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Der Bader fuhr herum, Markéta und den Fremdling mit sich reißend. Weit unter ihnen, fast noch am Fuß der Treppe, stand der Puppenmacher, und Markéta spürte, wie Flor bei seinem Anblick erstarrte. Hinter der zwergischen Gestalt drängte sich ein halbes Dutzend vierschrötiger Gesellen, gleichfalls in schwarzen Lumpen, die Bärte wirr, die Fratzen gedunsen und fahl.

»Bitte sehr um Nachsicht, Hochwohlgeboren«, rief Sigmund Pichler, »um Schlag zwölfe ist das Badehaus wieder offen!«

Eine Hand auf dem Geländer, sah Hezilow starr zu ihnen herauf. Im nächsten Moment aber hob er den Arm und deutete mit seinem schwarzen Stöckchen zu ihnen empor. »Rölflein, hungrig Wölflein!«, kreischte er. »Was rennst du denn vor deinem Herrn davon?« Und er stieß ein helles, belferndes Lachen aus, raffte mit der Linken sein Gewand und schickte sich an, taumelnden Schritts die Stufen emporzusteigen.

»Wenn er nur widerlich wär, wär’s arg genug«, sagte Markéta.

»Aber ich fürchte, Vater, dein Püppchenmacher ist verrückter als ein tollwütiger Fuchs. Schnell, in die Burg!« Und sie zog Flor im Halbkreis herum und über den steilen Vorplatz auf das Burgtor zu, während hinter ihnen Hezilows atemloses Lachen und die Flüche seiner zerlumpten Kumpane erschallten.

Vor dem Tor stand ein Soldat der gräflichen Garde aufgepflanzt. Der Bader trat vor ihn, die Fäuste auf den Hüften und einige Augenblicke lang heftig schnaufend. »Melde mich Don Julius«, verlangte er dann in unerwartet forschem Ton. »Mein Name ist Sigmund Pichler, ich bin der Bader von Krumau.«

»Und wie lautet sein Begehr?«

Der Bader legte seine Hände auf die Schultern von Flor und Markéta. »Dem Herrn Grafen zurückzubringen, was ihm zugehört.«

8

Der tönerne Kerl taumelte durch den Wald, und der Stern wirbelte über seinem Kopf im Kreis. Es war der sonderbarste Stern, den Julius je gesehen hatte: ein schädel dickes Knäuel ineinander verfilzter Ochsenseile, mit einem halben Dutzend schenkellanger Enden, die in Knoten so klobig wie Fäuste ausliefen, und aus jedem dieser Knoten glotzte ein schwarzes Auge hervor! Der tönerne Geselle hatte die Arme über seinen Kopf gelegt, der so grob geformt und jämmerlich nackt wie die ganze Gestalt war, nackt und rissig rot, denn er war ja von Kopf bis Fuß aus Lehm gebacken, und bloß die Ochsenseile bläuten ihm ein wenig Leben ein. Brummend wankte der kalte Kerl durch Tann und Tal, der Knotenstern wirbelte über seinem Schädel und peitschte unaufhörlich auf ihn ein, und immer im Niedersausen zogen sich die Augen in den Knoten zu blitzenden Schlitzen zusammen. Ein schwefelgelber Gewitterhimmel spannte sich über der Kreatur, die plötzlich in die Knie brach und die Augen himmelwärts verdrehte.

Da schreckte Julius aus dem Schlaf - der Lehmkerl sah ja aus wie ich, von der Stirn bis zum Kinn, durchfuhr’s ihn im Erwachen, und doch hab ich ihn mit den Augen des Knotensterns gesehen! Das Herz klopfte ihm zum Zerspringen. Starr saß er auf seinem Bett und sah immer wieder den tönernen Gesellen vor sich, wie er über Wurzeln und Steinbrocken stolperte, ächzend und brummend, vom Knotenstern vorangepeitscht.

So langsam, wie vor dem Fenster der Morgen heraufzog, dämmerte Julius, wo er sich befand. Er war nicht in Prag, nicht in seinen Gemächern im Hradschin - sie hatten ihn nach Krumau abgeschoben wegen ... Mariandl, o mein Gott.

Er stöhnte auf und vergrub sein Gesicht in den Händen. Rasch zog er sie wieder fort: dies klebrige Nass, es war nur Schweiß, natürlich nur Schweiß! Noch immer pochte ihm das Herz bis hinauf in die Kehle. Was hatte der Traum nur zu bedeuten, der wankende Lehmkerl, der peitschende Stern? Gleich nachher würde er seinen Astrolog von Sargenfalt fragen, der unterdessen auch aus Prag angelangt sein musste; seit gestern rumpelten von morgens bis abends Kutschen und Karren über die Burghöfe, beladen mit Künstlern und Schranzen, Verwaltern und Gesinde, mit Wäsche, Geschirren und was noch alles d’Alembert vorgesehen hatte, »für Eure würdevolle Installation in Krumau, Excellence«.

Ah, du wirst Augen machen, Meisterlein! Und Sargenfalt - er kann mir gestohlen bleiben, dachte Julius, was weiß der ewig hustende Astrolog schon von dem Geheimnis, das mir Mariandls Sternengucker aus dem All gelesen hat! »Ein Erleuchteter wird Euch aufsuchen, in seinem Gefolge eine künstliche Figur - doch nicht in Prag ...« Aber ja, jetzt fiel’s ihm wie Schnuppen von den Sternen: Der Lehmkerl und der äugende Knotenstern - sie bedeuteten nichts anderes als die Kreatur und ihren magischen Magister aus dem Horoskop! Hatte Mariandls Seher nicht vorausgesagt, dass der Alchimist und sein Geschöpf in allernächster Zukunft auf ihn stoßen würden, weitab von Prag? Was sonst sollte der Traum ihm also annoncieren, wenn nicht die Ankunft der beiden, die gerade jetzt durchs Stadttor stolpern, sich die Gassen hinaufschleppen mochten zur Burg!

Julius schwang die Beine aus dem Grafenbett, dass die Messingglocke am blauen Samthimmel bimmelte. Den ganzen gestrigen Sonntag über war er in seinen Gemächern geblieben, vielmehr im Appartement des alten Wilhelm, wie der Maître ihn auch gelockt und umschmeichelt hatte; er hatte sich geweigert, den Audienzsaal oder das kaiserliche Appartement, den Maskensaal oder das Dutzend Salons anzusehen, die d’Alembert seit Anfang des Jahres her- und eingerichtet hatte, mit lachhaftem Eifer und Truhen voller Silber aus dem kaiserlichen Schatz.

Ihr werdet staunen, Maître, ihr alle werdet Augen machen! Er sprang auf, da fielen ihm die Augenknoten wieder ein, und er erschauerte. Riss sich das klamme Nachthemd über den Kopf und schrie zur gleichen Zeit nach seinem Kammerdiener: »Berti, her mit dir! Bring er Gewand und Hosen, aber hoppsa! Und einen Hunger hab ich, Kerl!«

Der Diener stolperte ins Zimmer, die Augen traumverquollen, die blonden Haare schlafzerzaust. Julius schrie unablässig weiter, kommandierte und ordnete an. Ließ Haushofmeister von Breuner mitsamt seinen Lakaien aufmarschieren und befahl endlich auch Maître d’Alembert herbeizuschaffen, damit der ihn zum gräflichen Audienzsaal führe, wie es seiner Pflicht als Obersthofmeister entsprach.

9

Der Bote stand noch vor ihm in der Antekamera, die Mütze in der Hand. Charles d’Alembert überflog ein zweites Mal den Brief, verfasst in der zierlichen Schrift der Katharina da Strada. »Vollkommene Ruhe in Krumau, ich beschwöre Euch, mon cher maître«, so die mütterliche Mätresse zum Abschluss, »oder der kaiserliche Zorn wird uns alle verderben.«

D’Alembert faltete den Bogen zusammen und schob ihn in seine Weste. »Es ist gut«, sagte er zum Boten, »du kannst gehen.«

»Und Eure Antwort für Prag, gnädiger Herr?«

D’Alembert zeigte ein dünnes Lächeln. »Heute nicht.«

Heute nicht und hoffentlich niemals mehr, dachte er, während er den Kurier mit einer Handbewegung entließ. »Vollkommene Ruhe in Krumau«, das schrieb sich so leicht mit der Adlerfeder auf parfümierte Bütte, aber habt Ihr Euch jemals die Mühe gemacht, Madame, Euren fürchterlichen Sohn vor sich selbst zu behüten, für ein paar Tage oder Stunden nur? Ihm die Waffe aus der Hand gewunden, Dolch oder Degen, derweil Euer Bastard Euch anglotzt mit blutig geäderten Augen, Laute ausstoßend wie eine verzauberte Kreatur? Und dennoch, Madame, liebe ich ihn wie meinen Sohn.

In den letzten Monaten schien es besser zu werden, dachte er dann, in der Morgendämmerung seinen Salon durchmessend, der ganz in Weiß und Silbertönen eingerichtet war, ja, seit der Jahreswende hatte es den Anschein, als ob der Dämon endlich von ihm gewichen wäre. Aber dann vorgestern Nacht dieses Mariandl, das irgendetwas zu ihm gesagt haben musste, oder gelacht auf eine Weise, die jene Saite in ihm zerreißen ließ -worauf er das Beil hervorzog und auf sie einhieb, weiß der Himmel, wo er die Axt überhaupt hergenommen hatte!

Nur ruhig Blut bewahren, mahnte sich der Maître, indem er vor seinem Fenster stehen blieb, bereits vollständig angekleidet, das Gesicht weiß geschminkt, die Perücke gepudert, obwohl eben erst die Sonne über Krurnau emporstieg. Ein guter Dompteur unterwirft jede Bestie seinem Willen, memorierte er seine Lebensmaxime. Und es gibt nur gute Bändiger, jedenfalls unter den Lebenden.