»Ach ja, grüße bitte meinen alten Freund, den Obersten Seher Chyne von den Favrial von mir«, sagte Slovius, als sie sich dem Navarchieschiff näherten. »Falls du ihn siehst. Und natürlich ganz besonders Braam Ganscerel vom Sept Tonderon.«
»Ich werde versuchen, alle zu grüßen, die dich kennen, Onkel.«
»Ich hätte dich begleiten sollen«, sagte Slovius zerstreut. »Nein, doch lieber nicht.«
Eine grau uniformierte Gestalt trat von einer Senkplattform unter dem schwarzen Schiff und kam ihnen entgegen. Der Offizier, eine freundliche junge Frau mit frischen roten Wangen, nahm die Mütze ab, verbeugte sich vor Slovius und sagte zu Fassin: »Major Taak?«
Fassin starrte sie verständnislos an, dann fiel ihm wieder ein, dass er jetzt der Ocula der Justitiarität angehörte und im Rang eines Majors stand. »Äh, ja«, sagte er.
»First Officer Oon Dicogra, NMS 3304«, stellte die junge Frau sich vor. »Willkommen. Bitte folgen Sie mir.«
Slovius streckte eine Flossenhand aus. »Ich werde mich bemühen, bis zu deiner Rückkehr am Leben zu bleiben, Major Neffe.« Sein heiseres Keuchen sollte wohl ein Lachen sein.
Fassin umfasste verlegen die kurzen Fingerstummel. »Ich hoffe immer noch, dass alles nur blinder Alarm ist und ich in ein paar Tagen wieder hier bin.«
»Pass auf jeden Fall gut auf dich auf. Leb wohl, Fassin.«
»Versprochen. Leb wohl.« Er küsste die immer noch schlafende Zab leicht auf die Wange, ohne sie zu wecken, dann folgte er dem Offizier der Navarchie zur Plattform, stieg auf die konkave Standfläche und winkte, während sie zum Schiff emporschwebten.
»Wir werden meistens mit 5.2 Ge fliegen«, sagte Dicogra, während Fassins Umhang und sein Gepäck in einem drucksicheren Kasten verstaut wurden. »Sind Sie damit einverstanden? Nach dem Physio-Profil, das wir für Sie erstellt haben, spricht nichts dagegen, aber wir müssen uns vergewissern.«
Fassin sah sie an. »Nach Pirrintipiti?«, fragte er. Die Shuttles und Suborbs, die er kannte, beschleunigten sehr viel weniger stark, und sie schafften den Flug in knapp einer Stunde. Wie eng mochte der Zeitplan sein?
»Nein, nach Borquille«, sagte Dicogra. »Wir fliegen direkt in die Hauptstadt.«
»Ach so«, sagte Fassin überrascht. »Nein, 5.2 ist in Ordnung.«
Die Schwerkraft des Planetenmondes ’glantine betrug etwa ein Zehntel dieses Wertes, aber Fassin war an höhere Drücke gewöhnt. Er wollte schon darauf hinweisen, dass er sich bei seiner Arbeit jahrelang in einem Schwerkraftfeld von mehr als sechs Ge aufhalten musste, aber dabei saß er natürlich in Schockgel verpackt in einem Dweller-Pfeilschiff, und so zählte das nicht wirklich.
First Officer Dicogra lächelte, krauste die Nase und sagte anerkennend: »Nicht schlecht. Dass Sie ein ziemlich harter Bursche sind, steht schon im Physiobericht. Trotzdem, wir werden fast zwanzig Stunden mit dieser Beschleunigung fliegen, nur mit ein paar Minuten Schwerelosigkeit genau auf halbem Weg, also, müssen Sie nochmal auf den Pütt? Sie wissen schon, die Toilette?«
»Nein, alles klar.«
Sie deutete auf seine Leistengegend. Eine Wölbung wie von einem harten Suspensorium war die einzige Stelle seines Körpers, wo der graue, zentimeterdicke Druckanzug nicht fest an der Haut anlag. »Irgendwelche Aufhängungen erforderlich?«, fragte sie lächelnd.
»Nein danke.«
»Ein Mittel zum Schlafen?«
»Nicht unbedingt.«
Der Captain des Schiffes war eine Whule, Angehörige einer Spezies, die Fassin immer wie eine Kreuzung zwischen einer grauen Riesenfledermaus und einer überdimensionierten Gottesanbeterin vorkam. Sie begrüßte Fassin kurz über einen Bildschirm, ohne die Brücke zu verlassen. Anschließend wurde er von First Officer Dicogra und einem zerbrechlich aussehenden, aber sehr geschickten Whule-Matrosen, der für menschliche Nasen nach Mandeln roch, auf eine schräge Liege mit steilen Seitenwänden in einer kardanisch aufgehängten Kugelgondel verfrachtet. Der Whule-Matrose hievte sich mit knatternden Flügelmembranen aus der Gondel, und Dicogra machte es sich auf der zweiten Liege bequem. Ihre Vorbereitungen für einen Tag bei fünf Ge bestanden darin, dass sie ihre Mütze in ein Fach warf und die Uniform unter sich glatt zog.
Das Schiff hob langsam ab, und Fassin beobachtete auf dem Bildschirm an der gewölbten Wand vor sich, wie der Hafen mit seinem kreisrunden Landeplatz zurückblieb und die kleinen Gestalten den Kopf hoben, als sich das Navarchieschiff entfernte. Er hatte den Eindruck, Zab mit einem winzigen Ärmchen winken zu sehen, doch dann schob sich die Wolkendecke dazwischen, das Bild kippte und drehte sich, das Schiff beschleunigte – die Kardangondel sorgte dafür, dass er und Dicogra aufrecht blieben – und strebte ins All hinaus.
Hatte da jemand geschrien? Er riss die Augen auf. Seine Nackenhaare sträubten sich, sein Mund war trocken. Es war immer noch dunkel. Er war in der Ruine des Alien-Schiffs und lehnte mit dem Rücken an der Wand des schwach erleuchteten Fliegers. taince war zum Riss gegangen, um zu sehen, ob ihr Funkgerät Empfang hatte. verdammt, das waren tatsächlich Schreie, irgendwo hinter ihm. oder vielleicht Hilferufe? Er kam auf die Beine, schaute sich um. Nicht viel zu sehen; nur schwache Umrisse der bizarren, von Zerstörung und Zusammenbruch geformten Landschaft im Innern des Schiffswracks, schiefe Decks und Schotts und die gewaltigen Streifen aus irgendeinem unbekannten Material, die von der fernen, im Dunkeln nicht zu erkennenden Decke hingen. Die Schreie kamen aus dem Innern des Wracks, aus der Richtung, in die Saluus und Ilen gegangen waren. Er starrte in die Finsternis und hielt den Atem an, um besser hören zu können. Jähe Stille, dann vielleicht eine Stimme – Sals Stimme, aber die Worte waren zu undeutlich. Hilfe? Taince? Fass?
Was soll ich tun? Ihm entgegenlaufen? Auf Taince warten? Nach einer zweiten Taschenlampe, einer zweiten Waffe suchen, falls es die überhaupt gibt?
Ein Klirren hinter ihm. Er fuhr herum.
Taince sprang mit einem Riesensatz von einer Stufe in der eingedrückten Wand zu Boden. »Alles klar?«
»Ja, aber …«
»Komm mit! Aber bleib ein paar Schritte hinter mir. Sag Bescheid, wenn du nicht mithalten kannst.« Sie lief langsam, mit einer Hand die Waffe in die Höhe haltend, an ihm vorbei. An das grimmige Lächeln auf ihrem Gesicht sollte sich Fassin erst später erinnern.
Sie rannten den flachen Hang hinauf und tiefer in das Schiff hinein. Der Boden unter ihren Füßen wurde immer welliger, bis sie schließlich von Grat zu Grat springen mussten. Endlich ließen sie sich durch einen Riss nach unten fallen, liefen über eine leicht ansteigende, halb elastische Oberfläche, die sich anfühlte wie Eisen mit dünner Gummiauflage, und flankten über dicke Trossen, die in Hüfthöhe wie ein unregelmäßiges Netz über den ganzen Raum gespannt waren. Fassin folgte Taince, so gut er konnte. Die Leuchtstreifen an ihrem Overall wiesen ihm den Weg. Obwohl sie in einer Hand die Pistole hielt, lief und sprang sie fließender als er, der beide Arme frei hatte. Der Boden stieg steiler an, dann ging es abwärts.
»Taince! Fassin!«, rief Sal irgendwo von vorne.
»Kopf runter!«, brüllte Taince, die plötzlich wie ein Taschenmesser zusammengeklappt war.
Fassin reagierte gerade noch rechtzeitig; nur sein Haar streifte die harte tintenschwarze Kante über sich. Sie wurden langsamer, Taince tastete sich mit einer Hand an der dunklen Decke entlang und schlüpfte seitlich durch einen schmalen Spalt.