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»Madame«, sagte er, ohne den Blick von der Staffelei zu wenden, »Ihr steht vor dem König: Auf welche Weise wünscht Ihr uns zu dienen?«

Die Stradovä nahm seine Hände in die ihren. »Julius, mein lieber Sohn«, sagte sie leise, »ich bin es, Eure Mutter, bitte schaut mich an.«

»Wohin wir auch schauen, wir erblicken die Majestät: Uns selbst«, gab Julius in würdevollem Ton zurück. Weiterhin haftete sein Blick auf dem unfertigen Gemälde, und für einen Moment schien es Markéta, als ob er gleich wieder in Tränen ausbrechen würde.

Das war in den letzten Tagen mehrmals geschehen, wie ein Wildbach, wie der Schmerz eines kleinen Kindes, wie die Angst eines verstörten Tieres brachen die Tränen dann aus ihm hervor. Seine Trauer bereitete ihr selbst fast unerträgliche Qualen, dagegen erschien ihr die Verdunklung seines Geistes fast wie eine Gnade. Auch wenn er in seinem Königswahn nur noch mit sich selber umzugehen schien, litt er so zumindest weder Angst noch Schmerzen.

»Er erkennt Euch nicht, Madame«, sagte sie, »er erkennt niemanden. Aber wartet nur«, fuhr sie hastig fort, »lasst Eure Nähe nur ein wenig auf ihn wirken, dann wird sein Geist sich wieder lichten.«

Julius entzog der Stradovä seine Hände und rieb sie mehrfach gegeneinander, als ob er sie reinigen wollte. Dann nahm er seine frühere Haltung wieder ein, gerade aufgerichtet, auch das Haupt mit der Krone so stolz emporgereckt wie bei seinem leeren Ebenbild.

»Aber man muss das Werk wegnehmen!«, rief Katharina aus. Für einen Moment schien sie die Fassung zu verlieren. »Man muss das Werk wegnehmen, sonst büßt er tatsächlich noch den Verstand ein!«

Sie machte einen Schritt zur Staffelei hin, ihr Kleid rauschte und glitzerte wie eine Winterwolke, die am Himmel blendend hell vorüberzieht. Als sie ihre Hand hob, um das Bild von der Staffelei zu nehmen, begann Julius zu schreien.

»Die Finger von unserm Spiegel, Krötenweib! Scher sie sich weg, sonst lassen wir sie filetieren! Die Brüstchen gebraten, das Ärschlein gebacken, die Fotz mit Kastanienpaste gestopft!«

Katharina machte förmlich einen Satz zur Seite; im selben Moment verstummte Julius und kehrte zu seiner früheren Haltung zurück. Nun glitzerten tatsächlich Tränen in den Augen der mütterlichen Mätresse. Markéta warf ihr einen fragenden Blick zu und deutete zu den Fauteuils auf der anderen Seite des Salons.

»Wir sind der König«, sagte Julius auf seinem Thronsessel. »Auf welche Weise wünscht Ihr uns zu dienen?«

»Auf jede erdenkliche Weise, Majestät, die Euch und Eurem Reich von Nutzen ist.« Markéta lächelte ihn an, und obwohl er unverwandt auf das Gemälde starrte, schien es ihr, als ob über sein Gesicht ein schwaches Leuchten zöge.

Sie setzten sich auf die Sessel vor Julius’ Kamin, über dem riesenhaft das Rosenberger Wappen prangte. »So ist er seit drei Tagen«, sagte Markéta, die nun auch nicht mehr an sich halten konnte. Sie tupfte sich mit einem Tuch über die Augen, dann schniefte sie, jede Noblesse vergessend, kräftig hinein. »Seit Monsieur d’Alembert ihm berichtet hat, dass Magister Hezilow davongeflogen ist.«

»Geflohen, wolltet Ihr sagen.« Wie aufs Stichwort trat der baumlange Oberst Hoyos durch die Tür, gefolgt von Julius’ Kammerdiener Robert, der hinter seinem Rücken halbherzig buckelte. »Ihr schenkt doch den törichten Mären nicht etwa Glauben, Madame?«

»Maître d’Alembert hat mit eigenen Augen gesehen, wie er davongeflogen ist, und vor ihm auf dem Drachenvieh ... der arme Flor!«

Wieder zog sie das Tuch aus ihrem Ärmel und schniefte hinein.

Katharina schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln, dann wandte sie sich dem Oberst zu. »Nehmt Platz, Hoyos, ich bitt Euch. Was hat die Untersuchung erbracht?«

Der kaiserliche Offizier, hager wie ein Winterbaum, verbeugte sich und setzte sich auf den Rand eines Sessels. Ein dünner grauer Bart rahmte sein längliches Gesicht, das wie geschnitzt aussah. »Der so genannte Drache«, meldete er mit unverkennbarem Widerwillen, »wurde von einem Katapult abgeschossen. Ein Dutzend starker Metallfedern, keinerlei Magie. Das reichte mit genauer Not, um die Last über die Burgmauern zu schießen, dahinter ist das plumpe Truc dann abgestürzt.«

»Und Flor?« Markéta schrie seinen Namen hinaus, ihre Angst, ihre Trauer, ihren Schmerz. »Bitte sprecht doch: Habt Ihr Nachricht von ihm?« Alles und jedes, was ihr lieb und teuer war, hatte der teuflische Magister zerstört, getötet, mit ins Verderben gerissen, das Leben des Baders und die Seele ihres Geliebten. Nach allem auch Flor noch zu verlieren, dachte sie, wäre mehr, als ich ertragen könnte.

Oberst Hoyos zog knorrige Augenbrauen zusammen. »Ihr meint den so genannten Nabellosen, nehme ich an.« Einen Moment lang sah er sie aus schwarzen Augen an, die ihr so rund und leer wie Astlöcher schienen. »Nein, Madame, von diesem Subjekt liegen mir keine Nachrichten vor.« Er drehte sich wieder zur Stradovä, wobei er im Sitzen leicht die Hacken zusammenschlug. »Madame da Strada, die Untersuchung also hat Folgendes erbracht. Der Magister hat sich über die Burgmauer katapultiert und ist aufs Steilufer über der Moldau geprallt. Dort jedenfalls fanden sich Spuren, die kaum einen anderen Schluss erlauben: schwarze Haarbüschel sowie Fetzen gegerbter Menschenhaut. Beides soll der Magister zum Bau seines Apparates verwendet haben.«

Der Oberst unterbrach sich und warf einen Blick zu Graf Julius hinüber. Seine Miene drückte Unschlüssigkeit und Unbehagen aus.

»Wäre der Apparat dort zerschellt«, sagte Markéta rasch, »am Fels über der Moldau, Herr Oberst, hätten Eure Leute dann nicht mehr finden müssen als die paar Fetzen Haut und Haar?«

Wieder bedachte Hoyos sie mit einem Blick aus leeren Astlochaugen. »Die Trümmer müssen den lotrechten Felsen hinabgerutscht und in den Fluss gefallen sein, ebenso der Körper des Magisters, lebend oder tot.«

»Aber die Moldau ist zugefroren!«

»Der Fluss wird noch abgesucht. Seid versichert, Madame, dass wir genügend Trümmer finden werden, um die einfältige Legende zu widerlegen.«

Markéta ahnte nur zu genau, welche »einfältige Legende« der Oberst meinte. Seit Tagen übertrumpften sich die Leute unten in der Stadt mit immer phantastischeren Mären vom Drachenflug des Teufelsmagisters und seiner nabellosen Kreatur. Die meisten Fürsprecher aber fand eine Geschichte, die auch in Markétas Ohren recht schlüssig klang.

»Die Leute erzählen«, sagte sie zur Stradovä, »dass der Magister auf seinem Drachen über die Moldau und die ganze Stadt hinweggeflogen wär. Drüben beim Budweiser Tor soll er im Wald gelandet sein - oder abgestürzt, wie manche sagen. Und dass niemand dort eine Spur von Hezilow oder von Flor gefunden hat, wär dann auch wirklich kein Wunder, Madame:

Vorm Stadttor haust ja der Scharfrichter Schatz zwischen Galgenplatz und Rabenacker, und Schatz kann ihm Kutsche oder Reitpferd besorgt und alle verräterischen Spuren beseitigt haben. Die Leute sagen jedenfalls, dass Hezilow und Flor wohl schon außer Landes waren, bevor der Syrakuser auch nur auf dem Weg nach Vargasz war.«