Um die Dampfsäule in der Mitte schlängelten sich Rauchfäden wie dünne schwarze Ranken um einen mächtigen, hellen Stamm. Der Rauch stieg von den abgestürzten Maschinen der Verteidiger auf, und da und dort hatten wohl auch die Erschütterungen der Kraterwaffe weitere Brände entfacht. Ein Teil der Kunst bei diesem Werk bestand darin, eine große Vertiefung zu schaffen, ohne ringsum alles völlig zu zerstören. (Schließlich sollte hier eine neue, eine wiedergeborene Stadt entstehen). Für so viel Präzision brauchte man hoch entwickelte Geschütze. Doch für solche Details waren seine Waffenexperten zuständig.
Der Archimandrit Lusiferus sah sich um und lächelte. Seine Stabschefs hatten sich respektvoll hinter ihm aufgereiht. Sie schienen sich in der frischen Luft dieses eben eroberten Planeten nicht sonderlich wohl zu fühlen. (Aber tat es denn nicht gut, diese Luft einzuatmen, trotz ihrer fremden Düfte? Waren die fremden Gerüche nicht allein schon ein Zeichen dafür, dass sie ihr ständig wachsendes Herrschaftsgebiet um ein neues Juwel bereichert hatten)? Hinter und über ihm schwebten mit leisem Summen waffenstarrende Kriegsschiffe inmitten von kleinen Wolken aus Sensor-und Waffenplattformen. Seine Leibwächter lagen oder knieten, die schwarz glänzenden Waffen im Anschlag, um ihn herum im Gras. Einige stapften in militärischen Exoskeletten schwerfällig auf und ab oder hatten sich zusammengekauert und die gespreizten Füße tief in die Erde gebohrt.
Am Fuß des Hügels, hinter einem weiteren Ring von Wachposten, wälzte sich unter dem wachsamen Summen von Wachdrohnen ein träger, graubrauner Flüchtlingsstrom dahin.
Stelzer; Erdfledermäuse oder Whule. Eine Spezies der Merkatoria. Seit Jahrtausenden separiert, gewiss, aber doch zur Merkatoria gehörig. Lusiferus schaute zum fahlgrünen Himmel auf und sah im Geiste die Nacht, die Sternenschleier und die eine ganz besondere Sonne immer näher kommen – die Sonne, die man ihm erst vor vierzig Stunden aus dem Orbit gezeigt hatte, als die Invasionstruppen für die erste Landung vorbereitet wurden, die Sonne, auf die sie zukrochen, zu der sie sich vorkämpften. Die Sonne mit Namen Ulubis.
In nebelhaften Fernen ragte der Äquaturm von Borquille wie ein dünner Stängel in den Himmel. Das kleine NavarchieSchiff glitt in Sepektes goldener Luft durch einen uralten Wald aus kilometerhohen Atmosphäreenergiesäulen und bescheideneren, aber immer noch eindrucksvollen Verwaltungs-und Wohntürmen auf den Palastkomplex zu und tauchte auf dem Empfangshof vor dem riesigen Palast des Hierchons in einen breiten, sanft abfallenden Tunnel ein. der Palast, eine Kugel mit einem Durchmesser von achthundert Metern, war von einem längst verstorbenen Sarkomagier nach dem Vorbild von Nasqueron selbst entworfen worden. Seine Etagen, die langsam gegenläufig um einen festen inneren Kern rotierten, ahmten sogar die einzelnen Bänder des Gasriesen nach. Orangerote, braune und ockerfarbene Wirbelmuster zogen, ganz wie die Wolken des fernen Gasriesen, wenn man sie vom Weltraum aus betrachtete, in ständigem Wechsel über die Fassade des Gebäudes und verdeckten Fenster und Balkone, Sensoren und Transmitter.
»Major Taak? Ich bin Lieutenant Inesiji von der Palastwache. Hier entlang, wenn ich bitten darf. Und so schnell wie möglich.« Die Stimme hörte sich an, als spräche ein menschliches Kind mit einem Mund voller Kugellager. vor Fassin stand ein Jajuejein, ein Wesen, das in Ruhestellung einem Insekt oder einem Steppenläufer von siebzig bis achtzig Zentimetern Durchmesser glich. Dieses Exemplar hatte sich zu Fassins Größe von zwei Metern aufgerichtet, aus dunkelgrünem und stahlblauem Reisig einen gitterförmigen Kopf gebildet, der an ein Vogelnest erinnerte – zum Glück hatte es wenigstens auf ein Gesicht verzichtet –, und stand auf zwei Strünken, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Beinen hatten. Der Rumpf, durch den man an einigen Stellen den Boden der Empfangshalle sehen konnte, war ein glatter Zylinder, behängt mit Streifen aus scheinbar weichem Material und kleinen Metallobjekten, die Schmuckstücke, technische Instrumente oder auch Waffen sein mochten. Nun strebte es, halb rollend, halb fließend, einem kleinen offenen Wagen zu, auf den der Whule-Matrose vom Schiff bereits Fassins Gepäck verlud.
Fassin drehte sich um und winkte der benommen lächelnden Dicogra zum Abschied zu, dann stieg er mit dem Jajuejein auf den Karren und wurde nach einer kurzen Sicherheitskontrolle in der Empfangshalle kurzerhand in einen Fahrstuhl verfrachtet, der sie zu einem gekrümmten Korridor brachte. Endlich erreichten sie eine Suite, die offenbar eine echte Aussicht nach Norden über die Stadt bot. In der Ferne waren schwach die schroffen Berge zu erkennen. Lieutenant Inesiji stellte Fassins Taschen mit eleganten fließenden Bewegungen auf das Bett und erklärte, er habe genau eine Dreifünftelstunde Zeit, um sich frisch zu machen, seine Paradeuniform anzulegen und vor seine Tür zu treten. Man würde ihn abholen und in den Audienzsaal geleiten.
Fassin meldete mit einem Signal an den Sept Bantrabal seine sichere Ankunft, dann beeilte er sich, Inesijis Anweisungen Folge zu leisten.
Der prächtige Audienzsaal hatte die Form einer Kugel und war sehr warm. Die weißgoldenen Wände glänzten im Schein einer galaxisförmigen Wolke aus winzigen Sternenfünkchen, die sich über die ganze Decke zog. Die untere Hälfte des Saales war terrassenförmig abgestuft. Lieutenant Inesiji führte Fassin zu einer der vielen Plattformen in den Terrassen. Der Boden verformte sich und produzierte einen dem menschlichen Körperbau angepassten Sitz. Fassin nahm Platz – die sperrige Uniform hemmte ihn in seinen Bewegungen. Der Lieutenant gurgelte heiser: »Bitte bleiben Sie bis auf Weiteres hier«, knickte zu einer Verbeugung ein, verwandelte sich in ein Gebilde, das einem Wagenrad täuschend ähnlich sah, und rollte die schräge Rampe hinauf zu einem Ausgang.
Fassin sah sich um. Der Saal fasste sicher an die tausend Personen, aber außer ihm waren nur etwa ein Dutzend anwesend, weiträumig um die flache Schale verteilt, wie um den Abstand zwischen den Einzelnen möglichst groß zu halten. Die Menschen – in ähnlich unbequemen, ziemlich bunten Paradeuniformen wie er selbst – waren knapp in der Überzahl, aber er sah auch ein Jajuejein – in Ruhestellung zusammengerollt, vielleicht schlafend, gefangen in einem Netz von schillernden Bändern. Zwei Whule hockten wie eckige graue, mit silbernen Blüten bedeckte Zelte auf dem Boden und starrten ihn an. Auch zwei Quaup waren zugegen, zwei Meter lange rotbraune Ellipsen, von denen eine im Raum schwebte und ihn ebenfalls ansah (oder auf ihn zeigte), während die andere mit einem Ende den Boden berührte und schlief oder vielleicht strammstand. Fassin hatte ein breites Wissen, was die Körpersprache von Aliens anging, aber keine spezielleren Kenntnisse, wenn es sich nicht gerade um Dweller handelte. Drei große Schutzanzüge mit Wasserweltbewohnern vervollständigten das Kontingent von Nicht-Humanoiden: zwei von den Anzügen sahen aus wie aquamarinfarbene Quaup-Masken und enthielten wahrscheinlich Kuskunde; der dritte war eine mattschwarze Raute so groß wie ein kleiner Bus und strahlte Wärme ab. Darin befand sich höchstwahrscheinlich ein Symbioschwarm von Ifrahile.
In der Mitte des Saales, am tiefsten Punkt der Kugel, dicht vor mehreren breiten, erhöhten, konzentrischen Plattformen, die die Symmetrie des Raumes störten, stand ein Gebilde, das ganz und gar nicht hierher passte. Es sah aus wie ein uralter eiserner Kochkessel, schwarz und bauchig, dreißig Meter im Durchmesser, mit einem flach gewölbten Deckel, und stand auf einem kurzbeinigen Dreifuß über dem Boden aus massivem, buttergelb glänzendem Gold. Die Kesseloberfläche war mit schmalen Leitschaufeln besetzt wie mit Nadelstreifen, doch sonst wirkte das Ding fast wie aus prähistorischer Zeit. Fassin hatte noch nie etwas dergleichen gesehen. Trotz der Wärme überlief es ihn kalt.