»Wem es genau gehörte, ist umstritten«, sagte Saluus. Auch er sprach leise, und auch er blickte auf zu den glatten Rippen der Decke, die sich, im Dämmerlicht gerade noch erkennbar, mehr als dreihundert Meter über ihnen wölbten. »Registriert wurde es als Sceuri-Wrack – die Sceuri hatten einen Bergungstrupp ihrer Kriegsgräbereinheit geschickt, um es auszuräumen – doch dann wurde es wohl von jemand anderem beschlagnahmt oder geraubt. Und man nimmt an, dass die Besatzung sehr gemischt war, aber zumeist aus Schwimmern bestand: Wasserweltb ewohnern. Ursprünglich könnte es sogar ein Schiff der Oerileithe gewesen sein, die Bauweise passt zu den Klein-dwellern. aber ein Kriegsschiff war es sicherlich.«
Taince schnaubte. Sal sah sie an. »Bitte?«
»Auf keinen Fall«, sagte sie, »ist es ein Nadelschiff.«
»Habe ich das behauptet?«, fragte Sal.
»Wenn überhaupt, dann wäre es eine ziemlich fette Nadel«, sagte Fassin. Er drehte sich um die eigene Achse und folgte mit den Augen der Wölbung der Schiffswände in die Dunkelheit hinein bis dahin, wo etwa einen Kilometer entfernt die eingedrückte Nase im Boden steckte.
»Es ist kein Nadelschiff«, protestierte Sal. »Ich habe nie gesagt, dass es ein Nadelschiff ist.«
»Siehst du«, sagte Taince. »Jetzt hast du alle verwirrt.«
»Jedenfalls«, sagte Sal, ohne darauf einzugehen, »behauptet ein Gerücht, man hätte zwei Voehn-Leichen aus den Trümmern gezogen, und das macht es eigentlich erst interessant.«
»Voehn?« Taince lachte laut auf. »Tote Dornflosser?« Ihre Stimme triefte vor Verachtung. Sie lächelte sogar, und das erlebte man bei ihr nicht jeden Tag. Schade, dachte Fassin, denn ihr glattes, etwas zu breites Gesicht – der Schädel war vorschriftsmäßig kahl rasiert – bekam dann etwas Koboldhaftes, das sehr anziehend war. vermutlich war genau das der Grund, warum sie so selten lächelte. Fassin fand ohnehin, dass Taince in ihrer schwarzen Freizeitkombination sehr gut aussah. (Die anderen trugen die übliche strapazierfähige Wanderkleidung, wobei Sals Sachen natürlich dezent, aber doch deutlich besser und zweifellos unverschämt viel teurer waren.) Tainces Anzug beulte sich zwar an den seltsamsten Stellen aus, lag aber da an, wo es wichtig war, und ließ keinen Zweifel daran, dass man keinen Army-Boy, sondern ein Army-Girl vor sich hatte. Hier im Halbdunkel wirkte der Stoff so matt und schwarz wie die Schatten. Offenbar verfügten bei den Nav-Streitkräften sogar die Freizeitanzüge der Rekruten über eine integrierte Tarnfunktion.
Jetzt schüttelte Taince den Kopf, als traute sie ihren Ohren nicht. Selbst Fassin, der schon bald nach dem Einsetzen der Pubertät über das zwanghafte Interesse jedes Jungen an allem, was mit Militär und Aliens zu tun hatte, mehr oder weniger hinausgewachsen war, hatte von den Voehn gehört. In den Medien wurden sie gewöhnlich als lebende Legenden oder fast mythische Kriegshelden bezeichnet, doch das war eine Verharmlosung. In Wirklichkeit waren sie Einsatzkräfte und Leibwächter der neuen Herren der Galaxis.
Die Voehn waren gnadenlos und durch nichts zu erschüttern, hoch intelligente Alleskönner, fast unzerstörbar, unter allen Lebensbedingungen einsatzfähig und seit etwa neuntausend Jahren unbesiegt. Diese Übersoldaten waren die martialischen Idole der Epoche, das Nonplusultra an militärischer Perfektion für alle Spezies, aber sie waren selten, nicht sehr zahlreich und weit verstreut. Wo sich die neuen Herren, die Culmina, aufhielten, waren auch die Voehn zu finden, aber nur an wenigen anderen Orten. Zumindest soweit Fassin wusste, hatte in diesen neun Jahrtausenden kein einziger Voehn jemals das Ulubis-System und seinen Hauptplaneten Sepekte betreten. in die Nähe von Nasqueron waren sie schon gar nicht gekommen, und auf dem kleinen Planetenmond ’glantine war noch nicht einmal ein totes Exemplar gelandet.
Für die Menschen, ob f-oder r-Menschen hatten die Voehn und ihr Ruf natürlich eine besondere Bedeutung. Immerhin waren es vor fast achttausend Jahren die Taten eines einzelnen Voehn-Schiffes gewesen, die diese Unterscheidung und die beiden Präfixe überhaupt erforderlich gemacht hatten.
»Voehn«, sagte Sal in herausforderndem Ton zu Taince. »Voehn-Überreste. So geht das Gerücht.«
Taince kniff die Augen zusammen und richtete sich in ihrer Nav-Kombi auf. »Ich habe davon nichts gehört.«
»Mag sein«, sagte Sal. »Meine Kontaktleute sitzen natürlich ein paar Stockwerke über der Rekrutenstube.«
Fassin schluckte. »Ich dachte, nach dem Aufprall war hier drin alles Matsch«, sagte er rasch, bevor Taince antworten konnte. »Und was nicht Schmiere war, ist verdampft.«
»Stimmt«, stieß Taince mit zusammengebissenen Zähnen hervor, ohne den Blick von Sal zu wenden.
»Ganz richtig«, nickte Sal. »Aber die Voehn sind doch so richtig harte Burschen, nicht wahr, tain?«
»Scheiße, ja«, sagte Taince. Jetzt war ihre Stimme ganz ruhig. »Dreckige Hartkekse.«
»Die sind nicht so leicht umzubringen, und noch schwieriger ist es, sie zu Brei zu zerquetschen«, sagte Sal, ohne die Signale zu beachten, die Taince aussendete.
»Sie zeichnen sich durch enorme Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Schicksal und feindlichen Angriffen aller Art aus«, sagte Taince kalt. Für Fassin hörte es sich an wie ein Zitat. Die Klatschmäuler behaupteten, sie und Sal wären so etwas wie ein Paar oder hätten zumindest hin und wieder Sex miteinander. Aber wenn Fassin den Ausdruck in ihren Augen in diesem Moment richtig deutete, war diese Seite ihrer Beziehung, falls sie denn jemals existiert hätte, in akuter Gefahr, ihrerseits zu Brei zerquetscht zu werden. Er sah sich zu Ilen um, weil er sehen wollte, was sie für ein Gesicht machte.
Sie saß nicht mehr auf der anderen Seite des Fliegers. Er suchte weiter, aber sie war nicht zu finden. »Ilen?«, fragte er. Dann wandte er sich an die beiden anderen. »Wo ist Ilen?«
Sal klopfte auf den Knopf in seinem Ohr. »Ilen?«, fragte er. »He, Len, wo bist du?«
Fassin spähte in die Schatten. Er sah im Dunkeln nicht schlechter als die meisten Menschen, aber fast ohne Sternenlicht und nur mit den schwachen, auf Energiesparmodus geschalteten Scheinwerfern des Fliegers in seiner Mulde war nicht viel zu erkennen. Auch im Infrarotbereich war das Ergebnis kaum besser, hier zeigten sich nicht einmal verblassende Fußspuren auf dem seltsamen Untergrund.
»Ilen?«, wiederholte Sal und sah Taince an, die ihrerseits die Umgebung absuchte. »Ich bin blind wie ein Maulwurf, und mein Kopfhörer funktioniert nicht«, sagte er. »Siehst du besser als wir?«
Taince schüttelte den Kopf. »Die Spezialaugen kriegt man erst im vierten Jahr.«
Scheiße, dachte Fassin. Ob wohl jemand eine Taschenlampe dabei hatte? Wahrscheinlich nicht. Wer verwendete heute noch Taschenlampen? Er prüfte seinen eigenen Kopfhörer, aber auch der war tot; kein Empfang, nicht einmal aus der unmittelbaren Umgebung. Oh, Scheiße, Scheiße, Scheiße. Wann mochte das Urbild dieser Geschichte entstanden sein? Vier Kinder borgten sich Papas Karren aus und verloren kurz vor Einbruch der Dunkelheit unweit der alten verlassenen Neandertalerhöhle ein Rad? Könnte hinkommen. Und dann rannten sie kopflos in die Dunkelheit hinein, und eins nach dem anderen starb eines grausamen Todes.
»Ich drehe die Scheinwerfer höher«, sagte Sal und griff nach dem Innenschalter. »Notfalls können wir starten und …«