Slovius rutschte wieder auf seinem Wannensessel hin und her und verspritzte Wasser auf den Holzboden. »Gibt es etwas, das du uns nicht sagen darfst, Neffe?«, fragte er und machte ein verwirrendes Geräusch, das sich so anhörte, als gluckse er vergnügt in sich hinein.
»Nichts Bestimmtes. Ich soll über die ganze Angelegenheit mit niemandem sprechen, außer um meine … Mission zu fördern. Die im Moment lediglich darin besteht, morgen bis Stunde fünfzehn nach Borquille zu kommen. Ich verstehe das natürlich so, dass ich mich euch dreien bedenkenlos anvertrauen kann. Ich möchte euch jedoch bitten, nichts weiterzutragen.«
»Nun«, sagte Slovius mit einem kehligen Laut, der wie ein Gurgeln klang, »hiermit stelle ich dir für den Transfer nach Pirrintipiti mein eigenes Suborbschiff zur Verfügung.«
»Vielen Dank. aber es hieß, für den Transport wäre gesorgt.«
»Die Navarchie hat für morgen früh eine halbe Stunde vor Vier einen Start angemeldet«, bestätigte Verpych. »Den werden sie verlegen müssen, wenn sie vorhaben, sie bis Fünfzehn Uhr nach Sepekte zu bringen«, fügte er hinzu und rümpfte die Nase. »Sie werden den ganzen Flug über fünf bis sechs Ge ertragen müssen, Fassin Taak.« Haushofmeister Verpych lächelte. »Ich kann Ihnen nur raten, Ihre Wasser-und Nahrungsaufnahme von jetzt an entsprechend zu dosieren.«
»Mein Schiff bleibt auf jeden Fall in Bereitschaft«, sagte Slovius, »falls dieses Transportmittel nicht auftauchen oder sich als allzu primitiv herausstellen sollte. Sie sorgen dafür, Haushofmeister.«
Verpych nickte. »Zu Befehl.«
»Onkel, auf ein Wort?«, fragte Fassin, als alle sich zum Gehen anschickten. Er hatte gehofft, Slovius vor Beginn der Zusammenkunft unter vier Augen sprechen zu können, aber sein Onkel war zusammen mit Verpych gekommen. Er hatte energiegeladen und siegesgewiss ausgesehen, während Verpych beunruhigt, ja sogar besorgt schien.
Slovius entließ seinen Haushofmeister und Olmey mit einem knappen Nicken. wenig später war Fassin mit seinem Onkel im Arbeitszimmer allein.
»Neffe?«
»Du hast dich heute Morgen, während die Abgesandten-Projektion heruntergeladen wurde, nach meinen letzten Trips erkundigt …«
»Du möchtest wissen, wie weit ich bereits informiert war?«
»Hm, ja.«
»Das T-Schiff hatte mich mit einem einfachen, aber hoch verschlüsselten Signal von der Ankunft der Projektion in Kenntnis gesetzt. Das Signal enthielt eine persönliche Botschaft von einem alten Freund von mir, der als Erster Ingenieur auf dem Schiff fährt. Er ist Kuskunde – ich hatte die Feinheiten der linguistischen und der Körpersprache dieser Spezies vor vielen hundert Jahren auf dem College studiert. So konnte ich, ohne dass dies ausdrücklich gesagt worden wäre, den Eindruck gewinnen, einer deiner Trips könnte dies alles in Gang gebracht haben.«
»Ich verstehe.«
»Deine Abgesandten-Projektion hat nichts verlauten lassen, was diesen Verdacht bestätigen könnte?«
»Kein Wort.« Fassin zögerte. »Onkel, stecke ich in Schwierigkeiten?«
Slovius seufzte. »Ich kann nur spekulieren, Neffe, aber ich nehme nicht an, dass du direkt in Schwierigkeiten steckst. Ich will aber gestehen, dass ich beunruhigt bin. Ich habe ganz stark das Gefühl, dass große, schwere und für den Gang der Ereignisse ungemein wichtige Räder in Bewegung gesetzt wurden. Und ich denke, die Geschichte lehrt uns, dass es sich in solchen Fällen empfiehlt, in Deckung zu gehen. Solche Räder sind so mächtig und rollen mit so ungeheurer Wucht dahin, dass der Wert eines Menschenlebens vor ihnen bestenfalls zur Bedeutungslosigkeit schrumpft.«
»Bestenfalls?«
»Bestenfalls. Schlimmstenfalls werden die Menschen gezielt geopfert und liefern das Schmieröl, das die Räder in Bewegung hält. Bist du mit meiner Erklärung zufrieden?«
»Wenn man es so ausdrücken kann.«
»Nun, es scheint, als tappten wir beide gleichermaßen im Dunkeln, Neffe.« Slovius betrachtete einen kleinen Ring, der sich tief in einen seiner Stummelfinger eingeschnitten hatte. »Und wenn es dunkel ist, sollte man sich schlafen legen. Das möchte ich dir hiermit empfehlen.«
»Da sind Sie ja, Fassin Taak«, sagte Verpych forsch. Er hatte vor der Tür gewartet. »Diesmal haben Sie es geschafft, mich zu beeindrucken. Wir verdanken Ihnen offenbar nicht nur den Anbruch interessanter Zeiten, es ist Ihnen auch gelungen, das Auge der Obrigkeit auf uns zu lenken. Meinen Glückwunsch.«
Sie hatten die Bettrollen halb aufgeblasen, sich darauf gesetzt und mit dem Rücken an die Seitenwand des Fliegers gelehnt. »Hat er dir nie die Geschichten aus der Harten Schule erzählt?« , fragte Fassin.
Taince schüttelte den Kopf. »Nein.« Sie zog wieder das kleine graue militärische Funkgerät heraus, hatte aber immer noch keinen Empfang. Sie und Fassin waren bereits vor einer halben Stunde zu dem Riss im Rumpf gegangen, um auf ein Signal auf diesem Gerät oder in ihren Kopfhörern zu warten. Ein schwerer Aurora-Ausbruch warf seinen flackernden Schein über den Himmel, Nasqueron hing wie eine riesige umgedrehte Kuppel über ihnen, dunkel, aber von eigenen Aurora-Bändern erhellt und durchzuckt von einem Netzwerk von Blitzen. Durch ihre Stiefel hatten sie eine Serie von kleineren Erdbeben gespürt, doch obwohl die Natur so sehr in Aufruhr war – zum Teil vielleicht auch, weil die magnetische Aktivität den Funkverkehr störte – hatten sie in ihren Geräten nichts gehört.
Auf dem Rückweg hatte sich Fassin beklagt, dass die Beyonder einen Planeten, der in erster Linie für seine friedlichen Dweller-Forschungen bekannt war, überhaupt angriffen, und dass die Sicherheitskräfte, die Truppen der Navarchie, die Außengeschwader und die Generalflotte, diesen Planeten nicht besser zu schützen wüssten. Taince hatte versucht, ihm die logistischen Probleme in Zusammenhang mit dem Transport von genügend vielen Nadelschiffen und anderen Ausrüstungsgegenständen durch die ’löcher an den jeweiligen Einsatzort zu erklären, und auf die Gleichungen verwiesen, nach denen sich errechnen ließ, welcher Aufwand nötig wäre, um die vielen und weit verstreuten Systeme der Merkatoria vollständig zu sichern. Selbst mit Arteria-Portalen, die ein nahezu verzögerungsfreies Reisen ermöglichten, sei dies ein aussichtsloses Unterfangen, und die erforderlichen Summen seien für die Wirtschaft nicht tragbar. Die vielen feindlichen Gruppierungen mochten alles in allem kümmerlich sein, aber sie seien weithin verstreut. Erschwerend komme hinzu, dass sie oft auf einer stark verlängerten Zeitskala agierten. Wichtig sei vor allem, dass ’glantine und das Ulubis-System im Ganzen geschützt seien. Die systemeigenen Geschwader könnten es mit jeder gewöhnlichen Beyonder-Gruppierung aufnehmen, und sie hätten, nur ein paar Portalsprünge entfernt, die Generalflotte im Rücken, die jedem Angreifer haushoch überlegen sei.
Als Fassin immer noch nicht aufhörte, über die Störattacken der Beyonder zu jammern, hatte Taince das Gespräch auf die Marotten, Neigungen und Schwächen ihrer Klassenkameraden gelenkt, und so waren sie auf Saluus gekommen.
»Nun ja«, sagte Taince, »er hat gelegentlich erwähnt, dass er die Harte Schule besucht hat, aber von sich aus nie mehr dazu gesagt, und ich werde ihn keinem Verhör unterziehen.«
»Aha«, sagte Fassin. waren Saluus und Taince vielleicht doch kein Liebespaar? Die Schulzeit, die Kindheit … waren das nicht die Themen, über die man sich im Bett unterhielt? Er streifte Taince mit verstohlenem Blick. ›Liebespaar‹ war ohnehin nicht das richtige Wort, nicht für Sal und Tain, immer vorausgesetzt, sie hatten tatsächlich ein Verhältnis. Die beiden waren anders als alle anderen in ihrem Jahrgang, sie standen immer etwas abseits der herrschenden Szene, die bestimmt war von Verabredungen, junger Liebe und ersten sexuellen Abenteuern, so als hätten sie das bereits alles hinter sich oder wären auf Grund ihrer Veranlagung oder durch schiere Willensstärke dagegen immun.