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»Und die Spuren oben am Felsenufer?«, fragte Hoyos.

»Es kann ja sein«, legte sich Markéta ins Zeug, »dass der Drache dort aufgeschlagen ist, nachdem sie über die Mauer hinweg waren, aber dann sind sie weitergeflogen, bis rüber in den Wald.«

»Und besagter Schatz«, wollte die Stradovä wissen, »warum sollte der Scharfrichter so verbrecherische Händel mit dem Magister eingehen?«

»Das wiederum ließe sich ohne Magie und Aberglauben begreifen«, räumte der Oberst knarzend ein. »Auch den Scharfrichter hab ich inhaftieren lassen: Er soll dem Magister die zum Strang Verurteilten verschachert haben, und Hezilow hat sie dann in seinem Keller umständlich zu Tode gebracht.«

»Und von alledem hat hier in der Burg niemand gewusst?« Katharina da Strada sah Markéta argwöhnisch an. »Julius nicht, Ihr nicht, Madame, und nicht einmal der Maître? Ich versteh’s nicht, und umso weniger, je länger ich das Gespinst zu durchdringen versuche. Zumindest d’Alembert müsste doch .«

»D’Alembert?«, echote es da vom Fenster her. »Herbei mit ihm, Wir sind der König: Auf welche Weise wünscht Ihr uns zu dienen, d’Alembert?«

Die Stradovä und der Oberst wechselten betretene Blicke, Markéta aber erhob sich und nickte ihnen zu.

»Später will ich versuchen, alles zu erklären. Jetzt entschuldigt mich - ich muss zu Julius gehen.«

85

»Eure Verachtung schmerzt mich, Katharina, doch weit ärger trifft mich Euer Verdacht, dass ich Julius verraten hätte.«

»Wieso glaubt Ihr, dass ich Euch verdächtigte, Monsieur?«

Wenn Ihr keinen Argwohn gegen mich hegt, warum beteuert Ihr es nicht geradeheraus? D’Alembert war zu höflich, zu resigniert, vor allem aber viel zu erschöpft, um die mütterliche Mätresse mit dieser Gegenfrage herauszufordern. Er saß in Julius’ Salon, in demselben Fauteuil, in dem vor kurzem noch Markéta den Vorhaltungen der Stradovä gelauscht hatte. Als sie ihn zu sich rufen ließ, hatte er für einen Augenblick erwogen, sich zu verweigern, aber das kam nicht ernstlich in Betracht. Katharina hatte ein Recht darauf, dass er vor ihr Rechenschaft ablegte, ein letztes Mal.

»Ich habe versagt, Euer Vertrauen enttäuscht, Madame.« Er beugte sich vor und ließ sich gleich wieder in den Sessel zurücksinken.

»Aber verraten habe ich ihn nicht.«

Oder jedenfalls anders, als Ihr glaubt.

Er sah ihr ins Gesicht und hatte Mühe, sich in Erinnerung zu rufen, was ihn an dieser Frau so sehr verzaubert hatte. Eure listenreiche Liebenswürdigkeit und meisterliche Selbstbeherrschung, Katharina, und wofür all das? Ein Leben lang verlarvt - zu welchem Ende?

»Ihr hattet die Gewalt über die Burg, über Julius, über alle Geldtruhen und Schlüssel«, sagte sie heftig, »Ihr wart der eigentliche Graf von Krumau, Maître d’Alembert!« Ihr Seidenkleid gleißte wie ein ganzer Winterwaid. »Wie konnte es geschehen, dass Euch die Macht so sehr entglitten ist?«

»Ich war krank, Madame, ich bin es noch.« Er zwang sich, ihr ins Gesicht zu sehen, in ihre braunen Augen, die so viel Wärme, so viel Sympathie vorspiegeln konnten. »Der Löwe, der mir in der Brust saß, hat mein Innerstes zernagt«, fuhr er fort, »lang werde ich nicht mehr leben. Aber versteht mich recht. Katharina: Das Fieber entschuldigt nicht mein Versagen, es war nur der Vorschein meiner Unzulänglichkeit.«

In den letzten Nächten hatte er nur noch von Feuersbrünsten, berstenden Flussbetten, überkochenden Ozeanen geträumt. Der ganze Hradschin war in sich zusammengestürzt, all seine hundert Türme, Zinnen, Giebel knirschend und knackend zusammengesackt, während von der Stadt her eine dunkle Flut emporgequollen war, mit blutroten Schlieren marmoriert.

Doch von alledem berichtete er Katharina da Strada nichts.

Durch die Tapetentür neben dem Kamin trat Johanna von Waldstein ein, in funkelnd schwarzem Kleid, gefolgt von ihren Dominikanerinnen. D’Alembert ertappte sich bei der knäbischen Hoffnung, der Stradovä entschlüpfen zu können, wenn ihre Aufmerksamkeit durch die heiligen Weiber hinlänglich abgelenkt würde. Doch er blieb sitzen, wo er saß, so stumm wie Katharina sah er zur Waldstein und zu den Nonnen hinüber, die in feierlicher Prozession auf Don Julius zuwandelten und hinter seinem Sessel Aufstellung nahmen.

»Pater Miguel rät zu Dauergebeten«, verkündete Johanna, »um die gräfliche Seele dem Teufel zu entreißen.« Sie äugte zur Stradovä herüber, den Kopf vogelhaft schief gelegt, umfasste das Kruzifix, das sie an einer Perlenkette vor dem mageren Busen trug, und reckte es jählings empor. Die zwölf heiligen Weiber taten es ihr nach, alle dreizehn Münder klappten gleichzeitig auf und begannen in kreischendem Diskant zu singen:

»Der dunkle Weg, den er betrat, Geht in den Himmel aus, Und wer nur hört auf seinen Rat, Kommt auch in Vaters Haus!«

D’Alembert suchte Katharina da Stradas Blick zu erhaschen, aber die mütterliche Mätresse sah mit steinerner Miene zu ihrem Sohn hinüber, der von den frommen Fortissimi wenig zu bemerken schien. Wie eine lebensgroße Puppe saß Julius auf seinem Thron und starrte unverwandt auf das Porträt, das zwei Schritte vor ihm auf der Staffelei stand. Wenn er sich überhaupt einmal regte, dann einzig, um seinen Hals gerader zu recken oder seine Schultern wieder zu straffen, die unter der Last der Fürstenkrone zu erschlaffen drohten.

Puppenmacher, dachte d’Alembert mit einem Mal, so nennt sich der Magister ja mit fürchterlichem Recht: nicht weil er tote Puppen lehrt, sich zauberisch zu regen, sondern umgekehrt -weil er aus beseelten Menschen stumpfe Puppen macht, aus Flor, aus Julius, und gewiss aus tausend anderen.

Der Gedanke erschreckte ihn, und er grübelte noch darüber, als die Stradovä ihn schon mit weiteren Vorwürfen beschoss, mit erhobener Stimme, um den heiligen Gesang zu übertönen: »Ihr hättet mir ein Zeichen senden müssen, Maître, einen Hilferuf! Ich hab mich auf Euch verlassen, zwanzig Jahre lang! Immer habt Ihr Euch mit mir beraten, wenn die Dämonen ihn wieder einmal plackten - warum diesmal nicht? Wieso habt Ihr zugelassen, dass der schreckliche Magister sich mit seinen schwärzesten Geistern verbündete, sie bestärkte und zum Ausbruch trieb? Warum nur habt Ihr mich diesmal nicht gerufen, weshalb habt Ihr mir keinen Boten geschickt - oder erst, als die Teufel schon Wochen und Wochen wüteten?«

D’Alembert senkte den Kopf. »Aus Angst und aus Stolz, Madame. Ihr seht, ich offenbare Euch mein Herz wie stets: Ich schwieg aus Angst, dass der väterliche Zorn ihn vollends vernichten müsste, wenn nach dem letzten Prager Zwischenfall noch weit ärgere Kabalen ruchbar würden. Und ich schwieg aus Hoffart, Katharina: Tatsächlich hoffte ich bis zuletzt, dass ich, ich allein die tausend Teufel bezwingen könnte, die Dämonen in Julius’ Seele und den Satan Hezilow dazu. Doch so viel Selbstgefälligkeit fordert den Spott der Götter heraus. Sie straften mich und rissen Euren Sohn mit ins Verderben.«

Er blickte auf und sah die Ungeduld in ihrem Blick. Sie glaubt mir kein Wort, dachte d’Alembert, und mit einem Mal war es ihm gleich. Haltet mich für einen Verräter, für einen eitlen Schwätzer, was immer Euch beliebt. Ich bin müde, Katharina. Das ganze bunte Maskenspiel, das Ihr noch immer Eure Welt nennt: vorbei.

Katharina da Strada beugte sich aufs Neue vor, um ihn mit einem weiteren Schwall wohlerwogener Vorwürfe zu übergießen. »Die Schatztruhen geplündert«, glaubte d’Alembert zu verstehen, »das gesamte gräfliche Vermögen an den russischen Betrüger vertan!« Doch Johanna und ihre Nonnen sangen nun so schallend, dabei die Kruzifixe rhythmisch gen Himmel reckend, dass er fast nur noch die Mundbewegungen der Stradovä wahrnahm, und während er auf ihre auf- und zuschnappenden Lippen sah, schien es ihm mit einem Mal, dass Katharina in den frommen Gesang eingestimmt hatte:

»Hinunter in das tiefe Meer Versank des Todes Graun, Und jeder kann nun leicht und hehr In seine Zukunft schaun!«