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Fassin folgte ihr. Die kalten, seelenlosen Wände zu beiden Seiten schienen ihn zu erdrücken.

Von vorne fiel schwaches Licht auf den verwirrend schrägen Boden und das Durcheinander aus Trägern und Röhren, das die Decke bildete. Spitze Zacken wie Stalaktiten und Stalagmiten, dünne herabhängende Kabel, eine rote Masse, die nach unten explodiert und in Form einer riesigen umgedrehten Blüte erstarrt war. Und da, auf einem schmalen Sims vor einem gezackten, etwa dreieckigen Loch im Boden von vielleicht zwei Metern Durchmesser, im Schein der Reflektoren auf seiner Jacke in die Tiefe starrend, kauerte Sal.

Nun blickte er auf. »Len!«, rief er. »Sie ist hinuntergestürzt.«

»Sal«, fragte Taince scharf. »Ist der Untergrund stabil?«

Er schien verwirrt, verängstigt. »Denke schon.«

Taince testete den Boden mit einem Fuß, dann kniete sie an einer Spitze des Dreiecks nieder. Fassin bedeutete sie zurückzubleiben. Sie legte sich auf den Bauch und steckte den Kopf in das Loch. Dann murmelte sie etwas von verstärkten Kanten und schickte Fassin mit einer Handbewegung an die Seite gegenüber von Saluus. Dort war mehr Platz. Er streckte sich auf dem Boden aus und schaute in die Tiefe.

Unter dem Dreieck öffnete sich eine dunkle Höhle. Ganz schwach blinkten scharfe Kanten herauf; stufige Gebilde, die wie riesige Kühlflossen aussahen. Fassin schwirrte der Kopf, als ihm aufging, wie viel von dem Schiffswrack sich noch unter ihnen befand. Er versuchte sich zu erinnern, wie weit der Flieger vor dem Eintritt in das Riesenschiff vom Wüstenboden aufgestiegen war. wie hoch waren sie gewesen? Hundert Meter? Etwas weniger? Und auf dem Weg vom Flieger hierher waren sie fast nur aufwärts gegangen.

Ilen lag etwa sechs Meter unter ihm. Sie hatte sich an zwei armdicken Vorsprüngen verfangen, die wie nach oben gewölbte Stoßzähne aus dem nächsten unversehrten Schott ragten. Sie lag auf dem Bauch, ihr Kopf, ein Bein und ein Arm hingen über dem Abgrund. Die Leuchtstreifen an ihren Ärmeln spendeten ein fahles, grünlich blaues Licht. Die abgebrochenen Enden der beiden Stoßzahngebilde endeten nur wenige Zentimeter neben ihrem Körper. Auf einer Seite ragten in Abständen von acht bis neun Metern weitere Stoßzahnpaare wie Knochenfinger aus dem Schott ins Leere. Der Abgrund unter ihr war schätzungsweise fünfzig oder sechzig Meter tief, und unten warteten die Kühlflossen mit ihren scharfen Kanten.

Der menschliche Verstand hatte sich erst an Welten wie ’glantine gewöhnen müssen, wo die Schwerkraft geringer war und man nach einem Sturz, bei dem man sich auf der Erde beide Beine gebrochen hätte, noch unversehrt aufstehen konnte. Aber wenn die Fallhöhe und damit die Beschleunigung groß genug war, blieb ein Körper nach einem Sturz aus sechzig Metern hier ebenso schwer verletzt oder gar tot liegen wie nach einem Dreißig-Meter-Sturz auf der Erde.

»Haben wir ein Seil?«, fragte Taince.

Sal schüttelte den Kopf. »Oh Gott, was für eine verdammte Scheiße. Nein. Doch, ja, aber ich habe es dort hinten gelassen.« Er wies mit einem Nicken zum Schiffsinneren hin. Ein Schauer überlief ihn, er schlang die Arme um seinen Körper, dann schlug er den Kragen seiner Jacke hoch, als wäre ihm kalt. »K-konnte den Knoten nicht wieder aufkriegen.«

»Verdammt! Sie bewegt sich«, sagte Taince, steckte den Kopf wieder in das Loch und rief: »Ilen! Ilen, du musst still liegen! Kannst du mich hören? Nicht bewegen! Sag nur, ob du mich hören kannst!«

Ilen drehte schwach den Kopf, der Arm, der über den Abgrund hing, zitterte ein wenig. Sie schien sich auf den Rücken drehen zu wollen, rutschte aber nur noch näher an den Abgrund heran.

»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, stöhnte Sal. Seine Stimme klang schrill und gepresst. »Sie war hinter mir. Ich dachte, es ist alles okay. Es muss eine Luke gewesen sein. Ich habe nichts gesehen, bin wohl drübergestiegen. vielleicht lag sie auch nur lose auf, und Len hat sie durchgetreten. Sie hat nach mir gerufen. Ich sah sie noch schwanken. Sie wollte mit einer Hand das Gleichgewicht halten, dann hat sie aufgeschrien und ist hineingestürzt. Ich war zu weit weg, konnte sie nicht mehr erreichen. Wir haben nichts weiter gemacht und nicht einmal etwas gefunden! Nur Schrott! Verdammte Scheiße! Es war doch alles in Ordnung! Sie war dicht hinter mir!«

»Still jetzt«, sagte Taince. Sal lehnte sich zurück und wischte sich den Mund ab. Er zitterte. taince steckte die Pistole wieder ein, klebte sich einen Leuchtstreifen auf die Stirn, hielt sich mit beiden Händen an den Seiten des Dreiecks fest und steckte den Kopf tiefer in das Loch als zuvor. Dann stemmte sie sich noch einmal hoch und schaute zu Fassin zurück. »Halt mich an den Füßen fest.«

Fassin gehorchte. Taince ließ sich bis über die Schultern in das Loch sinken, mahnte noch einmaclass="underline" »Ilen! Du musst ganz still liegen!«, und stemmte sich kurz wieder hoch. Der Leuchtstreifen auf ihrer Stirn brannte wie ein unheimliches Auge. »Da unten gibt es nichts, woran man sich festhalten könnte«, sagte sie. »Sie rutscht hin und her. Hat sich wohl den Kopf angeschlagen. Sie wird weiter abstürzen.« Sie sah Sal an. »Sal, wie weit ist es bis zu diesem Seil? Zeitangabe!«

»Scheiße! Keine Ahnung! Zehn, fünfzehn Minuten vielleicht?«

Taince schaute wieder in das Loch. »Verdammt«, sagte sie leise. »Ilen!«, rief sie dann. »Du musst still liegen!« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn ich rufe, bewegt sie sich erst recht«, sagte sie wie zu sich selbst. Sie holte tief Luft und wandte sich an Saluus und Fassin. »Okay. Wir machen Folgendes«, sagte sie. »Wir holen sie mit einer Menschenkette heraus. wir haben das schon geübt. Es ist machbar.«

»Gut«, sagte Sal und richtete sich auf. Im trüben Licht war sein Gesicht totenbleich. »Was müssen wir tun?«

»Einer hält sich oben fest, ein Zweiter klettert an seinem Körper hinunter und hängt sich an seine Füße, der Letzte klettert an beiden vorbei und holt Ilen. Das mache ich.«

Sal riss erschrocken die Augen auf. »Aber ganz oben …«

»Bist du. Du bist der Kräftigste von uns. auf der Erde wäre es nicht möglich; hier schon«, erklärte Taince. Sie rutschte zu Sal hinüber und griff nach seinem Rucksack. »Ich habe schon Ketten mit vier Gliedern gesehen. Ihr zwei seid doch ganz gut in Form. Fass, du bist in der Mitte. Der Oberste bindet sich zusätzlich mit den Gurten hier fest«, sagte sie mit einem Blick auf Sal. Dann zog sie ein Messer aus der Tasche und stieß es in einen der Schulterriemen.

Sal kniete zitternd am Rand des Loches nieder. »Verdammter Mist, Taince«, sagte er, »natürlich will jeder hier, dass sie gerettet wird, aber auf diese Weise bringen wir uns womöglich alle um. Scheiße, verdammte Scheiße. Ich weiß nicht, was wir tun sollen. Ich kann das einfach nicht glauben. So etwas kann nicht passieren, verdammt, das kann doch gar nicht sein!« Zitternd setzte er sich wieder auf die Fersen zurück und betrachtete seine Hände, drehte sie hin und her, starrte sie an, als wären sie ihm fremd. »Ich weiß nicht, ob ich mich überhaupt halten kann«, sagte er. »Ich weiß es wirklich nicht.«

»Du schaffst das schon«, sagte Taince, die immer noch an den Gurten herumsäbelte.

»Verdammt, wir werden alle sterben«, sagte Sal. »Hölle und Teufel.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Ich will das nicht. Nein. Nein

»Es wird schon gut gehen«, sagte Taince und verknotete die abgeschnittenen Riemen rasch mit denen, die noch am Rucksack befestigt waren.

Ich bin ganz ruhig, dachte Fassin. Vermutlich stehe ich unter Schock, aber ich bin vollkommen ruhig. Entweder sind wir bald alle tot, oder wir kommen mit einem blauen Auge davon, und dann hält unsere Freundschaft für den Rest unseres langen Lebens, jedenfalls bin ich überhaupt nicht aufgeregt. Wir müssen nehmen, was kommt, und solange wir unser Bestes tun und keiner die anderen im Stich lässt, haben wir uns nichts vorzuwerfen. Er schaute auf seine eigenen Hände nieder und sah, dass sie zitterten. Aber das ließ sich beherrschen. Er beugte und streckte die Finger. Er fühlte sich stark. Er würde tun, was in seinen Kräften stand, und wenn das nicht ausreichte, war es nicht seine Schuld.