? Wandeltet Ihr durch die Frauengemächer und zwangt den armen Flor, Euch zu folgen - alles wie im Traum? Denn wie ich hörte, widerfährt Euch das nicht selten: dass Ihr aus dem Schlaf aufschreckt, ohne zu erwachen, und dann wie ein Geist umherschleicht, ohne Euch nachher zu entsinnen, wo Ihr gewesen seid und was Ihr dort getan habt.«

»Meine Seele flieht zuweilen den Körper. Sie sehnt sich nach Ihm«, sagte Johanna von Waldstein, die Augen himmelwärts verdrehend, »nach unserem Herrn im Himmel, nach dem Ende von Schmutz, Schmach und Knechtschaft, nach der Seligkeit jenseits des Leibeskerkers. - Aber wie könnte ein Weibchen wie Ihr das verstehen?«, fuhr sie mit veränderter Stimme fort. »Im Übrigen redet Ihr Unsinn, was auch sonst, Senorita: Der Nabellose ist aus freien Stücken hier hereingetappt, angezogen vom Chorgesang meiner heiligen Frauen.«

Sie beugte sich auf ihrem schwarzen Prunksessel nach vorn und äugte zu Flor hinab, der indessen den Kopf noch immer gesenkt hielt.

»Anfangs schien es beinahe, als ob seine Seele nach Erlösung lechzte, als ob er deshalb herbeigeschlichen wäre: weil der fromme Gesang sein besseres Ich aus höllentiefem Schlaf aufweckte. Aber die Hoffnung scheint vergebens, seht nur selbst, Senorita: Er ist ein Verdammter!«

Markéta umfasste Flors Schultern und rüttelte ihn sanft, bis er endlich zu ihr aufsah, die Augen gedunkelt von namenloser Furcht.

»Komm mit mir, mein armer Flor.« Willig ließ er sich von ihr emporziehen. »Nehmt künftig besser einen kräftigen Schlaftrunk, Johanna«, sagte sie, über die Schulter sich zurückwendend, während sie Flor bereits zur Tür zog. »Im Baderhaus hab ich mal einen Einbrecher mit einem Holzbottich niedergeschlagen. Solltet Ihr noch einmal vorn in meinen Gemächern umherstreichen, könnte ein Unglück geschehen.«

68

Es bekümmerte ihn, dass er Markéta schon wieder Sorgen bereitet hatte, er spürte ja, wie bedrückt sie war. Stammelnd mühte er sich ab, ihr zu erklären, was geschehen war. Die schwarzen Frauen waren hier vorn im lachsfarbenen Zimmer erschienen, kaum dass Lisetta abgerufen worden war. Sie hatten ihn mitgenommen, und er - er hatte sich nicht gewehrt, nicht mal fortzulaufen versucht, gelähmt vor Entsetzen. Denn auch das war ihm ja schon mal widerfahren, mehr als einmal, durch Männer, nicht durch Frauen, aber schwarz gewandet waren ja auch sie.

Er schluchzte an ihrer Schulter, wie er sich früher so oft an der Schulter der Steinerin ausgeweint hatte, wenn ihm abermals das ganz und gar Schreckliche geschehen war. Und sah auch gleich alles wieder vor sich, die Orangerie, den gemauerten Anbau, in dem er mit der Steinerin und dem Steiner hauste, auf dem Hügel drüber das Herrenhaus, ringsum die wilden Weiten des Parks.

Manchmal rennt er davon, Hals über Kopf davon, vor einer Angst, der er doch nie entfliehen kann, weil sie tief in ihm haust. Er rennt durch den Park, die Lider gesenkt gegen den Schweiß, der ihm aus den Haaren läuft, Angstschweiß, Hitzeschweiß, denn er rennt so schnell, wie er überhaupt nur kann. Dabei hält er sich stets im Schatten, rennt zwischen Bäumen hindurch, am Rand der Büsche und Hecken, die der alte Steiner tagein tagaus mit Messern und Krummsicheln stutzt.

Er sieht sie niemals vorher, immer erst, wenn die Hand ihn beim Arm oder am Fußknöchel packt und zu Boden reißt. Da liegt er dann, keuchend, auf dem Rücken, in die wirrbärtige Fratze starrend, den fauligen Atem des Lumpenkerls in der Nase, der rittlings über ihm hockt, eine Hand auf seinen Mund gepresst hält und ihm mit der andern Schläge versetzt, auf die Arme, auf die Brust, in den Bauch, auf die Beine, ein Hagelsturm von Hieben. Und dann endlich von ihm ablässt, aber nur, um ihn sich wie einen Sack über die Schulter zu werfen, ihn im Laufschritt davonzuschleppen, in den Wald hinüber, wo die andern Lumpenkerle lauern. Und da wird’s dann noch viel ärger, da reißen sie ihm die Kleider herunter und tunken seinen Kopf in Jauchewasser, da werfen sie ihn wie ein Lumpenbündel herum, immer im Kreis, da ritzen sie blutige Bilder in seine Beine, da schreit und schreit er »Stei-ne-rin! Stei-steine-riiin!«, aber viel lauter johlen die Kerle, da zwängen sie ihm die Lippen auf und speien ihren Speichel in seinen Rachen, einer nach dem andern und immer wieder ihren Schneckenrotz in seinen Mund, da wollen sie ihm auf einmal wieder gut sein, und das ist das Ärgste, Allerekelhafteste überhaupt, da werfen sie ihm seine Kleider hin, und er schreit noch immer - »Steine-rin! Stei-steine-riiin!« -, während er sich die Fetzen übernestelt, da treiben sie ihn mit Tritten und Hieben vor sich her, aus dem Wald hinaus und wieder in den Park hinüber, zum alten Steiner, der sie schon erwartet, sie wahrhaftig schon erwartet: Die Kerle beklopfen seine Schultern, feixen ihm zum Abschied zu, worauf der alte Steiner ihn bei der Hand nimmt und nach Hause bringt.

69

Sie trat aus dem dunklen Durchhaus zum untersten Burghof und sah gleich, dass sie zu spät gekommen war: Vor der Tür zum gräflichen Hospiz, linkerhand neben dem Pulverhaus, standen zwei Gardisten, die Hände drohend auf den Säbelgriffen, ein halbes Dutzend Bürger in bunten Gewändern vor ihnen, während vom Burgtor her schon weitere Soldaten herbeiliefen.

Sie mischte sich unter die Leute, ein wenig außer Atem nach dem raschen Lauf. Den alten Brodner erkannte sie, Wirt der Schänke »Zum Goldenen Fass«, neben ihm seine zierliche Frau Maria, die lederne Wirtsschürze umgeschnürt. Auch die anderen Bürger kannte sie alle seit ihren Kinderjahren, den Küfner Braduçek nebst Gemahlin, den ungemein breitschultrigen Flößer Tomas und einen Rotschopf mittleren Alters, dessen Name ihr erst nach kurzem Nachsinnen einfieclass="underline" Balthasar Kurusch, Totengräber von Krumau, seit sein Bruder Melchior seinerseits ins Grab gefahren war.