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Zwar hatte er immer noch gelegentlich seine wilden Phasen, aber sie waren weniger geworden und kamen in größeren Abständen, wenn auch in den Augen seines Onkels Slovius immer noch zu häufig.

Es war ihm gelungen, selbst in den jahrtausendealten heiligen Hallen der Seherschaft immer wieder für Aufruhr und Empörung zu sorgen. In den letzten fünfzehnhundert Jahren hatte man – unter Führung von Onkel Slovius – virtuelle Trips dem direkten Kontakt zunehmend vorgezogen. virtuelle oder Fern-Trips wurden von einem klinisch reinen Komplex der Seher-Fakultät auf Third Fury aus gesteuert, dem Mond, der im nahen Orbit knapp über den Randzonen von Nasquerons dunstiger Atmosphäre seine Bahn zog. Der Seher lag, streng überwacht, im Tiefschlaf, hielt durch eine Kombination von hoch auflösenden NMR-Scannern, Laserverbindungen, Kommunikationssatelliten und notfalls auch durch ferngesteuerte mechanische Drohnen, die ihm schmutzige oder gefährliche Arbeiten abnahmen, engen Kontakt mit Dweller-Horden, -Schwärmen, -Schulen und -Individuen auf dem Gasriesen und kommunizierte mit ihnen.

Fassin hatte sich als Rädelsführer einer kleinen Rebellion hervorgetan und bestand zusammen mit einer Hand voll anderer junger Seher, Männer wie Frauen, darauf, sich in ein enges pfeilspitzenförmiges Gasschiff zu zwängen, Kiemenwasser einzuatmen und sich Röhren und Ventile in jede größere Körperöffnung schieben zu lassen. Die Rebellen wollten sich selbst und ihr Schicksal diesem Schiffchen anvertrauen, das nur den Seher enthielt, Druck, Gift, Strahlung und alles andere schluckte und ihn unmittelbar in die Gasriesen-Atmosphäre brachte. Sie hofften, sich auf diese Weise leichter den Respekt und das Vertrauen der Bewohner zu erwerben, ihre Aufgabe besser zu erfüllen und mehr in Erfahrung bringen zu können.

Es hatte Todesfälle, Rückschläge, heftige Diskussionen, Verbote und Streiks gegeben. Doch mit der Zeit hatten sich die Jüngeren durchgesetzt, vor allem deshalb, weil ihre Rohdaten umfangreicher und ihre Ergebnisse unbestreitbar besser waren. (Unbestreitbar besser insofern, als sie allem Bisherigen deutlich überlegen waren, aber nicht so viel besser, dass die alte Garde nicht hätte behaupten können, so weit wäre man auch gekommen, wenn man in den eingefahrenen Gleisen weitergemacht hätte, eine Einstellung, die wahrscheinlich überhaupt erst den Anstoß zu dieser längst überfälligen Verbesserung gegeben hatte). Trips auf die harte Tour, reale Trips, bei denen man sich bildlich gesprochen die Hände schmutzig machte, waren inzwischen eher die Regel als die Ausnahme. Sie waren auf jeden Fall aufregender und risikoreicher, aber für den betreffenden Seher auch sehr viel lohnender und mit mehr Spaß verbunden sowie beobachterfreundlicher für alle Interessenten der Zusammenschnitte zeitverzögerten Materials, welche die fortschrittlicheren Seher-Häuser seit etwa einem halben Jahrtausend an die Unterhaltungsmedien lieferten.

»Du hast so etwas wie einen Sport daraus gemacht«, hatte Slovius eines Tages traurig bemerkt, als er mit Fassin in einem Staubboot auf der Erzsee von ’glantine beim Fischen war. »Früher war es eine eher geistige Tätigkeit.«

Dennoch war Slovius, zunächst ein überzeugter und eingefleischter Kritiker der ganzen Real-Trip-Bewegung, der jedoch keine Chance ausließ, die Interessen seines Sept zu fördern, zu einem Verteidiger des Konzepts geworden. Aber er hielt sich, wie es sich für jemanden in seiner Stellung ziemte, im Hintergrund und unterstützte Fassin diskret. Doch irgendwann stellte er sich mit dem ganzen Gewicht des Sept Bantrabal hinter ihn und seine Mitrevolutionäre. Das sollte sich als die erfolgreichste Einzelentscheidung seiner ganzen Amtszeit als Oberster Seher und Familienoberhaupt des Sept Bantrabal erweisen. Er und Fassin behielten Recht, ihr Sept gedieh und wurde der wohl produktivste und höchstgeachtete unter den zwölf Septen des Ulubis-Systems – und das Haus Bantrabal wurde zu einem der führenden Seherhäuser in der Galaxis.

Inzwischen war Fassin der wohl bekannteste Seher im System, besonders sein Aufenthalt beim Dimajrian-Stamm, jener Gruppierung von wilden halbwüchsigen Dwellern, mit denen er sich angefreundet hatte, um dann für ein Jahrhundert scheinbarer oder ein halbes Dutzend Jahre realer Zeit zu ihnen zu gehören, hatte ihn berühmt gemacht. Für einen Seher hatten seine besten Jahre noch nicht einmal begonnen, dennoch stand er bereits an der Spitze seines Berufsstandes. Er war vor dreihundertneunzig Jahren geboren worden, hatte nach Eigenzeit kaum fünfundvierzig Jahre gelebt und sah noch einmal zehn Jahre jünger aus.

Wenn er manchmal an den Albtraum in dem zerstörten Alien-Schiff zurückdachte und sich vergegenwärtigte, wie es Sal, Taince und ihm selbst seither ergangen war, dann schien es ihm, als stünden sie alle drei irgendwie unter magischem Schutz. Als hätte sich ein Fluch ins Gegenteil verkehrt und sie wären nun gegen alles Unheil gefeit, weil Ilen, ohne es zu wissen, auf ihre eigene strahlende Zukunft verzichtet und den Segen auf ihre Freunde verteilt hatte.

Er verabschiedete sich von Taince mit einem Kuss. Sie war auf dem Weg zum Portal und durch den Komplex zur Militärakademie am anderen Ende der Galaxis, wo sie ein Jahr lang unterrichten sollte. Fassins wollte nach Nasqueron, das derzeit auf der anderen Seite von Ulubis stand, um den Dwellern auch weiterhin möglichst viel von ihrem Wissen zu entlocken.

Taince hatte das Portal einen Tag vor seiner Zerstörung noch wohlbehalten passiert. Fassins Linienschiff war einen Tag zuvor von Sepekte gestartet. Noch während die Nachricht einging, war ihm klar, dass er seine Jugendfreundin vielleicht niemals wiedersehen würde.

Sal, der so oft unterwegs war, befand sich zum Zeitpunkt des Angriffs zu Hause bei seinem leidgeprüften Vater. In den ersten zehn Stunden war er wie erstarrt und wollte nicht glauben, was geschehen war, dann trauerte er einen Monat lang um seine verlorenen Freiheiten und versuchte, seinen Kummer in Ulubis’ Lasterhöhlen – so weit sie diesen Namen verdienten – zu ertränken, auszuräuchern oder wegzuficken. Tatsächlich gab es auf Sepekte, insbesondere in Borquille, durchaus verrufene Bars, Rauchkneipen und Bordelle – Borquille hatte mit Boogeytown ein ganzes Viertel für diese Art von Erholung und Entspannung reserviert – aber Sepekte war eben nicht der Rest der zivilisierten Galaxis, und das war das Problem. Einmal hatte Fass ihn zufällig in einer Drogenkaschemme in Boogeytown getroffen, aber Sal war schon so high gewesen, dass er seinen alten Freund nicht einmal erkannt hatte.

Irgendwann tauchte Sal aus dem Sumpf wieder auf. Er ließ sich die Haare schneiden, trennte sich von einigen Tätowierungen und vielen Bekannten, und stand in der folgenden Woche pünktlich zu Arbeitsbeginn im Büro der Firma, wo die Angestellten, völlig verschreckt von zahlreichen Fehlalarmen, immer noch hektisch durcheinander liefen und jeden Moment mit einer Invasion rechneten.

Die Fragen lauteten von Anfang an: Wieso? Warum gerade wir? Was nun? Und: Wer noch?

Waren solche Angriffe überall erfolgt?

Ulubis sollte mehr als zweihundert Jahre warten müssen, um zu erfahren, ob es Teil einer größeren Katastrophe war, oder ob der Angriff ihm allein gegolten hatte. Man war nicht abgelegener gewesen als jedes andere System am Ende eines einzelnen Wurmlochs – und deshalb um mehrere Größenordnungen weniger abgelegen als die vielen hunderttausend Raumfahrenden Rassen, die noch nicht oder noch nicht wieder angeschlossen waren – doch nun waren Ulubis, sein Hauptplanet Sepekte, seine drei größeren bewohnten Monde einschließlich ’glantines, seine tausenden von künstlichen Habitaten und die zwanzig Milliarden Seelen im gesamten System wirklich so ungeschützt und am Ende der Welt, wie sie beim ersten flüchtigen Blick auf eine galaktische Sternenkarte schon immer erschienen waren.

Die Sicherheitskräfte, die Truppen der Navarchie und die Außengeschwader von Ulubis, soweit noch vorhanden, sammelten sich und formierten sich neu. Man rief das Kriegsrecht aus und setzte einen Notstandsplan in Kraft, der den Löwenanteil der hoch entwickelten Produktionskapazitäten des Systems für den Bau von Waffen und Kriegsschiffen requirierte. So konnte Kehar Heavy Industries, das Unternehmen von Saluus’ Vater, in einer Weise wachsen und gedeihen, wie es sich sein Gründer in seinen gierigsten Träumen nicht erhofft hatte, und Saluus wandelte sich vom verschwenderischen Erben eines großen zum künftigen Besitzer eines unermesslichen Vermögens.