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Ihre Augen öffneten sich weit und wurden im nächsten Moment zu blitzend grünen Schlitzen. Sie versteht kein Wort, dachte er.

»Ihr meint, wir sollen« - wie schon einmal deutete sie abwärts - »hinunter zu ihm?«

Still bat sie der Maître um Verzeihung. Auch Euch habe ich einmal unterschätzt, Madame, glücklicherweise mit weniger unheilvollen Folgen. Aber künftig will ich mich immer daran erinnern, dass Ihr eine Frau von fein verzweigter Herzensbildung seid.

Er nickte. »Mit dem übernächsten Zug, Markéta; bitte noch einen Augenblick Geduld. Einen weiteren Fehler können wir -Ihr und ich - uns nicht erlauben.«

Jetzt erst fiel ihm auf, dass er noch immer Daumen und Zeigefinger gespreizt hielt, das Stöckchen dazwischen wie der Pfeil auf straff gespanntem Bogen. Auch der Pfeil zielte abwärts, auf den verblassten Fleck in seinem Teppich, just zwischen den kalbsledern verhüllten Knien der Syrakuser.

»In den Wochen und Monaten, als ich hier lag, Madame, hatte ich hinreichend Zeit, über die Pläne des Magisters nachzudenken. Ich ahnte oder vielmehr träumte manchen Zug des Lumpenteufels - um Eurer trefflichen Bezeichnung zu gedenken - sogar im Voraus, und ich meine auch jetzt zu wissen, wie die Partie aus seiner Perspektive steht und welchen Ausfall er als Nächstes wagen will.«

Mit einiger Mühe erhob er sich nun doch von seinem geliebten Hirschsofa und stand einen Moment lang starr zwischen den Zwillingen, dann machte er eine rasche Folge unbeholfener Schritte auf den Winterhimmel zu.

Die Moldau tief unter seinen Fenstern war zugefroren, der Anblick bedrückte und tröstete ihn gleichermaßen, wie damals der niedergeschossene Bär. Langsam wandte er sich um, mit der Hüfte an die Fensterbank gelehnt, mit dem Stöckchen auf Markéta weisend. »Euer Vater Sigmund und der Nabellose sind unten in Hezilows Keller, Madame, daran gibt es für mich kaum einen Zweifel. Und dennoch müssen wir uns sorgsam vergewissern, ob diese Annahme zutrifft, ehe der entscheidende Vorstoß riskiert werden kann. Wenn meine Berechnungen auch nur einen winzigen Fehler enthalten, ist das Spiel verloren, deshalb sollten wir zunächst einen kleinen Zug zur Seite tun.«

Aufmerksam sahen Lenka und Fabrio von ihm zu Markéta. Das Feuer im Kamin fauchte, für einige Dutzend Herzschläge sagte niemand ein Wort.

»Einen kleinen Zug zur Seite«, wiederholte Markéta endlich, »was heißt das? Und wieso meint Ihr, dass Vater Sigmund und Flor grad dort unten schmachten?« Sie rieb sich mit den Fäusten über die Augen; eine anrührende Geste, dachte d’Alembert. »Wie sollen Hezilows Kerle den Bader denn dorthin geschafft haben«, fuhr sie fort, »am helllichten Tag vom unteren Burghof zum Gewölbetor hinauf? Und wie den armen Flor? Da war es zwar tiefe Nacht, aber nachdem die Kutsche vorbei war, hätt ich’s doch hören müssen, wenn da jemand durch den Schnee gegangen wär, und gar mit einer solchen Last?«

Er machte Fabrio ein Zeichen, und der Syrakuser sprang herbei. Schwer stützte sich d’Alembert auf seinen Arm und ließ sich zurück zu seinem Sofa führen. »Ihr vergesst die Gänge«, sagte er, »die geheimen Gänge und Treppen und Schächte überall in der Burg. Auch vom Hospizsaal müssen solche Röhren hinüber und hinab in Hezilows >Helle< führen, desgleichen vom Durchhaus. Jedenfalls scheint mir dies die eleganteste Erklärung für das wundersame Verschwinden der beiden Personen, und nebenbei die einzige.«

Seine Knie zitterten, als er sich in die weichen Polster zurücksinken ließ. O ihr Götter, dachte er, lasst mich auf dieser Erde bleiben, bis der Fiebertraum verblasst ist und ich in Fabrios Antlitz wieder nur ihn selbst erblicke, den geliebten Einzigen und nicht das Urbild von Millionen Spiegelfabrios.

»Geheime Gänge?« Sie war bleich geworden, mit angespannter Miene erhob sie sich von ihrem Sessel und machte einen Schritt auf ihn zu.

»Wisst Ihr übrigens, ma chère madame, wem ich das einzigartig weiche Hirschleder dieses Sofas verdanke?« Mit der flachen Hand fuhr er über die samtige Lehne.

»Julius’ Jagdfieber, nehm ich an.« Sie sagte es in sonderbar zerstreutem Ton, und ihr Blick ging an ihm vorbei, so als ob sie sich schon durch dunkle Röhren krauchen sähe. »Und der Zug zur Seite, den Ihr vorschlugt, Maître - zur Vergewisserung, bevor es in die Hölle runtergehen soll?«

»Nun, ma chère, dem Fegefeuer pflegt ein Schlummer in wurmigem Bett vorauszugehen. Versichert Euch der Hilfe einiger Männer aus der Stadt, kräftiger Burschen am besten, die den Mund halten können und deren Seele sich nicht allzu leicht verstören lässt. Sie sollen zwei bis drei Gräber auf dem Pestfriedhof vorm Budweiser Tor öffnen, aber Obacht: Kommandant Mular hat Befehl, den Rabenacker neben Schatzens Galgenstätte sorgsam zu bewachen.«

Er hielt inne, bis sie aufblickte wie jemand, der aus bösem Traum erwacht. Aber der Alb beginnt erst, dachte er und sagte: »Wenn die Körper der Begrabenen nicht wie gesotten aussehen, wenn ferner die Schädel nicht über der Nasenwurzel lotrecht gespalten wurden, dann, Madame, ist Magister Hezilow ein ehrenwerter Mann, dessen Lob wir zusammen bis zum Ende unserer Tage singen sollten.«

77

Den 28. Dezember 1607 A.D. im Hradschin zu Prag Mon cher maître, Vertrauter meiner geheimsten Hoffnungen und Sorgen, so lange schon bin ich ohne Nachricht aus Krumau. Die Furcht um Euch und meinen Sohn könnte kaum ärger an meinem Herzen nagen, wenn Ihr in die Neue Welt gesegelt wäret, um dort Pyramiden niederzurennen, den Urwald zu roden, ein eigenes Reich zu begründen, wie es Don Julius wahrhaftig einmal ausgesonnen hatte. Selbst die Größe der benötigten Flotte hatte er schon berechnet und den Blutzoll, den er im Kampf gegen die kakaobraunen Verteidiger entrichten müsste. Doch dann verfielt Ihr, werter Charles, auf die weit glücklichere Idee, die Bestien seines Ehrgeizes mit der Herrschaft von Krumau einzuschläfern.

Kein Abend, Monsieur, keine Nacht seit vielen Wochen, in denen der Schlaf nicht vor mir flöhe, weil meine Seele wie ein Heer von Burggespenstern um die Wahngemäuer meiner Ängste jagt. Ist Julius wohlauf? Kann Medikus von Rosert die Pestilenz niederwerfen? Wie ergeht es Euch selbst, mon ami? Wirkt sich der Einfluss, den die junge Markéta von Ludanice auf den Grafen nimmt, noch immer so besänftigend auf seinen Charakter aus?

Ah, mir tut’s jede Woche weher, dass ich damals im Herbst nur ein paar abgerissene Worte mit ihr wechseln konnte, auf dem Burghof vor dem Tor zur »alchimistischen Unterwelt«, wie schon der selige Wilhelm die moderfeuchten Gewölbe nannte. Ruhelos lief sie im Hof auf und ab, hübsche, hochgewachsene, eigensinnig dreinblickende Person im Herbstzeitlosenkleid. Doch der »Nabellose« war gerade von ihrem Busen gerissen worden, auf Befehl des Grafen und zum Frommen des alchymischen Prozesses, das zehrte offenbar an ihrer Contenance. Ich redete sie an, - »ah, seine Mutter«, bekam ich zurück, mit einem Lächeln, das mich in die Tiefe ihrer Seele blicken ließ. Sie ist stark und gut, cher maître, leidenschaftliche Geliebte und treue Gefährtin, von kraftvollem Blut und feinem Gefühl, regsamem Gewissen und hellem Geist. Nun, das alles wisst Ihr besser als ich selbst. Und ob ihre Mutter, jene Bianca da Ludanice, nun eine Hochstaplerin war, wie Ihr einmal anklingen ließet, oder eine siebenbürgische Adlige von sieben Generationen hinabreichendem Stammbaum, darf und muss uns herzlich gleich sein, hoch geschätzter Charles, wenn Madame Markéta nur die magmatischen Tiefen des gräflichen Charakters unter den Hainen der Sanftheit und den Rabatten der Wohlanständigkeit begraben hält.

Aber ich schweife ab, mon cher, mit niemandem ist tröstlicher zu plaudern als mit Euch.