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»Unsere Strategen hielten es mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa sechs Prozent sogar für möglich, dass die Invasion bereits stattgefunden hätte, wenn dieses Signal hier einträfe.« Das Hologramm schaute sich im Saal um und lächelte. »Ich kann zu meiner Freude feststellen, dass dem nicht so ist.« Das Lächeln erlosch. »Andererseits hatte ich bei der Originalaufzeichnung dieses Signals noch gehofft, Ihnen sagen zu können, die Invasion liege noch drei bis fünf Jahre in der Zukunft. Doch seit meiner Manifestation kann ich auf einige Echtzeiterkenntnisse zugreifen, die Sie gewonnen hatten, und die lassen mir keine Wahl. Ich muss mich auf eine Schätzung festlegen, die Ihnen noch weniger Zeit zur Vorbereitung lässt, als wir gehofft hatten.« Das Abbild hielt kurz inne.

»Das E-5-Separat war bereits lange vorher für seine aggressive Expansionspolitik bekannt. Sonden zur Weltraumüberwachung fangen seit mehreren hundert Jahren Waffenblitze der Energiestufe acht auf, die von den Leseum-Systemen ausgehen.« Das Abbild warf einen Blick durch den Saal. »Mit anderen Worten, Weltraumschlachten und Atomexplosionen im hohen Megatonnenbereich. Alle Zeichen deuten auf eine Schurkenhegemonie hin, vermutlich beherrscht von einem Menschen, der sich Archimandrit Lusiferus nennt. Er war früher tatsächlich Angehöriger der Cessoria, allerdings nicht im Rang eines Archimandriten, sondern nur eines Hariolators. Wie es scheint, hat er sich selbst befördert. Auf jeden Fall dürfen wir ihn jetzt wohl als abtrünnig betrachten.« Das Hologramm lächelte schmal. »Die Leseum-Systeme waren bis vor nicht allzu langer Zeit der letzte noch angeschlossene Teil der Epiphanie-Fünf-Region. Leider fiel dieses Wurmloch-Portal einem kleineren Anschlag der Aussaatbewegung zum Opfer. Damit war der gesamte Raumsektor vollends von der Zivilisation abgeschnitten.« Das schmale Lächeln verschwand.

»Zehn Tage bevor das Signal abgesetzt wurde, griff eine aus etlichen hundert Großschiffen mit Gefolge und Truppentransportern bestehende Invasionstruppe aus dem E-5-Separat das Runanthril-System an, das vom E-5-Cluster aus gesehen kernwärts liegt. wir vermuten, die Angreifer wussten nicht, dass Ruanthril kurz vorher ein neues Portal erhalten hatte und an die Merkatoria angeschlossen war. Das System war bis dahin nicht Teil des Komplexes gewesen, das mag die Fehleinschätzung erklären. Jedenfalls waren Elemente der Generalflotte vor Ort, als die E-5-Streitkräfte angriffen. Der Angriff wurde mit schweren Verlusten auf beiden Seiten zurückgeschlagen.« Fassin war ganz sicher, in diesem Augenblick so etwas wie Bestürzung über die Gesichtspartien von Flottenadmiral Brimiaice huschen zu sehen. »Ja«, sagte das Abbild wie als Reaktion darauf. »Ich will nicht leugnen, dass auch wir überrascht wurden. Wir hatten einfach nicht genügend Schiffe. Noch bedauerlicher ist, dass im Anschluss das Portal zerstört wurde.« Hier setzte Flottenadmiral Brimiaice, ein Quaup, jene ausdruckslose Miene auf, die – wenn Fassin seinen Grundkurs für Gesichts-[oder gesichtsäquivalente] und Körpersprache der merkatorialen Spezies nicht ganz umsonst absolviert hatte – Schock und nachträgliche Beschämung verriet.

»Bevor es dazu kam«, fuhr das Hologramm fort, »wurden allerdings Informationen aus dem gekaperten feindlichen Flaggschiff in den Komplex übermittelt, unter anderem persönliche Aufzeichnungen des gegnerischen Großadmirals – also des Oberbefehlshabers der Invasionsflotte. Darin bekundete er für die Nachwelt oder für seine Memoiren sein Erstaunen darüber, dass so große Teile der gewaltigen Militärmaschinerie, der er angehörte und auf die er so stolz war, nicht dahin dirigiert würden, wo sie die stärkste Wirkung erzielen oder helfen könnten, die größte Zahl von Systemen in der kürzestmöglichen Zeit zu erobern. Mit anderen Worten, nicht zu den größten Sternenmassen, in Drehrichtung, rückwärts, aufwärts, abwärts und besonders kernwärts – sondern weg von diesen Regionen und hin zu den fast leeren Randbezirken der Galaxis, zu den Südlichen Riffranken, zum Quaternärstrom und zum Ulubis-System. ›Zu dem im Anus bohrenden, mit Scheiße verschmierten Finger am Ende eines verdorrten Armes‹, wie er das sehr bildlich ausdrückte.«

Fassin hätte fast laut aufgelacht. Die meisten Funktionäre auf den vorderen Plattformen zeigten sich, angeführt von den Menschen, in irgendeiner Form schockiert, entsetzt oder empört. Der Schutzanzug des Hierchon rollte einen halben Meter zurück, als hätte man ihn geohrfeigt.

Das Abbild warf in aller Ruhe einen Blick durch den Saal. »Zugegeben, nicht sehr schmeichelhaft. Ich bitte um Entschuldigung. Sie werden sich freuen zu erfahren, dass der Herr, dem wir dieses denkwürdige Bild verdanken, zurzeit dem Geheimen Inquisitariat der Vereinigten Streitkräfte bei seinen Ermittlungen behilflich ist.«

Auf einigen Gesichtern spiegelte sich Genugtuung, aber sie wirkte gezwungen. Sie haben tatsächlich nichts gewusst, dachte Fassin. Er hatte angenommen, der Hierchon und seine Vertrauten wären in groben Zügen informiert worden, aber sie waren offenbar ebenso ahnungslos gewesen wie er selbst.

»Natürlich haben wir auch das Sondenprofil, das vor der Invasion für die gescheiterte Eroberung von Ruanthril durch das E-5-Separat erstellt wurde«, sagte das Hologramm, »sowie die Profile mehrerer anderer Systeme, die mit der gleichen Kombination von Streitkräften überfallen wurden. Die Reflexionen des Befehlshabers der Invasionsflotte geben uns Grund zu der Annahme, dass Ulubis in beträchtlicher Gefahr schwebt. Ein Vergleich des Sondenprofils vor dem Angriff auf Ruanthril mit den jüngsten Überfällen und anderen feindlichen Aktionen innerhalb des Ulubis-Systems führt zu dem Schluss, dass besagte Gefahr akut und in einem Zeitfenster von wenigen Monaten bis knapp anderthalb Jahren zu erwarten ist. Für die Beyonder-Attacken existiert ein seit langem akzeptiertes und sehr konsistentes Angriffsprofil, und die Aggressionen, die das Ulubis-System im Laufe der letzten drei Jahre erleben musste, fallen aus diesem Rahmen.«

Fassin vermutete hinter dieser Bemerkung eine leise Kritik am Geheimdienst und den strategischen Planungsinstanzen des Systems, insbesondere der Navarchie. Flottenadmiral Brimiaice verhielt sich auffallend still, wie um nicht mehr Aufmerksamkeit als unbedingt nötig auf sich zu lenken. Die Information ließ außerdem auf ein größeres Vertuschungsmanöver schließen. fassin hatte ebenso wie Verpych geglaubt, diese ›aus dem Rahmen fallenden‹ Angriffe hätten erst vor etwas mehr als einem Jahr begonnen; dagegen hatte diese KI Zugriff auf Informationen, wonach die Attacken schon zwei Jahre länger andauerten. Aber das war nicht weiter überraschend. Man war längst daran gewöhnt, von den Behörden löffelweise mit rosarot gefärbten Falschinformationen gefüttert zu werden – und vorsichtshalber kein Wort zu glauben. Misstrauen kam erst dann auf, wenn man etwas präsentiert bekam, das aussah wie die schlichte, ungeschminkte Wahrheit.

»Ich habe noch mehr zu sagen«, erklärte das Abbild über dem Kochkessel den versammelten Zuhörern.»Aber ich spüre, dass einige von Ihnen kaum noch an sich halten können. Deshalb möchte ich Sie jetzt bitten, Ihre Fragen zu dem bisher Gehörten anzubringen. Sie brauchen sich im Übrigen nicht vorzustellen  – sämtliche Anwesenden sind mir bekannt.«

Alles schaute auf den Hierchon, der auch gleich lospolterte: »Maschine, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für diese Invasion?«