– Und worauf basierte die ursprüngliche Liste? Was gab sie an?
Wieder gab er dem Dweller Gelegenheit zu antworten, aber der schwieg.
– Sie zeigte die Positionen der von Dwellern bewohnten Gasriesen! Fassin legte seinen ganzen Triumph in den signalgeflüsterten Satz.
– Soso. Ich fühle mich etwas unwohl, Fass. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich …?
Setstyin erhob sich, rotterte leicht schwankend zu seinem Schreibtisch und fing an, Fächer und Schubladen zu öffnen. Endlich blickte er auf. »Sprich ruhig weiter«, sagte er. »Ich suche nur meine Medikamente. Sie müssen hier irgendwo sein.«
Während der Dweller in den Schubladen wühlte, hielt er seine Signalvertiefung unterhalb der Schreibtischplatte, wo sie der Mensch in seinem Gasschiff nicht sehen konnte, und schickte eine Nachricht an seinen Diener.
– Hatte Mr. Taak irgendwelche Waffen bei sich?
Wenig später kam die Antwort: – Nein. Das Haus hat ihn natürlich automatisch überprüft. Bis auf seine Manipulationsinstrumente ist er waffenlos.
– Verstehe. Das ist alles.
Das Pfeilschiff schwenkte herum, um den Dweller im Visier zu behalten.
– Die Liste kommt auch ohne die Transformation aus, erklärte Fassin. – Man braucht nur zu wissen, dass die Planeten die Standorte sind.
– Tatsächlich? Soso. Und wie ist das möglich?
Das Gasschiffchen stieg höher und schwebte über der Sitzgrube.
– Weil sich eure Wurmloch-Portale im Innern eurer Planeten befinden, Setstyin, sendete Fassin ungerührt.
Der Dweller erstarrte, dann öffnete er eine letzte Schublade. »Aber das ist doch lächerlich«, sagte er laut.
»Genau im Zentrum«, fuhr Fassin fort. Auch er hatte in die Normalsprache gewechselt. »Wahrscheinlich im Zentrum jedes einzelnen Gasriesen, der von euch bewohnt wird. Als die Liste aufgestellt wurde, waren es erst – wie viele? – zwei Millionen, richtig? Aber das ist lange her, und sie war schon damals ein historisches Dokument. Es würde mich nicht überraschen, wenn ihr inzwischen auch den letzten Dweller-Planeten angeschlossen hättet.«
»So Leid es mir tut, Fassin«, sagte Setstyin, »aber damit könntest du kein Kind überzeugen. Jedermann weiß, dass Wurmloch-Portale nur in flachen Raumabschnitten funktionieren.«
»Das ist ja gerade das Schöne. Das Zentrum eines Planeten ist flach«, sagte Fassin. »Im innersten Zentrum eines Planeten, im Zentrum jedes frei schwebenden Körpers – ob Sonne, Felsen, Gasriese, was auch immer –, wird man mit gleicher Kraft nach allen Richtungen gezogen. Es ist, als kreiste man schwerelos um eine Welt. Die einzige Schwierigkeit ist natürlich, im Kern eines Planeten, einer Sonne oder was auch immer überhaupt ein Raumvolumen offen zu halten. Der Druck ist gewaltig, fast unvorstellbar, besonders in einem Gasriesen von der Größe von Nasq, aber so etwas ist letzten Endes technisch lösbar. Ihr hattet ja zehn Milliarden Jahre Zeit, um euch damit zu beschäftigen. Und alles, was nicht unmöglich ist, hattet ihr längst gelernt, als die Galaxis ein Viertel so alt war wie heute.
Ihr braucht also keine Portale im All zu stationieren, wo jeder sie sehen, benützen oder angreifen könnte, ihr braucht nicht einmal euren eigenen Planeten zu verlassen. Ihr sucht nur gut getarnte Schächte auf, die ins Zentrum eurer Welt hinabführen. Vielleicht an den Polen. Das wäre nahe liegend. Und wenn man jemand an Bord hat, der vielleicht wissen möchte, wohin man fliegt, dann beschreibt man diese verwirrenden Spiralen und strahlt in dem Raum, wo sich der Passagier aufhält, ein paar Bilder vom Weltall aus, damit er nicht merkt, dass es nach unten geht anstatt nach oben, dass er in den Kern sinkt, anstatt ins All zu fliegen.«
»Da ist sie ja«, sagte Setstyin. Er zog eine große Handwaffe aus der Schublade. Jetzt schwankte er nicht mehr. Er zielte und feuerte, bevor das Gasschiffchen reagieren konnte.
Die Strahlen fuhren in das Pfeilschiff und schleuderten es gegen einen Stapel Bibliothekskristalle. Setstyin hörte nicht auf zu schießen. Das Schiff schlug wilde Purzelbäume. Trümmer fielen auf den Boden, Feuer breitete sich aus. Einzelne Teile rollten wie wild über die glitzernden Blöcke, durchschlugen die Bucheinbände und verwandelten die Kristallseiten in Staub. Was von dem kleinen Schiff noch übrig war, krachte durch die Tür und schoss über den Balkon nach draußen. Die Diamantscheiben zersplitterten wie Zuckerglas. Endlich stellte Setstyin das Feuer ein.
Es regnete Schutt. Der Rauch trieb langsam auf die zerschmetterte Balkontür zu und zog nach draußen ab.
Die Waffe fest auf die qualmenden Überreste des Schiffchens gerichtet, rotterte der große Dweller vorsichtig auf die Tür zu.
»Herr?«, meldete sich sein Diener über die Haussprechanlage. »Ist alles in Ordnung? Mir war so, als hätte ich …«
»Schon gut«, rief Setstyin, ohne die Trümmer aus den Augen zu lassen. »Es geht mir gut. Später gibt es hier einiges aufzuräumen, aber mir ist nichts passiert. Und jetzt lass mich in Ruhe.«
»Zu Befehl!«
Ein warmer Wind erfasste Setstyins Gewänder, als er durch die Tür schwebte und genau über dem schwelenden Wrack anhielt. Er berührte die Reste mit dem Lauf seiner Waffe, dann hebelte er ein Stück der Außenhaut weg.
Und spähte ins Innere.
»Verdammter Dreckskerl!«, schrie er, schoss in die Bibliothek zurück und jagte durch das Gas zu seinem Schreibtisch. »Tisch! Sichere Verbindung! Sofort!«
Aun Liss beobachtete den Mann, als sein kleines Schiff, seine zweite Haut zerstört wurde.
Fassin zuckte nur einmal zusammen, als hätte er Schmerzen.
Aun fand, er sehe schlecht aus. Sein Körper in dem geborgten Overall war abgemagert und wurde unentwegt von einem leichten Frösteln geschüttelt. Sein Gesicht sah viel älter aus als früher, verkniffen und hager, die Augen tief eingesunken und von dunklen Ringen umgeben. Das schüttere Haar kräuselte sich leicht, es war während der Zeit im Gasschiff ein wenig gewachsen. Die Augen, die Ränder von Ohren und Nasen sowie die Mundwinkel waren nach der langen Zeit im Schockgel – und vom Abfließen des Kiemenwassers – leicht entzündet.
»Also immer noch verrückt. Das sagtest du doch vorhin.« Er sah sie von der Seite an. Sie bemerkte erfreut das vergnügte Funkeln in seinen Augen. »Und? Hältst du mich immer noch für verrückt?«, fragte er.
Sie lächelte. »Ziemlich.«
Sie saßen im hellen, wenn auch engen Kommandoraum der Ökophobie, einem Beyonder-SchockSchiff. Der mittelschwere Schlachtkreuzer lag eine halbe Lichtsekunde vor Nasqueron und war mit dem inzwischen zerstörten Gasschiff über ein Duplikat des augapfelgroßen Mikrosatelliten verbunden, der einen Tag zuvor genau an der vereinbarten Stelle gewesen war, so dass ihn Fassin von der hohen Plattform in Quaibrai aus hatte anpingen können.
Erstaunlicherweise empfingen sie immer noch elementare telemetrische Daten von dem zerstörten Gasschiff, aber keine sensorischen Inhalte mehr. Die Maschine war sehr gründlich zerlegt worden.
Daneben zeigte ein Bildschirm die letzte Aufnahme, die das Gasschiffchen übertragen hatte: Setstyin richtete eine große Handwaffe dicht auf die Kamera, und im dunklen Lauf der Waffe glühte ein erster winziger Lichtfunke. Fassin nickte zu dem Bild hin. »Ich möchte gleich hinzufügen, dass dies nicht den üblichen Vorstellungen der Dweller von Gastfreundschaft entspricht.«
»Das hatte ich mir schon gedacht. vielleicht hat er nur durchgedreht, weil du einfach den Mund nicht halten wolltest?«
»Ich meine es ernst.«
»Du meinst es ernst? Und was meinte der Bursche mit der großen Hau-ab-Kanone?«
»Aun«, sagte Fassin. Es klang müde. »Glaubst du mir jetzt?«
Sie zögerte, zuckte die Achseln. »Ich halte es mit deinem aggressiven Freund; ich glaube, dass du davon überzeugt bist.«
Der Strom von telemetrischen Daten riss ab.
Die Technikerin, die für die Fernsteuerung zuständig war, kam herein und justierte die Holos über einem der Displays. »Das war nicht etwa das Gasschiff, das den Geist aufgab«, erklärte sie. »Jemand hat den Mikrosatelliten gegrillt. Schnelle Arbeit. Empfehle, schleunigst von hier zu verschwinden.«
»Hüte festhalten«, sagte der Captain. »Weit zurücklehnen.«
Das Schiff beschleunigte. Sie wurden in ihre Sitze geworfen, gepresst und schließlich gerammt. Die Offiziere wechselten von physischer auf Induktionssteuerung. Die kardangelagerte Kommandosphäre schwenkte herum, um den Andruck auch weiter auf die Brust wirken zu lassen.
»War das wirklich Ihr Ernst, Mr. taak?«, stieß der Captain mühsam hervor. Die Beschleunigung drückte ihre Kehlen zusammen wie ein Schraubstock.
»Ja«, würgte Fassin heraus.
»Es gibt also ein geheimes Netzwerk von uralten Dweller-Wurmlöchern, das – wie? – alle Dweller-Gasriesen miteinander verbindet?«
Fassin atmete mühsam ein und rang sich ein »So in etwa« ab. wieder ein Atemzug. »Sie schicken alles … was wir … vom Gasschiff … empfangen haben … an Ihr Oberkommando?«
Der Captain brachte sogar ein Lachen zustande. »Soweit davon die Rede sein kann.«
»Scheiße«, sagte der Verteidigungsoffizier mit gepresster Stimme. »Wir wurden erfasst.« Er atmete schwer. »Ein schnelles Schiff. Zu schnell für uns. Auf vierzehn!«
»Feuer aus allen Rohren«, befahl der Captain knapp. »Absprengen des Kommandoraums vorbereiten. Wir werden durchs All treiben und hoffen, dass die Furchtlos in der Nähe ist.«
»Vor dem Absprengen müssen wir wenden, sonst geraten wir in den Trümmerregen«, sagte der Taktik-Offizier.
»Verstanden«, antwortete der Captain. »Schade. Habe dieses Schiff immer so gemocht.«
Das Schiff flog einen scharfen Schwenk. Fassin fiel in Ohnmacht und bekam nicht mit, wie sie von der Ökophobie weggeschleudert wurden.
Drei Tage später wurde die Kommandosphäre vom Schlag-Schiff Furchtlos aufgefischt.