– Warum hast du mich nicht einfach gebeten, danach zu suchen?, fragte Fassin. – Verdammt, ich hätte schon vor Jahrhunderten versucht, die Transformation in Nasq ausfindig zu machen, ihr hättet nur ein einziges Mal danach zu fragen brauchen.
Sie sah ihn lange an, und auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck von … er war nicht sicher. Traurigkeit, Mitleid, Bedauern, Verzweiflung?
– Was hast du?, sendete er.
– Die Wahrheit?, fragte sie.
– Die Wahrheit.
– Fassin. Sie schüttelte den Kopf. – Wir haben dir nicht getraut.
Er starrte sie nur an.
Fassin sagte ihr, was er entdeckt zu haben glaubte, und teilte ihr auch seine Schlussfolgerungen mit. Sie glaubte ihm nicht.
– Kommst du mit uns?
– Kann ich? Darf ich?
– Natürlich. Wenn du willst.
Er überlegte. – Okay, sendete er dann. Er überlegte noch einmal. – Aber vorher muss ich noch mit jemandem sprechen.
Setstyin nahm gerade ein Wasserbad, als der Besucher eintraf. Eine neue und sehr wohltuende Mode. Sein Diener meldete den Seher Fassin Taak. Setstyin war angenehm überrascht, eine köstliche, leicht makabre Vorfreude erfüllte ihn.
»Bestelle Seher Taak, ich würde ihn mit großem Vergnügen empfangen«, befahl er seinem Diener. »Bitte ihn, in der oberen Bibliothek zu warten. Tu alles, um ihm den Aufenthalt möglichst angenehm zu machen. Ich bin in zehn Minuten bei ihm.«
»Fassin! Wie schön, dich zu sehen! Ich kann dir nicht sagen, wie ich mich freue. Wir dachten – nun, wir hatten schon das Schlimmste befürchtet, ich schwöre es dir. Wo warst du denn die ganze Zeit?«
Fassin war sichtlich um eine Antwort verlegen. »Ich kann es dir nicht sagen, weil ich fürchte, du würdest mir nicht glauben«, erklärte er endlich ruhig.
Das Gasschiffchen schwebte mitten in der kreisrunden Bibliothek, deren Wände und Boden aus Kristallblöcken bestanden. Licht fiel durch die durchsichtige Decke und die eine große Tür, die auf einen breiten Balkon ohne Geländer führte.
Setstyins Haus lag in der Äquatorzone in der Stadt Aowne mitten im Gas. vor dem großen Fenster zogen langsam die satt gelben und orangeroten Wolken vorbei.
»Meinst du?«, fragte Setstyin. »Du könntest es doch zumindest versuchen. Und bitte sag mir, ob ich irgendetwas für dich tun kann. Komm, setzen wir uns.
Sie ließen sich in zwei Sitzgruben zu beiden Seiten eines niedrigen Tisches nieder. Gleich daneben stand ein wesentlich stabilerer und pompöserer Schreibtisch.
»Es ist eine lange Geschichte«, begann Fassin.
»Je länger, desto lieber!«, rief Setstyin und zog seine langen Gewänder fester um sich.
Fassin zögerte einen Moment, wie um seine Gedanken zu ordnen. Der Bursche wirkte ziemlich abgestumpft, dachte Setstyin, und im Vergleich zu früher sehr viel schwerfälliger.
Fassin schilderte dem Suhrl einige seiner Abenteuer seit ihrer letzten Begegnung auf dem (zu dementierenden) Planeten-Protektor Isaut. Er beschrieb auch etwas genauer, was er vorher getrieben hatte, und entschuldigte sich, falls er zu zögerlich oder zu vergesslich wäre; er hätte in letzter Zeit viel durchgemacht, manche Erinnerungen seien verloren gegangen und tasteten sich erst allmählich wieder ins Bewusstsein. Auf seinen Auftrag ging er nicht genauer ein, und er konnte dem Dweller auch nicht viel über die Geschehnisse nach dem Angriff der Voehn auf die Velpin sagen, aber er berichtete so detailliert, wie es ihm möglich war.
»Ich begreife nicht«, sagte Setstyin. »Soll das heißen, du wärst … du wärst in anderen Sonnensystemen gewesen? Auf der anderen Seite der Galaxis? Ich … das kann ich einfach nicht …«
»Ich selbst war mindestens ebenso skeptisch«, sagte Fassin. »Ich habe alle Tests durchgeführt, die mir einfallen wollten, aber offenbar war ich tatsächlich an den Orten, die mir der Vollzwillings-Captain nannte.«
»Dir ist sicher bekannt, dass man mit voll-immersiven VR-Systemen großartige Wirkungen erzielen kann«, sagte Setstyin unbeholfen.
»Ich weiß. Aber das war entweder real, oder es ging selbst über voll-immersive VR weit hinaus.«
Setstyin schwieg eine Weile. »Weißt du – bitte, versteh mich nicht falsch –, du siehst wirklich ziemlich mitgenommen aus, Fass, alter Junge.« Der Dweller betrachtete die verschiedenen Beulen und Narben, die das Gasschiffchen in den letzten Monaten abbekommen hatte. Der defekte linke Manipulatorarm hing leicht schief und ungelenk an der Flanke. Fassin schämte sich fast für das Aussehen seines Schiffes, so als wäre er in schmutziger und zerfetzter Kleidung in die Bibliothek eines vornehmen Herrn gekommen.
»Du hast Recht«, pflichtete er bei. »Wie gesagt, ich will gar nicht leugnen, dass mein Gedächtnis nicht mehr das ist, was es einmal war. Der Speicher des Gasschiffes hat gelitten, und mein Verstand ist auch nicht mehr so scharf wie früher.« Er lachte. »Aber ich weiß, was ich gesehen, gespürt, gehört und geschmeckt habe. Ich habe auf Felsen gestanden und zugesehen, wie sich die Wellen eines Salzwasserozeans am Strand brachen, und ich war wirklich dort, Setstyin. Ich war dort.«
Der Dweller kräuselte seinen Sensorsaum und bewegte ihn leicht auf und ab – ein Seufzer. »Natürlich bist du überzeugt, das alles erlebt zu haben, Fassin, und ich für mein Teil wäre immer bereit, dir zu glauben. Aber viele andere wären nicht so nachsichtig. Vielleicht wäre es besser, deine Geschichte nicht allzu laut herumzuposaunen.«
»Damit könntest du Recht haben.«
»Und … wie soll ich sagen … Wenn diese Sache mit den Wurmlöchern wirklich so geheim ist, wie kommt es dann, dass man dich – zumindest scheinbar – ans andere Ende der Galaxis oder sonst wohin gebracht hat … Wieso konntest du Ulubis verlassen?«
»Jemand wollte wohl beweisen, dass der Mythos Wirklichkeit ist. Einige Leute, einige Dweller sind der Meinung, die Zeit sei reif für Veränderungen. Sie kennen vielleicht nicht alle Einzelheiten, aber sie möchten, dass die Wahrheit bekannt wird. Niemand wäre so weit gegangen, einem Nicht-Dweller einfach alles zu erzählen, aber man konnte ja irgendeinen Tölpel mit der Nase darauf stoßen. Und dieser Tölpel bin vermutlich ich. Ein Tölpel erster Ordnung. Natürlich ein zu dementierender Tölpel.«
»Und dieser … Expeditionscaptain? Was war er noch einmal?
»Ein Vollzwilling.«
»Ja, die gibt es in dieser Gruppe oft, wie man hört. Und sie behaupten tatsächlich, so weit herumzukommen? Das war mir nicht klar. wie war noch sein – ihr Name?«
»Den kann ich nicht preisgeben, das wirst du sicher verstehen.«
»Natürlich, natürlich.« Setstyin dachte angestrengt nach. »Wenn es aber so ein … äh … so ein Wurmloch-Ding in der Nähe von Nasqueron gibt, wem gehört es dann? Wer kontrolliert es? Und wo, so fragt man sich unwillkürlich, befindet es sich genau? Sind solche Wurmloch-Portale nicht sehr groß und auffällig?«
»Man kann sie ziemlich klein machen. Aber es stimmt, eigentlich hätte man sie längst entdecken müssen.«