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D’Alemberts Unbehagen wuchs. Sein ganzer Plan basierte auf der sicheren Erwartung, dass Hezilow hier unten im Gewölbe zusammen mit seinen Lumpenkerlen ertappt und überwältigt würde. Aber wie er sich auch umschaute, vom Puppenmacher war kein Barthaar und keine Schwertspitze mehr zu sehen.

Auch das Bild der kopfüber Gehenkten ging ihm nach, und es verfolgte ihn noch immer, als er sein weiß gelacktes Wams aufknöpfte. Die Aufgeknüpften, dachte er, wie sie über den Glasballons schaukelten und das Leben aus ihren Leibern rann, leuchtend rot und sämig weiß. Weiberblut und spermium. Unter seinem Wams, direkt auf der Haut, trug er das hirschlederne Futteral mit den zwölf Wurfmessern, das Petrusco Bandinello ihm vor zwanzig Jahren zugeeignet hatte: »Die Bestien zu bändigen ist Artistik«, so der Legendäre, »Artistik aber ist Aufschub, mon jeune ami, und irgendwann muss jeder Bändiger sich dem so kunstvoll hinausgeschobenen Kampf stellen.« Bandinello hatte davon geträumt, die Ungeheuer, die er ein Leben lang dressiert und zu Ritualen der Unterwürfigkeit gezwungen hatte, bei seinem allerletzten Auftritt vor den Augen seines Publikums zu töten, dachte d’Alembert, indem er das erste Wurfmesser aus dem Futteral zog. Er sah über die Schulter zurück, doch Markéta saß nicht mehr hinter ihm. Vergeblich versuchte er sich zu entsinnen, ob sie vorhin schon, zusammen mit Lisetta und Lenka, am Seil hinabgeklettert war oder zu irgendeinem späteren Zeitpunkt. Sie sucht den Nabellosen, dachte er, und ihren Bader, wog das Messer in seiner Hand und warf es mit einer eleganten, tausendmal erprobten Gebärde hinab. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte er den Flug der wirbelnden Waffe und zog schon das nächste Messer hervor, als zwanzig Schritte unter ihm Oblion zu Boden ging, die Klinge bis zum Heft in seinem Lumpenherz.

Ein Wurfmesser nach dem anderen zog d’Alembert aus dem Hirschfutteral, mit gleichmäßigen Bewegungen. Er zielte und warf, traf und tötete, erleichtert, dass das Verderben, das er Hezilows Häschern sandte, seinen Geist von den Bildern ablenkte, die dort hinten im Gewölbewinkel seines Bewusstseins lauerten.

Am ärgsten war der Anblick der Kreatur im mittleren Glasballon gewesen: ungewiss, ob Maid, ob Knabe, die Gestalt formlos, kochend rot, die Augen aufgerissen, der Mund geöffnet wie zu einem stummen Schrei. Durch gläserne Röhren waren die Säfte aus den beiden anderen Ballons in die Kugel der Kreatur geflossen, Weiberblut und spermium, wie es die finstere Lehre befahl. In der Stirn jenes Wesens aber klaffte ein fingerbreiter Spalt, der sich von der Nase lotrecht aufwärts zog. Und just als das Seil unter d’Alemberts letztem Axthieb entzweigegangen war, der Ballon mit grellem Scheppern zu Boden stürzte, in Fontänen von Splittern zerplatzte, die Kohleglut zischend erlosch, Qualm sich mit Wasserdampf zu wundersamen Wahngebilden mischte - just da irrte sein Blick zur Kreatur im mittleren Glasballon ab, und ihm war, als ob vor ihrer Stirn ein winzig kleines Menschlein schwebte, durchscheinend, ein bläulicher Engel, nur einen Lidschlag später schon verblasst.

Erschreckend, dachte d’Alembert nun, wie viele Gehilfen Hezilow in so kurzer Zeit um sich geschart hatte, weit mehr, als sein Futteral an Wurfmessern hergab. Noch einmal zielte er sorgsam, hob die Waffe und sandte den funkelnden Tod zu Unçerek hinab. Die Befreiten würden dafür sorgen, dass keiner ihrer Peiniger entkäme. Gezackte Glasscherben schwingend, tauchten sie aus dem Schatten der Säulen hervor, warfen sich auf die fliehenden Gesellen, schlitzten ihnen die Kehlen auf, noch während sie ihre Beute zu Boden rissen.

Nur vom Herrn dieser Hölle war kein Wärzlein, keine Stockspitze und kein Lumpensaum mehr zu sehen. Der Puppenmacher ist am Ende, dachte d’Alembert dennoch, auch wenn er selbst nicht dort unten bei seinen Puppen liegt. Auch nach Markéta, Lisetta und den Zwillingen hielt er vergebens Ausschau, und als Charles auch noch der »flammenblaue Engel« wieder in den Sinn kam, wuchs seine Sorge, dass der Magister sich doch noch herauswinden könnte, zu qualvollem Unbehagen.

Er beschloss zu landen. Erst wenn Hezilow vor der Majestät und ihrem Bastard kniet, dachte er wieder, erst wenn er eingesteht, dass alles schlau ersonnenes Blendwerk war - das Gold, der Nabellose, die Töpfe voll Homunkel -, erst dann ist der Lumpenteufel wahrhaftig besiegt.

83

Das Alchimistenlabor bot einen teils grauen-, teils mitleiderregenden Anblick. Überall reglose Körper am Boden, Lumpenkerle mit Wurfmessern in der Brust oder mit gezackten Schnitten durch die Kehle - tatsächlich war von Hezilows Gesellen nicht ein Einziger mehr am Leben. Zwischen den Leichen saßen die Befreiten auf Schemeln oder lagen der Länge nach im Staub, einander küssend und umarmend, dabei von unerhörten Qualen stammelnd, die der Lumpenteufel ihnen selbst oder ihren Leidensgefährten zugefügt hatte.

Nur Hezilow hielt sich noch immer verborgen. Lisetta und die Zwillinge waren ein halbes Dutzend unterirdischer Gänge abgelaufen, die vom Felsensaal strahlenförmig in alle Richtungen abzweigten, sich verästelten, in Treppen, Rampen, Schächte mündeten, doch von Hezilow und Flor fand sich nirgends eine Spur. Unabweisbar sah d’Alembert nun seinen Argwohn bestätigt: Sein Widersacher hielt ihn abermals zum Narren.

Er saß auf einem Schemel inmitten des Labors, die Ellbogen auf seine Knie, den Kopf in die Hände gestützt. Seit er von Hezilows Flugapparat abgestiegen war, empfand er wieder, wie sehr sein Leib vom Fieber verwüstet war. Er spürte ein Summen und Beben in jeder einzelnen Faser, so als ob er noch immer auf dem rüttelnden Untier säße.

Zweifellos hatte er diese Partie gegen Hezilow gewonnen, warum fühlte er dennoch nicht den schwächsten Triumph? Wieso hatte der Magister die Partie hier unten so bereitwillig verloren gegeben? Weshalb alle eigenen Figuren hingeopfert, Oblion, Täkie und zwei Dutzend ihrer gleichförmigen Kumpane? Warum die Befreiung der gegnerisch Gefangenen hingenommen - alles ohne Gegenwehr?

Weil der listige Magister wusste, dass das Spiel für ihn verloren war und er nur noch versuchen konnte, durch Flucht sein blankes Leben zu retten? Oder weil er sein Heil nun auf einem anderen Schauplatz suchen würde, beispielsweise am kaiserlichen Hof zu Prag?

Nur die Ruhe bewahren, mahnte sich d’Alembert, selbst wenn Hezilow durch einen der geheimen Schächte in die Oberwelt entfliehen konnte, war das Spiel gleichwohl für ihn verloren. Wie wollte er schließlich noch verhindern, dass seine abscheulichen Taten ruchbar wurden? Auch die gräflichen Gardisten würden ihm sicherlich nicht beistehen, wenn sie sehen müssten, dass ihre eigenen Freunde, Eltern oder Kinder unter dem Vorwand der Pestilenz verschleppt und hier unten auf teuflische Weise gepeinigt worden waren. Nicht einmal Don Julius, der allzu duldsame, allzu lenkbare Kaiserbastard würde dem Magister noch beispringen, dachte d’Alembert, wenn er die Aufgeknüpften hinten im Gewölbewinkel mit eigenen Augen sähe - selbst Julius müsste den Lumpenteufel dann fallen lassen, wenn nicht aus Moral oder Menschenliebe, so zumindest aus Furcht vor der väterlichen Majestät.

Lenka und Fabrio schlichen um den Drachen herum, der mit seiner schwarzen, unverkennbar aus Menschenhaar gewobenen Mähne einen schauerlichen Anblick bot. Unter der Behaarung war ledrige Haut zu sehen, die ein Gerippe feiner Knochen umspannte. Und d’Alembert dachte, dass Hezilow sicherlich den ganzen Apparat aus menschlichen Überresten gefertigt hatte, nicht nur die schwarze Mähne, zumindest entspräche das seinem lumpigen Stil. Denn am Ende, sagte sich der Maître, war Jurij Hezilow eben doch nur ein Puppenmacher, der aus Fäden und Fetzen plumpe Puppen schuf. Nein, der Magister war besiegt und geschlagen, und auch wenn er nun noch versuchte, durch wirre Flucht das Ende hinauszuzögern, so war seine Macht über Geist und Herz von Julius und der väterlichen Majestät doch ein für alle Mal verspielt.