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Auch der junge Schäfer kennt wohl das Warnwort: >Wenn der schwarze Kasten, von vier Rappen gezogen, herbeischwankt, nimm die Beine in die Hand.< Er springt auf, im nächsten Moment aber haben die Heiler seine Beine in Händen, seine Fußknöchel, um genau zu sein.

Er sträubt und windet sich, der Hund des Hirten bellt sich die Kehle wund, die beiden Kerle jauchzen und japsen. Ziehen die Hüte, verneigen sich vor dem Burschen, der vor ihnen im Gras liegt: >Oblion, habe die Ehre.< - >Gott zum Gruße, Täkie.< Und reißen ihm währenddessen schon das Gewand vom Leib, wie er sich auch sträuben und winden mag.

Der Unselige schreit und schreit, da schieben sie ihm einen Trichter ins Maul und gießen einen Schlangentrunk hindurch, der schmeckt so widerlich, dass sich der Schäfer gleich erbricht. Aber sie zwängen ihm das Maul aufs Neue auf und gießen noch viel mehr Krötensaft hinein.

Der Gepeinigte winselt, bleibt endlich still, die Augen geschlossen wie in tiefem Schlaf. Der eine schlägt ihm auf die Brust, in den Bauch, versetzt ihm Backpfeifen, dass es klatscht. Der andere holt Kohlebecken und Zange aus der Kutsche und beginnt, den unseligen Schäfer mit glühenden Stückchen zu traktieren. Endlich schleppen sie einen Bottich Wasser von der Tränke herbei und gießen ihn dem Hirten übers Haupt. >Hat er Schmerzenc, fragt der eine, >wo und welcher Art? <, forscht der andere fürsorglichen Blicks.

Und dann ächzt der Schäfer, benommen wie nach siebzehn Hollerschnäpsen: >Ah, die Brust tut so weh, überall brennt’s, als wenn ich Fieber hätt. Und da, die roten Wunden, was ist das nur? <

>Die Pest, mein Besten, < krähen da die beiden und verneigen sich wieder, dass der Klatschmohn wackelt, >keine Sorge, wir kurieren ihn schon aus.< Und packen den Kerl wie einen Hadersack und werfen ihn in die Kutsche, und hurra rumpeln sie weiter, zum nächsten Weiler, wo es einer jungen Magd, einem Knecht oder drei Bauerskindlein auf gleiche Art ergeht.

Und so füllt sich das alte Kastell, Monsieur, nicht allein mit den zum Strang Verdammten, die Scharfrichter Schatz zur Trutze hin liefert, sondern viel rascher noch mit blühender Jugend aus dem ganzen Rosenberger Land.«

Mit dem Handrücken fuhr sich d’Alembert über Stirn und Wangen, raschelnd fiel der Packen Späherbriefe zu Boden. Als er sich bückte, um sie zusammenzuraffen, wurde ihm schwarz vor Augen. Sonderbarerweise war ihm im nächsten Moment, als ob er die Schreiben wieder in Händen hielte und darin läse: »Im Kastell haben sie den ganzen Rittersaal schwappend voll mit Wasser angefüllt. In diesem gewaltigen Becken schwimmen die Pestilenzischen und die von Schatzens Strang Geborgten, im Ganzen zwei bis drei Dutzend, wie Fische hin und her.«

Als er die Augen aufschlug, sahen zwei liebe Köpfchen unter schwarzen Locken auf ihn herunter, links Lenka, rechts Fabrio.

Er selbst lag der Länge nach auf seinem Teppich, hingestreckt vor dem hirschledernen Sofa, seinen Kopf in die Briefe gebettet. Fabrio nestelte an seinem Kragen, um ihm Luft oder sonstige Linderung zu verschaffen, der Maître ließ es matten Herzens zu.

Fast war er froh um den wunderlichen Traum, der sich immerhin mit wünschenswerter Deutlichkeit von allem abhob, was irgend als Wirklichkeit durchgehen konnte. Der Rittersaal schwappend voll Wasser, darin die Pestilenzischen schwimmend: Das konnte gewiss nicht sein.

»Helft uns, Maître«, wisperte Fabrio honigsanft an seinem Ohr.

»Helft der Lenka, Monsieur, das Teufelchen tobt in ihrem Bauch und will dringlich aus der Fotz heraus. Schaut doch.« Und er zog und zerrte seine Schwester, bis Lenka rittlings über dem Maître stand, die Röcke gelüpft bis zum Nabel.

»Seht Ihr das Teufelchen: wie’s nach draußen spitzt?«

Er schloss die Augen. Die Grenze zwischen Tag und Traum schien doch weit weniger verlässlich, als eben der Fischspuk im Rittersaal ihm vorgegaukelt hatte.

Wie aus weiter Ferne hörte er die Stimmen der Zwillinge, die sich flüsternd berieten. Er hielt seine Lider gesenkt, draußen heulte der Sturm, das Kaminfeuer prasselte; irgendwann schlief er ein.

D’Alembert erwachte von Neuem, als es draußen schon dämmerte. Das Kaminfeuer war zu einem glühenden Häuflein zusammengesunken, die Rapporte lagen säuberlich gestapelt auf dem Hirschsofa über ihm. Er rappelte sich auf und sah nach links und rechts, gebannt von dem Eindruck, dass Fabrio und Lenka noch bei ihm waren und sich hinter den Vorhängen oder unter seinem Tisch verbargen. Aber er konnte sie nirgendwo entdecken, und dann wurde ihm noch unheimlicher zumute, da er sich mit fiebriger Folgerichtigkeit sagte: Also waren auch die beiden nur im Traum bei mir.

Er sank auf sein Sofa, wo vorhin noch die Zwillinge gesessen hatten, oder auch nicht. Er zündete eine Kerze an, nahm den nächsten Rapport zur Hand und hielt ihn so, dass die Flamme ihren zitternden Schein darüber verbreitete.

»Ein halbes Dutzend Küferlehrlinge wurde am 5. Oktober 1607 A.D. ins Hospiz neben dem Pulverhaus verbracht«, las er. »Alle Befallenen klagten über Brustschmerzen, Schwindel, fiebrige Hitz, alle wiesen rote Feuerwunden an ihren Körpern auf. Auf Anordnung von Medikus Kasimir von Rosert wurden sie der vorgeschriebenen Kur unterzogen.«

»Vier Kuchelmägde am 11. Oktober 1607 A.D. ins Hospiz eingeliefert. Die Maiden leiden unter Herzdrücken, Leibeshitze, fiebrigem Sausen, roten Feuerwunden an Beinen und Bauch. Auf Anordnung des Medikus der vorgeschriebenen Kur zugeführt.«

D’Alembert blätterte weiter, bis er auf einen Bericht stieß, der seiner Aufmerksamkeit anscheinend entgangen war: »Als die Herren Unçerek und Fondor von den Geschwistern Pjotr und Dusa erfahren, die, obwohl beide die Pestzeichen aufweisen, von ihrer Familie im Weiler Vargasz versteckt werden, machen sie sich augenblicks auf den Weg. Drei Fahrstunden von Krumau ist Vargasz gelegen, die nördlichste Siedlung der Grafschaft.

Klamme Witterung, grauer Gries mischt sich in den Regen, bis zu den Achsen pflügt die Kutsche durch Fahrrinnen und Pfützen, die mit glitzerndem Eis überzogen sind. Fondor wärmt seine Hände hinten am Kohlebecken, während Unçerek auf dem Kutschbock hockt und die Rappen erbarmungslos bergan treibt; dann wieder peitscht Fondor, während Unçerek hinten im Kasten sitzt und die Zange auf- und zuschnappen lässt.

Nach der ersten Stunde wird der Regen zum Schneetreiben, nach der zweiten ist der Weg im wirbelnden Weiß kaum mehr zu sehen.

Wolfslichter, die im Unterholz glimmen, und immerzu Schnee: Tücher, Vorhänge, Wände aus Schnee, die lotrecht vor ihnen herniederstürzen.

Wenn Fondor und Unçerek irgendwas zuwider ist, dann dieses endlose, wirbelnde, blendende Weiß, das die herrliche Nachtschwärze schändet, >kübelweise Eitergries aus Sterngeschwüren<. Jedenfalls äußern sie sich wenig später mit ungefähr diesen Worten vor den entgeisterten Einwohnern von Vargasz.

Die Klatschmohnblüten schaukeln an ihren Hüten. Niemand weiß, woher Hezilows Gesellen mitten im November diese Ströme immer frischer Klatschmohnblumen beziehen. Andererseits kann es für den Puppenmacher nur eine geringe Herausforderung bedeuten, in seinen Töpfen und Tiegeln etwas so Einfaches wie rote Blumen zu erzeugen.

Manche munkeln, er erschaffe die Mohnblüten aus dem Blut der pestilenzisch Verstorbenen. Andere beteuern, es verhalte sich umgekehrt und die roten Wunden entstünden, indem die Gesellen mit ihren Mohnblüten über die Haut der Unseligen führen oder indem sie bloß den Blütenstaub drüber ausschüttelten, da es alchimistisch verzauberte Blumen seien.

Als Unçerek und Fondor in Vargasz eintreffen, ist es bereits tiefe Nacht. Sie haben sich im weißen Wirbel dreimal verfahren, kochend vor Zorn rumpeln sie durch den Weiler, wo alle dreizehn Menschenseelen in gottgefälligem Schlaf liegen.

Verärgert über die Kälte, die ihre Gliedmaßen zittern und ihre Zahnreihen gegeneinander klappern macht, sowie über den vermaledeiten Schnee, der das Dorf in einen Irrgarten verwandelt, zündet Fondor kurzerhand ein Haus an, eine Scheune mitten im Ort.