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»Du bist auffallend gut vorbereitet«, sagte Taince leise.

Sal zögerte, dann machte er kehrt und sah sie mit offenem Mund an. Sein Blick wanderte von Fassin zu Ilen und wieder zurück zu Taince. Jetzt waren seine Augen weit aufgerissen. Er hob die Hand, wies auf den fernen Riss im Rumpf, dann nach oben wie in Richtung Weltall, und schüttelte schließlich den Kopf. »Taince, taince«, flüsterte er und fuhr sich mit einer Hand durch das dichte schwarze Haar. »Dein Misstrauen grenzt an Verfolgungswahn. Muss das so sein, wenn man beim Militär ist?«

»Unsere Kampfflugzeuge werden von der Firma deines Vaters gebaut, Saluus«, sagte sie. »Vorsicht ist eine Überlebensstrategie.«

»Das war ziemlich billig, Taince.« Sal schien gekränkt. »Ich meine es ernst. wirklich. wie kommst du nur auf so etwas?« Er klopfte ungeduldig auf seinen Rucksack. »Hölle und Teufel, Weib, wenn ich keine Notfallausrüstung an Bord hätte, müsste ich mir jetzt einen Vortrag darüber anhören, dass man nicht ohne ausreichende Vorräte in die Wüste fliegt!«

Taince sah ihn lange fast ausdruckslos an. Endlich sagte sie: »Pass auf dich auf, Sal.«

Er entspannte sich und nickte. »Du auch«, sagte er. »Bis bald, alle miteinander.« Er grinste noch einmal in die Runde und sagte: »Tut nichts, was ich nicht auch … und so weiter.« Dann hob er grüßend die Hand und stapfte davon.

»Warte«, sagte Ilen. Sal drehte sich um. Ilen zog ihren kleinen Tagesrucksack aus dem Flieger. »Ich komme mit, Sal.«

Fassin starrte sie entgeistert an.»Was?«, piepste er wie ein verschreckter kleiner Junge. Aber niemand hörte auf ihn, und diesmal war er froh darüber. taince sagte nichts.

Sal lächelte. »Wirklich?«, fragte er das Mädchen.

»Wenn du nichts dagegen hast«, antwortete Ilen.

»Schon in Ordnung«, sagte Sal leise.

»Ehrlich?«

»Was sollte ich denn dagegen haben?«

»In kritischen Situationen sollte man nicht allein auf Entdeckungsreise gehen«, sagte Ilen. »Das ist doch richtig so?« Sie sah Taince fragend an. Die nickte. »Sei vorsichtig.« Ilen küsste Fassin auf die Wange, zwinkerte Taince zu und folgte Sal die flache Böschung hinauf. Die beiden winkten noch einmal und entfernten sich.

Fassin beobachtete ihre Fußspuren im Infrarot. Die hellen Flecken auf dem Boden verblassten in weniger als einer Sekunde.

»Ich werde dieses Mädchen nie verstehen«, sagte Taince. Es klang unbekümmert. Die beiden sahen sich an. »Schlage vor, du legst dich jetzt aufs Ohr«, sagte Taince und wies mit einem Nicken zum Flieger hin. Sie bohrte in der Nase und betrachtete das Ergebnis. »Ich wecke dich, bevor ich zum Riss gehe, um zu sehen, ob wir Empfang haben.«

Irgendwo in dem verdunkelten Raum platzte eine Duftknospe, und wenig später stieg ihm Orchidia noctisia in die Nase, ein künstliches Aroma, das für ihn untrennbar mit dem Herbsthaus verbunden war. Im Zimmer war es ruhig, man spürte kaum einen Luftzug, die Knospe musste also ganz in der Nähe gewesen sein. Er hob den Kopf ein wenig an. Zwischen dem Bett und dem Servierwagen, auf dem man ihnen das Essen gebracht hatte, schwebte ein winziges Gebilde, seidenweich, wie eine schlanke, durchsichtige Blüte. Er ließ den Kopf auf Jaals Schulter zurücksinken.

»Mmmm?«, fragte sie schläfrig.

»Hast du in der Stadt Freunde getroffen?«, fragte Fassin und wickelte sich eine lange Locke von Jaal Tonderons goldenem Haar um den Finger. Dann drückte er die Nase in ihren Nacken und atmete den Duft ihrer bräunlichen Haut. Sie schmiegte sich an ihn und beschrieb kleine Kreise mit ihren Hüften. Er hatte sich schon vor einiger Zeit aus ihr zurückgezogen, aber die Berührung tat immer noch gut.

»Ree, Grey und Sa«, sagte sie. Es klang ein wenig müde. »Wir erledigten die Einkäufe. Danach waren wir mit Djen und Sohn verabredet. Dayd war auch dabei, Dayd Eslaus. Ach ja, und Yoaz. Du kennst Yoaz Irmin doch noch?«

Er biss sie leicht in den Nacken, und sie zuckte wie gewünscht zusammen und schrie leise auf. »Das ist lange her«, sagte er.

Sie streckte eine Hand nach hinten, streichelte seine nackte Flanke und tätschelte ihm das Hinterteil. »Sie hat dich bestimmt in lebhafter Erinnerung behalten, mein Lieber.«

»Ha!«, sagte er. »Ich sie auch.« Das trug ihm einen Klaps ein. Sie schmiegten sich aneinander, Jaal nahm die Hüftbewegungen wieder auf, und Fassin überlegte, ob wohl noch Zeit für einmal Sex wäre, bevor er gehen musste.

Sie drehte sich zu ihm um. Jaal Tonderon hatte ein rundes, breites Gesicht, das gerade noch die Bezeichnung schön verdiente. Seit etwa zweitausend Jahren sahen die Gesichter von r-Menschen so aus, wie ihre Träger es wollten. Wer mit seinem natürlichen Aussehen zufrieden oder wem es gleichgültig war, der blieb dabei, sonst wurden wunschgemäß gezielte Verbesserungen vorgenommen. Wirklich hässlich waren nur die Menschen, die damit irgendein Zeichen setzen wollten.

In einer Epoche, in der jedermann schön sein und/oder wie eine bekannte historische Persönlichkeit aussehen konnte (inzwischen gab es Gesetze, die eine allzu große Ähnlichkeit mit zeitgenössischen Berühmtheiten verhinderten), waren nur jene Gesichter und Körper wahrhaft interessant, die möglichst dicht an die Grenze zur Unscheinbarkeit oder sogar Unattraktivität herangingen, ohne sie vollends zu überschreiten. Man unterschied zwischen Gesichtern, die in Wirklichkeit gut aussahen, aber nicht auf Bildern, oder die gute lebensähnliche Gemälde ergaben, aber auf dem Bildschirm nicht wirkten, von Gesichtern, die im Schlaf ohne Reiz waren, aber atemberaubend schön wurden, wenn sie sich mit Leben erfüllten, oder die so lange unscheinbar blieben, bis die betreffende Person lächelte.

Jaal war mit einem Gesicht geboren, das – nach ihren eigenen Worten – wie ein Gemeinschaftsentwurf aussah: ein wenig harmonischer Flickenteppich, dessen Einzelteile nicht so ganz zueinander passen wollten. Doch ihre Physiognomie, ihr Charakter und ihre Ausstrahlung wirkten auf so geheimnisvolle Weise zusammen, dass sie fast jeder, der sie kennen lernte, unwiderstehlich fand. Fassin war insgeheim der Meinung, Jaal müsse erst in ihr Gesicht hineinwachsen und würde in reiferen Jahren noch schöner sein als jetzt. Nicht zuletzt deshalb hatte er um ihre Hand angehalten.

Fassin hatte allen Grund zu glauben, dass sie ein langes gemeinsames Leben vor sich hatten. Es war sinnvoll, sich eine Partnerin aus dem gleichen beruflichen Umfeld zu wählen – noch dazu, wenn die Partie die Bande zwischen den beiden wichtigsten Seher-Häusern stärken sollte und von beiden Septen freudig begrüßt wurde – und es war nur vernünftig, auch die Aussicht auf Langlebigkeit mit ins Kalkül zu ziehen.

Natürlich wäre die gemeinsame Zukunft für zwei ›Langsamen‹-Seher wie Fassin und Jaal objektiv, wenn auch nicht subjektiv länger als für die meisten ihrer Zeitgenossen, und ihr Leben verliefe radikal anders. Ein Seher, der ausgedehnte Trips in verlangsamter Zeit machte, alterte nur sehr allmählich. Onkel Slovius blieb mit seinen vierzehnhundert Jahren unter dem Rekord und war auch (natürlich ein Glück) noch nicht am Ende seines Lebens angelangt, doch sein Alter sollte sich unschwer übertreffen lassen. Ehegatten und Liebespartner von Sehern mussten die Phasen verlangsamter und normaler Lebenszeit sorgfältig planen, denn wenn sie aus dem Takt gerieten, drohte die emotionale Entfremdung. Tchayan Olmey, Fassins alte Mentorin und Lehrerin, war durch eine solche Diskontinuität unversehens aus der Bahn geworfen und von ihrer alten Liebe getrennt worden.

»Was hast du?«, fragte Jaal.

»Es ist nur diese …, äh … diese Besprechung.« Er warf einen Blick auf die antike Uhr an der gegenüberliegenden Wand.