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Fassin zwang sich, in Ruhe zu überlegen. Das Ganze konnte immer noch ein dummer Scherz sein. Dass man sich dabei auf die Autorität eines Komplektors berief, machte dies sogar wahrscheinlicher. Es war einfach grotesk.

Andererseits hatte die vage Erinnerung an eine Unterrichtsstunde, in der er wahrscheinlich besser hätte aufpassen sollen, den beunruhigenden Verdacht geweckt, sich unberechtigt auf die Autorität eines Komplektors zu berufen, zähle eventuell zu den Schwerverbrechen.

Denk nach, denk nach. Vergiss den Komplektor; konzentriere dich auf die aktuelle Situation. Von welchen Voraussetzungen könnte er ausgehen? Irgendetwas im Egobereich? (Diese psychologische Abfrageroutine hatte man ihm im College eingebläut, wo er auf der so genannten Ich-ich-ich!-Skala hohe Werte erreicht hatte. Wenn auch nicht so hohe wie Saluus Kehar.) Eine Egofrage konnte er immerhin sofort abklären.

»Wer außer mir wird noch auf diese Weise berufen?«, fragte er.

»Durch eine Abgesandten-Projektion? Niemand.«

Fassin lehnte sich zurück. das war zwar schmeichelhaft, aber wahrscheinlich ein schlechteres Zeichen, als man zunächst vermuten würde.

»Und auf andere Weise?«

»Sie werden in Borquille, der Hauptstadt von Sepekte, zusammen mit einer Gruppe von hohen Beamten weitere Anweisungen erhalten. Diese Gruppe besteht aus etwa dreißig Personen.«

»Und worum geht es bei diesen Anweisungen?«

»Dazu enthält dieses Konstrukt keine Informationen.«

»Wie lange werde ich wohl unterwegs sein? Fliege ich nur nach Sepekte, hole mir die ›Anweisungen‹ und komme wieder zurück? Oder dauert es länger?«

»Von Vertretern der Ocula der Justitiarität wird erwartet, dass sie auch sehr kurzfristig für größere Einsätze zur Verfügung stehen.«

»Ich sollte mich also auf eine längere Abwesenheit einrichten?«

»Von Vertretern der Ocula der Justitiarität wird erwartet, dass sie auch sehr kurzfristig für größere Einsätze zur Verfügung stehen. Dieses Konstrukt enthält keine weiteren Informationen zu Ihrer Frage.«

Fassin seufzte. »Ist das alles? Hat man dich wirklich nur geschickt, um mir mitzuteilen, dass ich nach Sepekte fliegen soll? So viel Lärm um … nichts?«

»Nein. sie sollen auch erfahren, dass es sich hier um eine Angelegenheit von denkbar größter Tragweite handelt, in der Ihnen eine wichtige Rolle zugedacht sein könnte. Es liegen Informationen vor, die auf eine schwere und akute Gefahr für das gesamte Ulubis-System schließen lassen. Dieses Konstrukt enthält dazu keine näheren Angaben. Sie haben sich zwecks Entgegennahme weiterer Instruktionen nach Borquille, der Hauptstadt von Sepekte, dem Hauptplaneten des Ulubis-Systems, zu begeben und sich morgen Abend, am Neunten Pflicht, spätestens zur Stunde Fünfzehn nach Ortszeit Borquille-Sepekte, im Palast des Hierchon zu melden. Das entspricht Gchron, 6, 61 …« Die Kugel wiederholte den Termin, zu dem sich Fassin am folgenden Tag im Palast des Hierchon einzufinden hatte, noch in mehreren weiteren Formaten, wie um im Falle einer Verspätung jede Ausrede von vornherein auszuschließen. Fassin starrte auf eine einheitlich beige polarisierte Fensterfläche auf der anderen Seite des Saales und versuchte zu ergründen, was dies alles zu bedeuten hatte.

Doch alles, was ihm einfiel war: Verdammte Scheiße.

»… am achtzehnten November AD 4034 nach r-Menschen-Zeit«, schloss die Leuchtkugel. »Die erforderlichen Transportmittel werden bereitgestellt. An Fluggepäck sind eine große Reisetasche und ein entsprechendes Behältnis für eine komplette Paradeuniform gestattet, welche für die Audienz beim Hierchon vorgeschrieben ist. Für die Reise wird ein Druckanzug empfohlen. Noch weitere Fragen?«

Verpych überlegte einen Moment. »Ein typischer Anfall von Militärhysterie.«

Slovius rutschte in seinem Wannensessel hin und her. »Etwas genauer bitte?«

»Wahrscheinlich ein Versuch, frühere Versäumnisse durch Übereifer wettzumachen.«

»Man hat ihnen mehrfach erklärt, es gäbe ein Problem, aber sie haben nur die Nase gerümpft, und nun sind sie plötzlich aufgewacht und in Panik geraten?«, übersetzte Fassin.

Verpych nickte knapp.

»Die Entscheidungsdynamik hochgradig starrer Machtstrukturen ist ein interessantes Forschungsobjekt«, sagte Tchayan Olmey lächelnd, Fassins alte Lehrerin und mütterliche Freundin. Die graue, hagere Gestalt war wie ein Fels in der Brandung. Die vier saßen um einen großen runden Tisch in Slovius’ früherem Arbeitszimmer. Slovius selbst schwamm in einem großen, halb geschlossenen Becken, das wie eine Kreuzung zwischen einer antiken Sitzbadewanne und einem kleinen Flieger aussah. Fassin erschien das Gesicht seines Onkels so lebhaft und trotz der Stoßzähne und des Schnauzbarts so … ja, so menschlich wie seit Jahren nicht mehr. Slovius hatte zu Beginn des Treffens verkündet, für die Dauer der derzeit völlig unübersichtlichen Lage werde sein schleichender Verfall zum Stillstand gebracht. Er habe die Zügel im Sept Bantrabal wieder in die Hand genommen. Fassin hatte erschrocken gespürt, wie sich in seinem Innern ein kleinliches, selbstherrliches Stimmchen regte und enttäuscht und empört dagegen protestierte, dass sein Onkel den Weg in die Verwirrung und Gleichgültigkeit der Senilität und schließlich in den Tod nicht weiter fortsetzen wollte.

»Die Projektion sprach von einer ›schweren und akuten Gefahr‹«, erinnerte Fassin. vermutlich war es diese Formulierung gewesen, die ihn so beunruhigt hatte, dass er die Versammlung einberief und alles erzählte. wenn das Ulubis-System wirklich in Gefahr schwebte, sollten zumindest die höchsten Vertreter des Sept Bantrabal darüber Bescheid wissen. Die Einzige, die bei der Besprechung fehlte, war Fassins Mutter. Sie befand sich auf einer einjährigen Klausur in einem zehn Lichttage entfernten Habitat der Cessoria irgendwo im Kuipergürtel des Systems und konnte daher nicht zugezogen werden. Man hatte überlegt, ihr eine Warnung zukommen zu lassen, dann aber entschieden, dies sei verfrüht und womöglich sogar schädlich, solange man nichts Genaueres über diese rätselhafte Bedrohung wüsste.

Olmey zuckte die Achseln: »Die Überreaktion könnte sich auch auf die Wahl der sprachlichen Mittel zur Beschreibung des vermeintlichen Problems erstrecken«, sagte sie.

»In letzter Zeit häufen sich die Beyonder-Anschläge«, bemerkte Verpych nachdenklich.

In den zweihundert Jahren nach dem Verlust des Arteria-Portals waren die sporadischen (und in der Regel gegen Randbezirke des Systems und militärische Ziele gerichteten) Angriffe der Beyonder-Rebellen auf Ulubis so stark zurückgegangen, dass sie kaum mehr als ein Ärgernis darstellten. auf jeden Fall waren sie weit weniger zahlreich als in den Jahren vor der Zerstörung des Wurmlochs. Fast alle Systeme der Merkatoria hatten sich im Lauf von Jahrtausenden an die lästigen, aber selten vernichtenden Attacken gewöhnt – sie banden Schiffe und Material und sorgten für eine gewisse Nervosität in der gesamten Metazivilisation, aber zu wirklichen Gräueln war es bisher nicht gekommen. Deshalb war die Bevölkerung von Ulubis erleichtert und empfand es als unverhofftes Geschenk, dass die Präsenz des Militärs im System in dieser Zeit der Isolation aus unerfindlichen Gründen eher reduziert als verstärkt worden war.

Im Laufe des vergangenen Jahres hatten die Angriffe jedoch leicht zugenommen – zum ersten Mal in zweihundert Jahren war die jährliche Rate gestiegen anstatt zu fallen – und sie hatten eine etwas andere Qualität, als man es bisher gewöhnt war. Zum einen waren die Ziele nicht mehr nur Militäreinrichtungen oder Teile der Infrastruktur gewesen. Eine Bergwerkskolonie in einer Kometenwolke war zerstört worden, einige im Gürtel und in den Wolken eingesetzte Schiffe wurden vermisst oder waren haltlos treibend, leer oder völlig ausgebrannt aufgefunden worden, ein kleines Linienschiff, das zwischen Nasqueron und dem äußersten Gasriesen des Systems verkehrte, war spurlos verschwunden, und vor einem halben Jahr war plötzlich mitten im System ein schwerer Raketenkreuzer aufgetaucht, der mit achtzig Prozent Lichtgeschwindigkeit geradewegs auf Borquille zusteuerte. Man hatte ihn mühelos abgeschossen, aber die Entwicklung gab doch Anlass zur Sorge.