Taince wirkte einschüchternd auf die meisten gleichaltrigen und viele wesentlich ältere Jungen, aber das kümmerte sie nicht. Fassin hatte selbst erlebt, wie sie zwei sehr nette, anständige Bewerber mit einer Schroffheit abwies, die verletzend war, um sich dann – ganz offensichtlich nur für eine oder höchstens ein paar Nächte mit kräftigen, aber langweiligen Burschen einzulassen. Auch wusste er von mindestens drei Mädchen in ihrem Jahrgang, die hoffnungslos in sie verliebt gewesen waren, aber auch das hatte sie nicht interessiert.
Saluus war von vornherein in einer noch stärkeren Position gewesen; er sah nicht nur gut aus – das war keine Kunst – sondern ging damit ganz lässig um und war obendrein selbstsicher, charmant und witzig. Und er hatte auch noch Geld! Als Erbe eines großen Vermögens erwartete ihn eine andere Welt, in der die Abstufungen noch feiner waren als in der verwirrenden Monumentalhierarchie, in der sie alle seit ihrer Geburt lebten, eine Welt mit einer anderen Belohnungsstruktur, die zugleich jünger und älter war als das Kolossalgebäude der Merkatoria, auch wenn sie letztlich vollständig darin aufging. Fassin hatte sich wie die anderen Jungen in seinem Jahrgang – ja, wie die meisten im ganzen College – längst damit abgefunden, dass man niemals erste Wahl war, solange sich Sal in einer Gruppe befand.
Und doch nützten weder Taince noch Sal – besonders Sal – ihre Stärken über Gebühr aus. Höchstens, wenn sie unter sich waren.
Fassin kamen sie vor wie frühreife Erwachsene mit eigenen Zielen, die sie unbeirrt und entschlossen verfolgten. Sex war nur eine juckende Stelle, die man kratzte, ein quälender unterschwelliger Hunger, den man gelegentlich möglichst schnell und rationell, mit einem Minimum an störendem Beiwerk stillte, um sich rasch wieder den wirklich wichtigen Dingen im Leben widmen zu können.
Zwei komische Käuze.
»Warum?«, fragte Taince. »Warst du auch in der Harten Schule, Fass?«
»Ich?«, rief Fassin erstaunt. »Nein, verdammt!«
»Schon gut«, sagte Taince. Sie hatte ein Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt, und eine Hand auf das Knie gelegt. »Und?«, sie wedelte mit der Hand hin und her. »Ist sie wirklich so hart?«
»Man macht Jagd auf die Schüler!«, erklärte Fassin.
Taince zuckte die Achseln. »Davon habe ich gehört. Immerhin frisst man sie nicht auf.«
»Ha! Manche kommen trotzdem um. Ich finde das nicht komisch. Es sind doch noch Kinder. sie stürzen von Klippen oder von Bäumen, sie verschwinden in Felsspalten, und einige werden so unter Druck gesetzt, dass sie Selbstmord begehen. Andere verirren sich in der Wildnis und werden von echten Raubtieren gejagt, getötet und verspeist.«
»Hm. Die Abbrecherquote ist also ziemlich hoch.«
»Taince, lässt dich das alles denn völlig kalt?«
Taince grinste. »Du willst wissen, ob solche Geschichten meine mütterlichen Instinkte wecken, Fass?« Er antwortete nicht. Sie schüttelte den Kopf. »Nun, das ist nicht der Fall. Du willst wissen, ob ich für diese Juniorvertreter der Raffenden Klasse Mitleid empfinde? Ja, für diejenigen, die es nicht schaffen. oder die ihre Eltern hassen, wenn sie es absolviert haben. Bei den anderen klappt es wohl so wie geplant; eine neue Generation von puren Egoisten wird herangezogen. aber ich habe damit nichts zu tun. Ich verschwende an diese Kinder keinen Gedanken. Sonst müsste ich sie vielleicht verabscheuen. Vielleicht würde ich sie auch bewundern. Es hört sich an, als ginge es in solchen Schulen schlimmer zu als in der Grundausbildung.«
»Für die Grundausbildung entscheidet man sich selbst. Diese kleinen …«
»Nicht, wenn man einberufen wird.«
»Einberufen?«
»Die entsprechenden Gesetze wurden nie aufgehoben.« Sie zuckte die Achseln. »Zugegeben, es ist hart für die Kinder. aber es ist legal, und die Reichen sind eben ein anderer Schlag.« Das klang gleichgültig.
»Sal hat wirklich nie etwas davon erzählt?«
Der Unterton in seiner Stimme ließ Taince aufhorchen. Sie sah ihn an. »Du meinst«, sie zog mehrmals ihre schwarzen Augenbrauen hoch, »›hinterher‹, Fassin?«
Er wich ihrem Blick aus. »Wie du willst.«
Ihre Augen ließen ihn nicht los. »Fass, willst du wirklich nur wissen, ob Sal und ich miteinander vögeln?«
»Nein!«
»Die Antwort lautet ja. Hin und wieder, danke der Nachfrage. Hast du jetzt eine Wette gewonnen? Wie hoch ist die Quote?«
»Ich bitte dich«, flehte er und dachte dabei: Verdammt, seit ich es weiß, bin ich nicht mehr sicher, ob ich es denn wirklich wissen wollte. Fassin stellte sich die Pärchen seiner Klasse und seines Jahrgangs – künftige und bereits bestehende, gleichgeschlechtliche und andere – gern beim Sex vor. Du lieber Himmel! Ein paarmal hatte er sogar zugesehen oder mitgemacht, wenn es zur Sache ging. Aber Sal und Taince, die bumsten, dass die Wände wackelten … das Bild war schockierend.
Taince zog eine Augenbraue hoch. »Wenn du schön bittest, darfst du vielleicht sogar einmal dabei sein. Das hast du doch gern, oder?«
Fassin konnte nicht verhindern, dass er rot wurde, und rettete sich in Sarkasmus. »Ich lebe für nichts anderes.«
»Und die Harte Schule hat er tatsächlich nie erwähnt«, sagte Taince. »Weder vorher, noch während, noch hinterher. Oder ich wäre sehr viel mehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, als ich dachte.«
»Es klingt so grauenvoll! Kalte Duschen, ein Bett für mehrere Schüler, körperliche Züchtigung, Entbehrungen aller Art, Einschüchterung, übelste Beschimpfungen, und in den Ferien darf man womöglich um sein Leben rennen!«
Taince schnaubte. »Das heißt, man zahlt gutes Geld für eine Behandlung, der unsere Ahnen während ihres ganzen kurzen und beschissenen Lebens zu entgehen suchten. Das nennt man Fortschritt.«
»Ich glaube, der Junge hat dabei einen Knacks abbekommen«, sagte Fassin. »Das ist meine ehrliche Meinung.«
»Oh, das glaube ich dir gerne«, gab Taince gedehnt zurück. »Aber Sal scheint mit der Methode ganz einverstanden zu sein. Er sagte, sie hätte ihn zum Mann gemacht.«
»Schon, aber zu was für einem Mann?«
Taince grinste. »Außerdem seid ihr an allem schuld, du und deine Leute.«
»Oh nein«, seufzte Fassin. »Das nicht auch noch.«
»Es ist doch ein Dweller-Brauch, oder nicht?«
»Und? Was willst du, verdammt nochmal, damit sagen?«
»Wer hat denn dieses Informationshäppchen über die Jagd auf Kinder und Verwandte unters Volk gebracht?«, fragte Taince. Sie grinste noch immer. »Das wart doch ihr. Die Seher …«
»Es waren nicht …«
»Dann eben die Dweller-Forschung, wenn dir das lieber ist.« Taince winkte verächtlich ab. »Sie machen Jagd auf ihre Jungen, sie sind langlebig, weit verbreitet, eine erfolgreiche Spezies, und sie leben direkt vor unserer Haustür. Und dann kommt irgendein Wichser daher und sucht nach einer neuen Methode, um die Reichen zu schröpfen. was glaubst du wohl, was von alledem er verwenden wird?«
Fassin schüttelte den Kopf. »Die Dweller sind fast so alt wie das Universum, sie haben sich über die ganze Galaxis ausgebreitet, doch obwohl sie allen anderen weit voraus waren, besaßen sie genügend Anstand, nicht alles so umzukrempeln, dass es ihren Vorstellungen entsprach. Sie haben den Krieg so formalisiert, dass kaum noch jemand dabei ums Leben kommt, und was sie Arbeit nennen, besteht zumeist darin, die größten Wissensmengen zu verwalten, die jemals zusammengetragen wurden …«