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Er sah sie an, mit so bitterem Blick, dass sie am liebsten die Hände vors Gesicht geschlagen hätte. Aber das half ja auch nichts mehr: die Augen zu verschließen.

»Und diese wundersame Kur«, sagte der Bader, »haben sie auch prompt bekommen, Dela und ihr Mikal so gut wie Dana und Silvan. Und drei Tage drauf waren sie alle vier tot und verscharrt.«

Sie versuchte nachzudenken, doch es war nahezu unmöglich unter dem Blick des Baders und dem Eindruck der Bilder, die das höllische Jaulen der Huren und Lumpenkerle in ihr heraufbeschwor: Hezilows Gesellen wie schwarz behaarte Spinnen, die über Gallertgebirge krochen, Giftstachel in Aasspalten bohrten, gurgelnd vor Begierde.

»Aber ich versteh’s nicht, und umso weniger, je länger ich’s begrübel«, sagte sie endlich. »Glaub mir, Vater Sigmund, auch droben in der Burg wird gemurrt und gemunkelt, weil manche meinen, dass es bei diesem Pestdekret nicht mit rechten Dingen zugegangen wär. Einer, ein Herr von großem Einfluss, hat sogar vorausgesagt, dass Don Julius genauso handeln würde: die Tore von Burg und Stadt schließen lassen, um einer angeblichen Seuche zu wehren - während er in Wahrheit bloß verhindern wollt, dass ihm der Magister in Richtung Prag davonläuft. Und doch kann ich nicht glauben, dass alles abgekartet ist: Don Julius, der Medikus, sogar die fromme Johanna von Waldstein und ihre heiligen Frauen - sie alle sind sich einig darin, die Krankheit mit allen Kräften zu bekämpfen! Versteh mich recht, Vater Sigmund: Das ist das erste Mal, dass ich die Waldstein und Don Julius in irgendeiner Sache einig seh.«

»Und es macht dir Kummer, Töchterlein.« Unerwartet sanft sah der Bader sie an, und nun nahm er sogar ihre Rechte in seine dicken, weichen Hände. »Glaub nicht, dass ich’s nicht verstünde oder dass ich dir grollte: Du bist Biancas Tochter, jeden Tag noch ein wenig mehr.«

»Und die deine auch?« Jetzt war’s heraus. Markéta hielt den Atem an und sah starr an ihm vorbei.

»Die Frage kenn ich.« Der Bader entzog ihr seine Hände wieder und verschränkte die Arme vor der Brust. »Nicht aus deinem Mund, Markéta, aber umso besser von mir selbst. Glaub mir, seit ich Bianca zum Traualtar geführt hab - seit zwanzig Jahren ist kein Tag vergangen, an dem ich’s mich nicht selbst gefragt hab.«

Während er sprach, begannen sämtliche Gesellen unter ihnen in hohen, belfernden Tönen zu hecheln, in rasender Folge, untermalt von hallendem Klatschen, wieder und wieder, sechzig, achtzig, hundert qualvolle Herzschläge lang, dann endlich wurde es unten still.

»Und Bianca?« Sie presste es hervor. »Hast du sie nie gefragt?«

»Nein.« Der Bader senkte den Kopf und sah seinen Händen zu, die sich vor ihm zu Fäusten ballten, wieder öffneten, neuerlich schlossen. »Es war ... eine stumme Übereinkunft: Ich frag sie nicht, nach nichts von dem, was vorher war, und dafür bleibt sie bei mir, beklagt sich niemals über ihr kümmerliches Leben als Badersfrau.«

Aber sie hat ja oft genug geklagt, dachte Markéta, wenn nicht mit Worten, dann zumindest, indem sie still vor unsern Augen litt. Traurige Frau, zerfahrenes Paar. Aber wer hätte je behauptet, dass wir auf Erden sind, um glücklich zu werden? Pater Hasek gewiss nicht und Priester Miguel, sein grimmiger Nachfolger, noch viel weniger. Charles d’Alembert kam ihr in den Sinn - aber auch er ist nicht glücklich, dachte sie, wenn auch auf andere Art: Sinnenfreuden preisend und zugleich sich selber geißelnd wie ein Büßermönch. Und nun ist er krank und wird vielleicht auch bald sterben, auch wenn er sich mit zäher Willenskraft noch einmal aufgerappelt hat.

»Und doch bist du - für mich - mein Töchterlein«, sagte der Bader in ihre Gedanken hinein, »immer schon und für alle Zeiten.«

Es klang wenig überzeugend, dachte Markéta, so als ob er sich einen Ruck gegeben hätte, um endlich - viel zu spät - die Worte zu sagen, die ihm zuvor schon tausendmal auf der Zunge vertrocknet waren.

Stumm sahen sie aneinander vorbei. Markéta lauschte dem Malmen und Rauschen der Moldau unterm Fenster, gestern noch vertrautes Murmeln, heut schon nur noch ein fremd in den Ohren tosender Krach.

Hat Mutter Bianca niemals angedeutet, wer ihr Buhle war droben auf der Burg? Nein, sie brachte es nicht über sich, den Bader zu fragen. Zu sehr schmerzte ihn noch immer der Verdacht, ein betrogener Betrüger und käuflicher Kuckucksvater zu sein. Ein Argwohn, der an ihm nagte, seit die gestrauchelte Braut droben aus der Burg gefallen war und er sie in seinen Armen aufgefangen hatte, vor zwanzig Jahren.

Sie erhob sich, lächelte auf den Bader hinab und ging aus der Tür. Das Gespräch hatte sie keinen Zoll weitergebracht, dachte sie, weder was die angebliche Pest anging noch ihre ebenso nebelhafte Herkunft.

Unten in der Badestube lagen Hezilows Kerle rücklings auf den Weibern, wie Knochensäcke auf siedendroten Pfühlen, die Schädel zwischen ungeheuren Polstern eingesunken und mit offenen Mäulern schnarchend.

72

»Mit ihren enormen schwarzen Kutschen fahren sie durch die Grafschaft«, las d’Alembert, »von Dorf zu Gut, von Meierei zu Weiler und lesen auf, was ihnen in die Hände gerät.«

Benommen blätterte er in den Berichten seiner Späher. Dass er genau diese Szenen in tausend Träumen vorausgesehen hatte, ließ die Rapporte umso unheimlicher erscheinen, so als ob der Deich zwischen Tag und Traum nun vollends durchweicht wäre.

»Seit wenigen Wochen erst streifen sie umher, und doch kennt sie schon jedes Kind im ganzen Land, ja vor allem die jungen und die ganz kleinen Leute: Die nämlich fangen sie besonders emsig ein.«

Auch der Umstand, dass Fabrio und Lenka wieder bei ihm auf dem Hirschsofa saßen, mutete den Maître absonderlich an, wie die spukhafte Wiederholung eines Geschehens, das aus trüben Tiefen wieder aufgetaucht war, um nochmals Gegenwart vorzugaukeln.

»Gewiss, die Männer - allesamt Russen - erfüllen nur ihre Pflicht, die ihnen von der gräflichen Exzellenz selbst auferlegt worden ist, auf dringliches Anraten des Medikus und mit Billigung der Kirche, namentlich des heiligen Ordens der Dominikanerinnen. Eine Pflicht indessen, die ihnen fatalen Genuss zu bereiten scheint.«

Von spukhafter Wiederholung konnte allerdings keine Rede sein, sagte sich d’Alembert, indem er vor seinem Fenster wendete und abermals auf die Tür zuging, jedenfalls nicht, soweit es die Syrakuser betraf: Unter Lenkas Hemd begann sich unübersehbar ein Bäuchlein zu wölben, und Fabrio, der sonst kaum einen Blick für den Maître hatte - Fabrio sah ihn geradezu schmachtenden Blickes an.

Auf seinem Rücken rollte ein kalter Schweißtropfen abwärts. Den mit Schneenerzen gefütterten Umhang warf er dennoch nicht ab, im Gegenteil hatte er Pavel befohlen, den Kamin in seinem Salon einzuheizen, mit der Folge, dass er nun gleichzeitig zu erfrieren und zu verglühen meinte. Stöhnend fuhren die Herbstwinde um das Burggemäuer, rüttelten an Fensterläden, lockerten Dachschindeln und ließen die Flammen im Kamin wie bläuliche Dämonen tanzen.

»Die Kutsche jagt auf schlammiger Straße dahin«, las der Maître. »Am Wegesrand grasen Schafe, auf einem Steinbrocken hockt der junge Hirt. Der Wagen hält, zwei Männer springen heraus, in schwarzen Gewändern, mit schwarzen Hüten, an deren Krempen Klatschmohnblüten nicken. Klatschmohn! Zur Abwehr der Pestilenz! Wer hätte von diesem Wundermittel je gehört? Nun, es ist jedenfalls das Erkennungszeichen der russischen Heiler geworden.