Выбрать главу

Auch der Majestät wird das Warten immer saurer, es ist aber keine tiefere Sorge um Julius. »Wenn nur die Krumauer Pest bald abgetan wäre«, sagt er wieder und wieder, »auf dass ich den Magister endlich zu mir ziehen kann.« Im Übrigen lobt er Euch und Euren Medikus in warmen Worten: »Eine Pestwoge, die in acht Wochen keine siebzig Untertanen frisst, das mach dem Franzosen und seinem Feuerkopf mal einer nach.«

Warum nur kann ich nicht wie er empfinden? Warum will sich mein törichtes Mutterherz nicht beruhigen, warum pocht es wie ein kranker Vogel mir im Busen, wenn meine Gedanken nur ein wenig moldauabwärts schweifen?

Lasst von Euch hören, Maître, ich flehe Euch an. Julius’ Gardisten, die in vorbildlicher Strenge die Grenzen der Grafschaft verriegelt halten, sollen Euren Brief an meinen Boten übergeben, der in der Poststation vor Vargasz Tag und Nacht Eurer heiß ersehnten Zeilen harrt. Schickt einer verzweifelten Mutter ein winziges Zeichen, um ihre Seele zu besänftigen, verehrter Freund, und wenn der Kampf gegen die Pest Eure Kräfte ganz und gar beansprucht, so werft einfach ein paar hastige Lettern aufs Papier: »Wohlauf!«

Mit ergebensten, sehnsüchtigsten etc. etc. Katharina da Strada.

Den 28. Dezember 1607 A.D. in der Burg zu Krumau Chère madame, gleich einem gleißenden Fixstern schwebt Ihr hoch über mir am Himmel, um mich zurück auf den Siegesweg zu zwingen, wann immer ich abzuirren drohe. Verzeiht, dass ich Euch so lange ohne Auskunft ließ, und bitte seht mir nach, dass ich auch diesen Brief an Euch nicht absenden werde: Ich muss schweigen, noch ein paar Augenblicke die Lage begrübeln, wie jeder meisterliche Schachspieler es tun soll vor dem großen Stoß.

Oder habt Ihr jemals einen Virtuosen des Königsspiels rühmen gehört, der seinen Plan in allen Halb- und Winkelzügen vor den Augen des erfreuten Widersachers offen legte? Ich muss also schweigen, bald aber sollt Ihr von Krumau hören, so schallend, dass es Euch und der Majestät noch lange in den Ohren widerhallen wird.

Sie haben mir alles genommen, Madame, Schlüssel- und Befehlsgewalt über Burg und Gesinde, Beamte und Garde, Boten und Späher.

Nur aus Höflichkeit, oder aus einer geringfügigen Scheu, die von früher her noch in ihm zittern mag, lässt Julius mich nicht in den Hungerturm werfen, zu jenem kaiserlichen Boten, der die Nachricht vom Ritterschlag brachte und zum Dank seinerseits einen Faustschlag erhielt.

Nun, geprügelt wurde ich bisher nicht, fürs Erste haben sie wohl auf die Elixiere vertraut, die Hezilow für mich mischte und der Medikus mir mit allerbesten Genesungswünschen überbringen ließ. Ich goss sie in den Nachttopf und ließ mir stattdessen den Trank des Baders Pichler einflößen, eine Kur, die gegen den Löwen in der Brust gleichfalls wenig verschlug, der Bestie aber zumindest nicht noch die Flanken stärkte.

»Ihr seid krank, Maître, Ihr müsst Euch schonen.« Mit diesen rücksichtsvollen Worten hindern sie mich weiterhin, zu meinen angestammten Pflichten zurückzukehren. Die Schlüssel zu Geldtruhen, Schatz- und Vorratskammern halten Hasslach und Skraliçek in Händen, Julius’ kriecherisch Vertraute, und an die Spitze der Gardisten hat er eine tückisch hündische Kreatur gesetzt, namens Jan Mular, einen boshaften Burschen, der seine Zähne bereitwillig in jede Kehle schlägt, die sein Herr ihm bezeichnet.

Und Kasimir von Rosert, der mit der Pestilenz so heldenhaft ringt wie der Sensenmann beim Erntetanz mit der moderhüftigen Frau Welt? Ihr erinnert Euch vielleicht, Madame, an Kasimirs spezielle Narretei: Er ist ja besessen von dem Wahn, menschengestaltige Apparate zu erschaffen, nicht marmorne Bildwerke wohlgemerkt, sondern Machinationen aus Metall und Rädern, die seit Jahren vor seinem geistigen Auge auf und nieder stapfen, dabei mit schnarrender Stimme geistlose Sätze lallend. Da war es für den Puppenmacher leicht, ihn zum schwarzen Bündnis zu bewegen: Der Medikus schickt ihm die Befallenen ins Labor hinunter, auf dass der Magister den Spiritus vitae aus den todgeweihten Leibern dampfe und in seinen alchimistischen Apparaten neues Leben daraus destilliere: aus ihrem Stirnodem, aus spermium und Weiberblut.

Das ist unzart, grell, o ich weiß, chère madame, doch so sind die schwarzen Pläne nun einmal beschaffen. Um sie zu durchkreuzen, muss ich sie kennen, durchdringen, mich in ihr Innerstes versenken, wie es mir auch in der Kehle würgen, Magen und Herz mir verkrampfen mag.

Alles, wahrlich alles will ich tun, um ihn zu retten, Katharina. Denn Julius ist mein Sohn, mein Leben, Ihr wisst es, ich bin sein Vater, in jedem anderen als jenem einen, tierischen Sinn. Ich bin müde, Madame. Immer noch lauert der glühende Leu tief in meiner Brust. Ich werde das Spiel zu Ende bringen, das schwöre ich Euch, zum bestmöglichen Ende, und dann mich niederlegen.

Der Gedanke, Fabrio opfern zu müssen, treibt mir Tränen in die Augen, Madame. Aber selbst das werde ich tun, wenn der Lumpenteufel mir keinen besseren Zug erlaubt: Fabrio opfern, den Geliebten, um Julius zu retten, meinen Sohn.

Die ganze Welt, träumte ich letzte Nacht, wird in einer riesigen Feuersbrunst zerfallen. Und die Welt, die aus der Asche neu emporblüht, wird von Homunkeln und öden Machinationen bevölkert sein, fern jeder geistigen Feinheit und ästhetischen Raffinesse.

Erlaubt mir, die Feder aufs Pult zu werfen, Katharina. Erlaubt mir, diese Blätter gleich wieder zu zerrei ...

78

»Ich weiß ja, wovon Ihr träumt, Markéta: dass wir endlich nach Prag fahren, Ihr und ich in prachtvollem Zug moldauaufwärts, um den Segen der väterlichen Majestät zu erflehen.«

Sie erstarrte in seinen Armen. »Treibt nicht Euren Spott mit mir, ich bitt Euch, Julius. Ihr habt Recht, ich träum immer noch davon in manchen Stunden. Aber dann wieder wein ich vor Kummer, weil ich vorausseh, dass Ihr und ich ...«

»Was - wir beide? Was wolltet Ihr sagen, Markéta?« Er rollte sie auf den Rücken und schob sich über sie, die Fäuste zu ihren Seiten aufstützend.

Das Messingglöckchen am moldaublauen Samthimmel über ihnen begann schütter zu bimmeln. Das an den Glockenstrang gebundene Klatschmohnsträußlein schaukelte im Takt ihrer Gegenwehr.

»Lasst mich, Julius - nicht jetzt, nicht so!« Sie versuchte ihn von sich zu schieben, das gefiel ihm. Ihre kleinen braunen Fäuste drückten sich gegen seine nackte Brust.

»So nicht? Ja, wie denn sonst? Wollt Ihr mir wieder mit Eurem Nabellosen kommen? Der bleibt beim Magister, und basta. Hezilow braucht ihn fürs alchymische Gelingen, und jetzt kein Wort mehr von Flor, ich befehl’s! Aua! Was für eine Bestie Ihr doch sein könnt! Und wenn ich Euch nun versprechen würde, dass wir gleich nach Neujahr hochfahren nach Prag?«

»Ihr verspottet mich schon wieder! Wie sollte das denn gehen - noch lodert ja die Pest! Keiner kann in die Stadt hinein, keiner hinaus.«

»Aber ich bin der Herr.« Er nutzte ihre Verwirrung. »Voilà, madame: Für mich ist immer eine Pforte offen.«

Die Mohnblüten schaukelten heftiger, das Glöckchen bimmelte stürmischer.

»In einer Woche allerärgstens ist der Pestspuk vorbei. Auch Hezilow will bis dahin am Ziel sein: Einen ganzen Kristallballon voll hat er mir versprochen, zwei Dutzend Homunkel von den ungefähren Maßen dieses - dieses - Zauberstabs.«

»Oh, mein lieber Herr, oh, oh!« Ihre Beine schlangen sich um seine Mitte. »Herbei mit dem Homunkel! Und dann, sagt Ihr, fahren wir nach Prag?«

»Ich gelob’s.«

»Und Ihr bittet die väterliche Majestät, in unsre - in unsre Vermählung einzuwilligen?«

»Das Gold und die Homunkel, Markéta.« Er küsste sie auf die Spitzen ihrer tanzenden Brüste, links und rechts und links. »Goldströme, Homunkelfluten. Sie werden mich emporschwemmen, in die allerhöchsten Höhen!«

»Euch allein, Julius - oder uns zwei?«