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D’Alembert erhob sich aus seinem Sessel, verneigte sich vor der mütterlichen Mätresse und schritt aus dem Salon.

Ich wollte Puppenspieler sein, nicht nur Spielfigur, dachte er, und deshalb trifft mich Euer Verdacht so sehr, Madame, obwohl Ihr ihn ganz anders meintet. In gewisser Weise habe ich mich tatsächlich wie der Puppenmacher gebärdet, Julius und Markéta, Fabrio und Lenka und alle anderen wie Schachfiguren umhergeschoben, geopfert, geschlagen, verwandelt. Und aus welchem Grund, Madame? Weil es meiner Eitelkeit schmeichelte, Spieler statt Spielfigur zu sein, den Göttern zugehörig und nicht bloß ihren Kreaturen.

Langsam ging er den Flur voll altersdunkler Ahnenbilder entlang, fröstelnd vor Müdigkeit.

Aber das alles werde ich Euch nicht gestehen, Katharina, es wäre eine sinnlose Beichte, die Ihr nur missdeuten könntet. Mein Verrat an Julius war nicht ärger, nicht einmal anders als der Eure, den auch Ihr immer schon begingt an ihm, an Eurem Bastardsohn, der für Euch stets nur eine Puppe war. Euer teuerstes Besitztum, Katharina, eine goldene Marionette, durch deren Adern der kostbarste Saft dieser Welt fließt: Habsburgerblut.

D’Alembert trat in seinen Salon, ging zu seinem Hirschsofa und sank hinein. Alles, was er in den letzten Monaten, ja in den Jahrzehnten seines Aufstiegs und viel beneideten Lebens als Schutzherr des Kaiserbastards gedacht und geglaubt, erkämpft und verteidigt hatte, schien ihm mit einem Mal fremd, unsinnig, Narretei. Ein Labyrinth wirrer Irrtümer, in dem umhereilend er sein Leben versäumt hatte.

»Ich bin müde«, sagte er zu Fabrio. »Setz dich zu mir.«

Der Syrakuser schmiegte sich an seine Seite. »Die Lenka ist ganz außer sich«, plapperte er gleich los, »weil ihr Satansfratz nicht mehr im großen Saal steht.«

D’Alembert tat es mit einem Schulterzucken ab. Seine Gedanken waren weit von Lenka oder ihrem steinernen Knäblein in seiner Welt aus Spiritus entfernt. Auch dir, Geliebter, dachte er, werde ich nicht erzählen, was ich im Geheimen dachte, als ich dich nach Vargasz sandte: dass du der Bauer seist, den ich zur äußersten Linie des Gegners vorschieben müsste, damit er sich dort für die weiße Königin opfert.

Er legte seinen Arm um Fabrios Schultern, sah ihn von der Seite her an, und ein scharfer Schmerz fuhr durch seine Brust. Ich war bereit, dich zu opfern, Fabrio, unter entsetzlichen Schmerzen, und gerade diese Qualen hätten mir bewiesen, wie grandios ich bin, wie selbstlos, wie sehr über diese Puppenwelt erhaben.

Tatsächlich wäre ihm das Opfer fast gelungen - in d’Alemberts weißem Pelz, auf seinem Schimmelhengst hatte sich Fabrio auf den gefahrvollen Weg gemacht, kaum dass der Lumpenteufel ausgeflogen war. Schon die Stadt zu verlassen, hatte Kühnheit erfordert, denn auf Mulars Befehl waren Tore und Mauern bei Tag und Nacht bewacht worden. Doch Fabrio hatte traumwandlerisch zu einem der Gardisten gefunden, die seit langem nach dem schönen Syrakuser schmachteten, sich einen Kuss und wenig mehr ablisten lassen und war durchs Tor hindurch.

Bei scharfem Frost trug ihn der Hengst des Maître binnen zweier Stunden bis hinauf nach Vargasz, an die nördliche Grenze der Grafschaft, wo wiederum Gardisten standen. Argwohn schlug ihm im Dorf entgegen, allzu frisch die Wunden, die Unçerek und Fondor geschlagen hatten, niemand war bereit, ihm einen Pfad vorbei an den Grenzern zu weisen.

Im Abenddämmer versuchte er es auf eigne Faust. Ein schmaler Pfad zog sich vom Weiler zum Wachposten hinauf, spiegelnd vor Eis, durch winterkahlen Wald. Keine Deckung für Pferd und Reiter, keine Bahn, auf der sich notfalls fliehen ließe. Er stellte das Pferd bei einem Bauern unter, bleichte sein Gesicht mit Talg, den er vorsorglich mitgenommen hatte, band ein weißes Tuch um seinen Schopf und kroch bei sinkender Sonne den Wald hinauf. Schneewehen, umgestürzte Bäume gaben dürftige Deckung, Raben krahrahten in den kahlen Wipfeln Alarm, einmal krachte ein Schuss, keine dreißig Schritte voraus: Einer der Grenzsoldaten hatte blindlings die Pistole abgefeuert, verängstigt oder gelangweilt, Fabrio jedenfalls blieb so lange hinter seinem Baumstamm liegen, bis er auf dem Eis fast angefroren war.

In dunkler Nacht war er endlich bis auf drei Schritte heran. Ein Feuer mitten auf dem Pfad, daneben eine Hütte, eine Gestalt, die schwarz und katzenhaft reglos bei den Flammen hockte. Dahinter wieder Wald, und der dunkle Würfel zwanzig Schritte weiter, das musste schon die Poststation sein, wo der Bote der Stradovä saß.

Sich den Weg wiederum freizukaufen, durch erduldete Küsse und Ärgeres, schien selbst dem Syrakuser zu gefährlich. Nicht jeder Gardist war bereit, für ein paar Augenblicke saftigen Gerangels sein Leben hinzugeben. Also zog Fabrio das Messer hervor, das er auf d’Alemberts Geheiß aus dem gräflichen Schlachthaus entwendet hatte, schlich noch näher an den Wachposten heran, stürzte sich auf ihn und hatte seine Kehle schon durchgeschnitten, ehe der Kater auch nur Auweh miauen konnte.

Fabrio ließ ihn zu Boden gleiten, schob das Messer mit zitternder Hand zurück in d’Alemberts Umhang und rannte, so schnell er konnte, auf spiegelglattem Pfad weiter, bis zur Poststation, wo er gegen das verrammelte Tor schlug und nach langem Fluchen und Flehen herausfand, dass der kaiserliche Bote einen sieben Krüge tiefen Schnapsrausch ausschlief.

Nachdem der Syrakuser in die Schlafkammer des Ungetreuen vorgedrungen war, den brummigen Boten wachgerüttelt, das blutige Messer vorgezeigt, d’Alemberts Brief ausgehändigt, den Kerl in seine Stiefel geflucht und ihm alle Seuchen dieser Welt an den Hals gezetert hatte, für den Fall nämlich, dass er nicht stracks nach Prag reiten und der Stradovä den Brief des Maître aushändigen würde, warf Fabrio den Winterumhang d’Alemberts ab und sich selbst ins Bett des Boten, wo er so lange verkrochen blieb, bis Oberst Hoyos ihn wecken ließ und die Dame in Weiß ihm befahl, in ihre Kutsche einzusteigen.

Und rätselhaft, dachte nun d’Alembert, indem er sich von Fabrio auf die Beine helfen ließ - unbegreiflich bei alledem ist ja nur, warum ich vor drei Tagen noch glaubte, ihn durchaus dorthin schicken zu müssen, in tödliche Gefahr. Wieder und wieder hatte er geträumt, wie Hezilow und er selbst einander in zwei Eichkronen gegenübersaßen, droben im Schlosspark, und unter ihnen standen oder hockten ihre Figuren, schwarze und weiße, hier die Lumpenkerle, dort die Maler, Musiker, Syrakuser, hintersinnig verteilt im Gras. Und d’Alembert hatte den Bauern Fabrio zur äußersten gegnerischen Linie gesandt, und die weiße Dame Katharina war tatsächlich erschienen; und gleichwohl war es ein ganz und gar sinnloser Zug, dachte der Maître, aus mindestens zwei Gründen.

Weil weder Weiß noch Schwarz jemals dieses Spiel gewinnen konnten, in dem es nur einen König gab. Und weil wir das Spiel unsres Lebens schon verloren haben, wenn wir bereit sind, unsere Geliebten zu opfern für einen wie auch immer ausgeklügelten Plan.

Einige Augenblicke grübelte d’Alembert diesen Gedanken noch hinterher, aber sie zerfaserten schon wie Nebelschwaden in der Morgensonne.

Der Syrakuser half ihm, sich auf sein Lager zu betten, und nachdem er die Phiole geöffnet und die dunklen Tropfen in Champagner gelöst hatte, schlüpfte Fabrio unter die Hermelindecke d’Alemberts.

»Vergiss nie, was du mir versprochen hast.«

»Keine Tränen, keine Trauer«, krächzte Fabrio, »ich gelob’s.«

D’Alembert leerte den Schierlingskelch, wie er es sich seit langem ausgemalt hatte: in gelassener Stimmung, nach stiller Rückschau, den Geliebten in seinen Armen.

86

Die Stallburschen lauerten linkerhand hinter den Fenstern, die Kuchelmägde zur Rechten, doch es war ihr gleich. Vom Butterhaus her erklang gedämpftes Prusten, aus der Schmiede ein gepresster Ausruf:

»Meiner Lieb, der närrische Graf!«

Julius hört es ja nicht, sagte sich Markéta, er lebt in seiner eignen Welt, in der niemand seine Majestät bezweifelt oder gar verlacht.