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Der Captain schaute sich um, als hoffte er, echte Kometenkerne vorbeischweben zu sehen. wenn er die Sichtblende auf eine bestimmte Stelle richtete und sie heranzoomte, konnte er gerade noch den Lichtschein aus den Triebwerken seiner beiden anderen Schiffe erkennen, die er nach Beendigung der Aktion ins innere System zurückbeordert hatte. Zwei matt blaue, stetig leuchtende Sterne. Ansonsten waren im näheren Umkreis nur sein eigenes Schiff und das zwei Kilometer entfernte Wrack zu sehen.

Ein kalter und einsamer Ort zum Sterben, dachte der Captain. Als Versteck für ein Maschinenmonstrum eine logische und vernünftige Wahl, aber sicher kein Ort, an dem ein – echtes oder scheinbares – Lebewesen, das anderswo aufgewachsen war, freiwillig seine letzten Augenblicke verbringen würde.

Er gab den Schirm an seine Nummer Drei zurück und richtete seine Primäraugen auf den Koloss. Aus der dem Offizier zugewandten Rückenvertiefung mit dem Sendekomplex und den Sekundäraugen flimmerten die folgenden Worte:

Ein Teil unserer Mission ist erfüllt. Nimm Kurs auf die Systembasis und bring AM-Sprengsätze in Stellung. Die Zündung erfolgt, sobald die Speicher des Monstrums vollends ausgewertet sind. Die Rückstände sollen die Größe von Elementarteilchen nicht überschreiten.

Verstanden.

Abtreten.

Das Schiff beschleunigte zügig, aber nicht allzu hart. Fassin hörte sein schwaches Dröhnen wie aus weiter Ferne. Ein kleines Polster unter seinem rechten Arm registrierte die Bewegungen seiner Muskeln und bewegte den Bildschirm vor oder vielmehr über ihm, als sich die Liege flach stellte und er nur noch vom Druckanzug gestützt wurde. So konnte er einen letzten Blick auf Pirrintipiti werfen, während sich das Schiff von Nasqueron entfernte und systemeinwärts auf Sepekte zuflog, den nächsten Planeten in Richtung Zentralgestirn, auf dem mehr oder weniger erdähnliche Bedingungen herrschten.

Auf dem Schirm erschien ’glantines tropische Hauptstadt als flimmerndes, mit vielen Türmen besetztes Band, ein Pinselstrich, der sich über viele dunkelgrüne Inseln in einem blassgrünen Meer hinzog. Seltsam, dachte Fassin, ich vermisse Pirri schon jetzt. Er hätte den Raumhafen dort ohnehin nicht verlassen können, aber er hatte sich darauf eingestellt, wie üblich von einem Suborb in die Untergrundbahn umzusteigen, um dann irgendwo in den Tiefen der gewaltigen Säule des Äquaturms darauf zu warten, dass ihn ein Fahrstuhl am Kabel empor zum Sathafen und in ein raumtüchtiges Schiff brachte. Direkt vom Herbsthaus ins All zu gelangen, erschien ihm irgendwie unnatürlich, ein Schnitt durch die Seele.

Ein Flug nach Sepekte dauerte je nach Planetenstand, bei der Standardbeschleunigung von einem Ge zwischen knapp fünf Tagen und mehr als einer Woche. Die Schiffe waren groß und bequem, man konnte sich frei bewegen, Restaurants und Bars besuchen, sich Filme ansehen oder in der Sporthalle trainieren, und auf den größeren Linienschiffen gab es sogar Schwimmbäder. Die Minuten der Schwerelosigkeit auf halbem Wege nützte man für komische Einlagen (und oft genug für schnelle und seltsam unbefriedigende sexuelle Abenteuer). Für die Bewohner von ’glantine war es manchmal nicht angenehm, dank der Standardschwerkraft doppelt so schwer zu sein wie zu Hause, aber auf Sepekte hatten sie in etwa das gleiche Gewicht, der Flug war also die richtige Vorbereitung.

Der Bildschirm zeigte Drücke von drei, vier und schließlich etwas über fünf Ge an. Fassin wurde in die Liege gepresst. Der Druckanzug erspürte seine Atemzüge und kontrollierte und unterstützte sie, so dass er seine Lungen ohne allzu große zusätzliche Anstrengung füllen konnte.

»Ich glaube«, sagte First Officer Dicogra, »ich gönne mir jetzt ein Nickerchen. Oder möchten Sie sich lieber unterhalten?«

»Schlafen Sie nur«, sagte Fassin. »Vielleicht lege ich mich auch ein bisschen hin.«

»Schön. die Lebensfunktionen werden ohnehin vom System überwacht. Bis später.«

»Angenehme Träume.«

Fassin beobachtete, wie ’glantine vom Schirm verschwand. Dahinter erschien nicht sofort das Dunkel des Alls mit seinen schäumenden Sternenbächen, sondern Nasquerons breites, sonnenbeschienenes Antlitz, aufgewühlt von Gaswirbeln in der Farbe einer Märchenwüste, die in gigantischen Bändern wie gegenläufige Flüssigkeitsströme um eine Kugel mit einem Durchmesser von einhundertfünfzigtausend Kilometern wanderten, einen Himmelskörper, in dem man ’glantine, Sepekte oder die Erde tausendmal versenken könnte, ohne dass es auffiele. Ein eigenes, gar nicht so kleines System innerhalb von Ulubis. Die riesige Welt war allem, was ein Mensch Heimat nennen konnte, denkbar unähnlich, dennoch war sie der Ort, an dem Fassin bereits jetzt, gelegentlich bei anderen Zeitgeschwindigkeiten, den größten Teil seines ungewöhnlichen Lebens verbracht hatte. Und so war dieser Planet trotz seiner exotischen Dimensionen, seiner starken Magnetfeld-und Strahlungsunterschiede, seiner extremen Temperaturen, seines alles zermalmenden Drucks, seiner nicht atembaren Atmosphäre und seiner unberechenbaren, exzentrischen Bewohner für ihn und seine Seherkollegen fast zur zweiten Heimat geworden.

Fassin wartete, bis auch Nasqueron schrumpfte,’glantine nur noch wie ein winziger Punkt über der riesigen, gebänderten ockergelben Oberfläche schwebte und ringsum die helleren Sterne auftauchten, dann schaltete er den Bildschirm aus und schlief.

Er erwachte. vier Stunden waren vergangen. Der Druck war immer noch so hoch wie vorher, in weiter Ferne dröhnten die Triebwerke. Er hatte ausgeschlafen, also schaltete er auf ›Langsam‹-Zeit zurück und hing seinen Gedanken nach.

Jeder Bewohner des Ulubis-Systems wusste genau, wo er sich aufgehalten hatte, als das Portal zerstört wurde. Das kam daher, dass dem Einzelnen, sobald er davon hörte, sofort klar war, dass er zumindest für die nächsten zweieinhalb Jahrhunderte hier festsitzen würde. für die meisten, die überwiegende Mehrheit sogar – neunundneunzig Prozent waren Menschen – die nun das System nie mehr verlassen konnten, war das ein tiefer Einschnitt. Nun mussten sie den Rest ihres Lebens hier verbringen. Alle Träume, alle Hoffnungen, jemals den Rest der Galaxis zu sehen, würden sich nicht mehr erfüllen.

Für manche hieß es außerdem, dass ein geliebtes Wesen, das sich anderswo in der Galaxis, jenseits des verschwundenen Portals befand, für immer unerreichbar war. Die Entfernung nach Zenerre betrug zweihundertvierzehn Jahre: nicht nur das Licht brauchte mehr als zweihundert Jahre für die Strecke, das galt auch für Nachrichten und andere Signale, die von dort nach Ulubis geschickt wurden. Und selbst wenn sich die Techniker unverzüglich mit einem Portalträgerschiff auf den Weg machen sollten, mochten drei Jahrhunderte vergehen, bevor die Wurmlochverbindung wiederhergestellt würde.

Und wer konnte mit Sicherheit sagen, ob es überhaupt noch Techniker oder große Schiffe gab? Vielleicht war das Ulubis-Portal nicht das einzige Opfer gewesen, vielleicht waren gleichzeitig auch alle anderen Portale angegriffen und zerstört worden. Vielleicht existierte auch die Merkatoria nicht mehr, vielleicht gab es in der gesamten Galaxis keinen Komplex und keine Arteria und Portale mehr, und alles, was von der jüngsten großen Zivilisation übrig blieb, waren etliche tausend vereinzelte kleine Inselsysteme, zersplittert, entlegen, einsam und isoliert.

Im normalen Kommunikationsverkehr, der durch die Portale ging, hatte bis unmittelbar vor der Zerstörung nichts auf einen solchen galaxisweiten Angriff hingedeutet. allerdings war auch der erste Hinweis vor dem Anschlag auf das Ulubis-Portal erst zehn Minuten vor dem Auftauchen der größten Beyonder-Flotte gekommen, die Ulubis je gesehen hatte. Die glänzenden Schiffe waren wie aus dem Nichts erschienen, hatten sich auf die größte Streitmacht aus Schiffen und Weltraumgeschützen im ganzen System gestürzt und waren zu Hunderten ausgelöscht worden. aber sie hatten – ohne die Schiffe der Verteidiger zu beachten, solange sie ihnen nicht direkt im Weg waren – mit roher Gewalt und ohne Rücksicht auf eigene Verluste eine Abwehrfront nach der anderen durchbrochen, hatten geradewegs die Portalmündung angesteuert und schließlich mit einer Serie heftiger Antimaterie-Explosionen alles um sich herum ausgelöscht. Nur an diesen Detonationen hatte das System das Ausmaß und die Brutalität des Geschehens zu erkennen vermocht. Über allen bewohnten Welten hatte kurzzeitig ein Nova-Schwarm aufgeleuchtet, der lange Schatten warf und alles blendete, was ihm zu nahe kam. Die Reste der Beyonder-Flotte und viele ihrer Verfolger waren einfach verdampft.