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Markéta löffelte, trank und säbelte, ohne recht drauf zu achten, was sie zu Munde führte. Sie nahm sich mit der Hand die vorgeschnittenen Bratenstücke, fühlte Julius’ Hand auf ihrem Schenkel, in die samtigen Falten ihres Kleides, ihres Fleischs, ihrer Wehmut sich verkrallend, ließ bereitwillig ihre vor Saucenfett triefende Linke unters Tischtuch entführen und dachte: D’Alembert und ich sind die Einzigen im ganzen Saal, die nicht diese lächerlichen und durchaus unheimlichen Klatschmohnsträußlein tragen.

Die Kaminfeuer an beiden Seiten des Saals loderten und fauchten. Weiter hinten an der Tafel sprangen schon wieder einige junge Poseure auf und kletterten ohne weiteres auf den Tisch, um sich zwischen Schweinskopfsülze und gestopftem Perlhuhn in dreisten Figurationen zu zeigen, ihre winterbleichen Leiber mit Girlandenmustern aus Mohnblüten und fleischigen Stängeln bemalt.

Sie hatte einen Entschluss gefasst. Eine Entscheidung sich abgerungen, nachdem sie den halben Tag lang gesucht und nirgendwo eine Spur von Vater Sigmund gefunden hatte. Nicht im Baderhaus, wo Hezilows Gesellen feixend hinter ihr her gestolpert waren, während sie alle Kammern, Gemächer, selbst den Keller unter der Zuberstube durchsucht hatte. Nicht im Wirtshaus »Zum Goldenen Fass«, obwohl der Wirt selbst und der dritte Gesandte, Karel Kudaçek, längst wohlbehalten zurückgekehrt waren. Nicht im gräflichen Hospiz neben dem Pulverfass, wo Jan Mulars Gardisten ihr den Zutritt verwehrt hatten, und noch weniger in Hezilows Unterwelt, in die vorzudringen sie nicht gewagt hätte, auch wenn weder Oblion noch Fondor - oder weder Unçerek noch Täkie - vor dem Gewölbetor Wache gestanden hätten.

Heute beim Mittagsläuten waren die drei Gesandten zusammen ins Hospizgebäude gegangen, durch die Tür am untersten Burghof und die Treppe hinauf in den Krankensaal. Dort hatten sie sich getrennt - so übereinstimmend Wirt und Flößer -, um mit möglichst vielen Kranken zu reden und möglichst genau zu untersuchen, was es mit der angeblichen Pestilenz auf sich hatte.

Der Krankensaal war weitläufig und von pestwehrenden Dämpfen erfüllt. Zwei Dutzend Befallene in den Betten, weitere Elende auf Strohlagern am Boden, außerdem wenigstens zehn heilige Weiber, die überall umherschwirrten und weniger Trost oder gar Heilung als Furcht und Verwirrung stifteten. Als der Flößer Karel Kudaçek, Vater des »falschen Homunkel« Nico, und der Wirt Stanislaus Brodner, Vater des Gardisten Franz und des kleinen Silvan, am Eingang des Krankensaals wieder zusammentrafen, war vom Bader weit und breit nichts zu sehen. »Der Kuckucksheiler?«, hatte der Medikus sie beschieden.

»Grad die Treppe runtergepoltert, hat seinem närrischen Verdacht abgeschworen, was auch sonst? Und nun hinfort mit euch, Bürgerspack!«

Unten aber hatten sie von Sigmund Pichler keinen Schatten, keine Schnauzbartspitze gefunden, nicht das leiseste Echo seiner sonst weithin schallenden Stimme, und der Bader war auch in den Stunden seither weder beim Flößer noch beim Wirt wieder aufgetaucht.

Vage war Markéta bewusst, dass Julius ihren Plan als Verrat empfinden würde, wenn er davon erführe, aber sie hatte keine Wahclass="underline" Sie musste herausfinden, was mit Vater Sigmund geschehen war, noch in dieser Nacht.

Ungeduldig wartete sie, bis Julius sich erhob, wie sie’s vorausgesehen hatte, und zu der ausgelassenen Gruppe am hinteren Ende der Tafel überwechselte, die ihn mit wüsten Trinksprüchen und Gesängen begrüßte.

Auf einem Wandregal über den Köpfen der Schmausenden, die allesamt schon wieder von Veltliner und Tokaier berauscht schienen, schwamm Lenkas Mumienkindlein in einem Kristallballon voll Spiritus. Schaudernd sah Markéta zum »Satansbalg« hinauf, dann bemerkte sie d’Alemberts Blick auf ihrer linken Seite.

Über Julius’ leeren Sessel hinweg lächelte sie dem Maître zu. Offenkundig hielt er sich nur mit Mühe auf seinem Stuhl aufrecht. Seine Augen waren glasig, seine Stirn glitzerte vor Schweiß.

Julius, dachte sie, hatte das Satansbalg nur deshalb hier im Großen Saal aufstellen lassen, weil er erwartete, dass der Anblick d’Alembert peinigen würde. Sie selbst hatte schon mehr als einmal ein tot geborenes Kind gesehen, doch nie zuvor war es ihr so nachgegangen. Das Satansbalg erinnerte sie an den lederhäutigen Klumpen mumifizierter Fledermäuse, den ein Kuchelknabe im Sommer aus dem Kamin im Rosenberger Kastell geborgen hatte, und mehr noch an den »alten Drach’«, von dem Flor ihr immer wieder voller Schrecken erzählte. Und obwohl es, nüchtern besehen, mit dem einen wie mit dem andern nichts zu schaffen hatte, strahlte der Schrecken, der von diesen beiden Drachenfratzen ausging, mehr und mehr auf Lenkas unseligen Mumienknaben aus.

Einen Moment lang erwog sie, dem Maître von ihrem Plan zu berichten, aber in seinem Zustand könnte er ihr doch nicht helfen, nicht einmal durch einen Ratschlag. Ohnehin veranstalteten die Musiker und Zecher hinten im Saal ein solches Getöse, dass sie hätte schreien müssen, um sein Ohr zu erreichen.

Bitte haltet aus, Monsieur, wer anders als Ihr sollte dem Lumpenteufel wehren?

D’Alembert nickte ihr zu, wie um ihren längst erratenen Plan gutzuheißen, oder vielleicht war sein Kopf auch nur aus Schwäche abwärts gesackt. In den Augenwinkeln bemerkte sie, dass sich Julius an der anderen Tafelseite erhob und ihr mit einer energischen Armbewegung bedeutete, zu ihm und seinem übermütigen Gefolge zu stoßen.

Noch immer sah sie zu d’Alembert hinüber. Solange Julius nicht nach ihr rief, konnte sie so tun, als hätte sie seine Aufforderung nicht bemerkt. Wenn es aber mehr als eine Augenblickslaune war, würde er keine Ruhe geben, bis sie seinen Wunsch erfüllt hatte, worauf sie in den nächsten Stunden sicher keine Gelegenheit mehr finden würde, sich unbemerkt zurückzuziehen.

Schon öffnete Julius den Mund, um über die ganze schreiende, singende und musizierende Bande hinweg ihren Namen zu rufen, da sprang die Tür auf, und eine dunkle Gestalt humpelte in den Saal.

Nicht einmal in ihren verworrensten Träumen hätte Markéta erwartet, dass sie bei seinem Erscheinen jemals solche Freude empfinden würde.

»Gold, Euer strahlende Gnaden!«, kreischte Hezilow. »Gold, Gold, so viel Ihr begehrt!« Er trat zur Seite, und hinter ihm kamen zwei seiner Lumpenkerle zum Vorschein, einen gewaltigen Bottich schleppend, den sie mit Schwung in den Saal hinein entleerten.

Klirrend und funkelnd schwappte ein goldener Schwall vor die Füße des Grafen, der aufgesprungen war und mit strahlender Miene von den Brocken zum Brockenmacher sah. »Solch güldne Weihnachtsgabe rühm ich mir, Magister!«, rief er aus.

»Und bis Neujahr die Homunkel!«, gab Hezilow mit pfeifender Stimme zurück.

Wie verzaubert sprangen alle zweihundertfünfzig Höflinge auf und schoben sich, unter Jauchzern und fiebrigen Ausrufen, auf Don Julius und die funkelnde Pfütze zu seinen Füßen zu.

Markéta aber erhob sich und entwich durch eine Nebentür aus dem Saal.

75

Sie wollte nur rasch noch bei den Frauengemächern vorbeigehen, um ihren burgunderroten, mit Zobel gefütterten Umhang zu holen, ein wahrhaft fürstliches Geschenk von Julius. Vorn im Empfangsraum aber, auf dem lachsfarbenen Sofa, saß Flor.

Als sie hereinkam, sprang er auf und begann stammelnd auf sie einzureden. »Mi-mit dem Trichter, Ma-markéta!« Er fasste sie sogar bei den Schultern, damit sie stehen blieb und ihm zuhörte, das hatte er nie zuvor getan.

Aber sie hatte jetzt keine Zeit für ihn. »Später, Flor. Ich muss noch mal raus.« Sanft machte sie sich los von ihm und lief nach hinten, zu ihrem Ankleidezimmer, wohin die Mädchen den Umhang wahrscheinlich gebracht hatten. »Bronja? Lisetta? Wo seid ihr denn!«

Der Nabellose lief hinter ihr her, versuchte noch immer sie festzuhalten und überschüttete sie nun von hinten mit seinen Stammelkaskaden. »In der Ka-kanne, Markéta. Wollt wie-wieder fliehn, und diesmaclass="underline" neh-nehmen mich mit!«