Das Hologramm schien von der ersten Frage nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Hatte es nicht sogar einen Seufzer ausgestoßen?
Fassin bekam die Antwort nur mit halbem Ohr mit; den folgenden Fragen und Antworten schenkte er noch weniger Beachtung. Es gab keine Informationen, die über das bereits Gehörte wesentlich hinausgegangen wären, und die meisten Äußerungen fielen im Grunde in die Kategorie von: Bist du sicher? Hast du den Verstand verloren? Belügst du uns, Monstrum? Und: Man wird doch hoffentlich nicht mir die Schuld daran geben?
Er wandte sich dem Sensorschirm zu und rief ein vernünftig dimensioniertes Hologramm auf, um sich eine genauere Vorstellung von der galaktischen Topografie zu verschaffen, um die es ging. Dann schaltete er zwischen der Verteilung der Zivilisationen im näheren Umkreis, wie er sie bis heute gekannt hatte – tatsächlich waren die Daten zweihundertfünfzig Jahre alt –, und der aktualisierten, erst siebzehn Jahre alten Version hin und her, die von der KI eingebracht worden war. Dabei wechselten die Sterne in riesigen Raumabschnitten von einer Falschfarbe in eine andere, so dass er sehen konnte, wie weit diese Hegemonie des Separat-Clusters Epiphanie Fünf ihren Einfluss bereits ausgedehnt hatte.
»… mit aller Kraft Widerstand leisten!«, brüllte Flottenadmiral Brimiaice.
»Davon bin ich überzeugt«, sagte das Hologramm. »Allerdings weist alles darauf hin, dass Sie um ein Mehrfaches unterlegen wären, selbst wenn Sie alle verfügbaren Mittel und Ihre gesamte Zeit in ein Notprogramm zum Bau von Kriegsschiffen steckten und vollständig auf Kriegswirtschaft umstellten.«
Flottenadmiral Brimiaice raste vor Wut.
Auch Fassin hatte eine Frage auf dem Herzen, die er aber der KI nicht stellen wollte. Er hatte ohnehin das dumpfe Gefühl, sie würde früher beantwortet werden, als ihm lieb sein konnte. Die Frage lautete: Was ›zum Teufel‹ geht das alles mich an?
»Darf ich fortfahren?«, fragte das Abbild, als nach den nächsten Beiträgen unverkennbar war, dass die Fragen zu Unschuldsbeteuerungen, heroischen Entschlossenheitsbekundungen, positionswahrenden Erklärungen und Angriffen gegen andere anwesende Funktionäre zu entarten drohten und sich zunehmend der Grenze zur Geschmacklosigkeit näherten. Das Hologramm lächelte bedauernd. »Ich begreife durchaus, dass meine bisherigen Ausführungen für Sie alle in gewisser Weise schockierend sind. Dennoch waren sie, so Leid es mir tut, nur Vorbemerkungen. Der wichtigste Teil meines Auftrags folgt erst jetzt.«
Admiral Quiles Abbild hielt inne, um auch diese Aussage wirken zu lassen. Endlich sagte es: »Gut. In diesem Saal befindet sich ein Herr, der sich gewiss schon seit einer Weile fragt, was er eigentlich hier zu suchen hat.«
Fassin dachte gerade noch: Oh Scheiße, dann traf ihn der Blick des Hologramms. Sah es jetzt wirklich ihn an? Sahen auch alle anderen, dass es ihn ansah? Köpfe oder andere geeignete Körperteile drehten sich in seine Richtung. Die Antwort lautete wahrscheinlich ›ja‹.
»Seher Fassin Taak, würden Sie sich den anderen zu erkennen geben?«
Fassin rauschte das Blut in den Ohren. Er erhob sich, wandte sich dem Hierchon zu und verneigte sich langsam, aber nicht allzu tief. Er hatte das Gefühl, als schrumpfte ihm das Fleisch auf den Knochen. Alles schien sich um ihn zu drehen, er war froh, als er sich wieder setzen konnte. Obwohl er dagegen ankämpfte, schoss ihm das Blut in die Wangen.
»Seher Taak wurde zwar vor Jahrhunderten geboren, aber er ist noch ein junger Mann«, sagte das Abbild. »Er übt seinen Beruf pflichtbewusst und mit guten Ergebnissen bei den Gasriesen-Dwellern des Planeten Nasqueron aus. Für viele von Ihnen ist er, soviel ich weiß, kein Unbekannter. Nun wurde er zur Ocula der Justitiarität versetzt und in den Rang eines Majors erhoben. Die Gründe dafür werden sich zu gegebener Zeit erschließen.«
Fassin fühlte sich immer noch sehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, bemerkte aber, wie ihm Colonel Somjomion, die Menschenfrau, die als kommissarischer Stabschef die im Ulubis-System stationierte Einheit der Justitiarität leitete, bei diesen Worten von ihrer Plattform auf der anderen Saalseite aus vorsichtig zulächelte. Fassin war nicht sicher, ob man bei der Justitiarität salutierte oder nicht, so erhob er sich nur ein wenig von seinem Sitz und nickte förmlich.
Bei sich dachte er: Oh, verdammt!
Das Hologramm über der Kochkessel-KI fuhr fort: »Der Grund, warum Seher – Major – Taak heute hier ist und hören kann, was ich Ihnen zu sagen hatte, ist folgender: Er hat etwas entdeckt – genauer gesagt, aber ohne ihm zu nahe treten zu wollen, er ist über etwas gestolpert – was überhaupt erst dazu geführt hat, dass ich heute hier bin.«
Verdammter Mist. Ich hatte immer schon befürchtet, dass mich die Trips eines Tages umbringen würden, aber ich dachte dabei eher an eine technische Panne. Allerdings war Colonel Somjomions Lächeln zwar zurückhaltend, ja sogar vorsichtig, aber weder gehässig noch spöttisch gewesen. Vielleicht komme ich doch noch mit dem Leben davon.
»Womit wir natürlich beim eigentlichen oder jedenfalls beim wichtigsten Grund für meinen Auftritt in dieser nahezu beispiellosen Form wären.« Das Hologramm tat so, als wollte es tief Luft holen.
Dann schaute es langsam in die Runde und bemerkte schließlich: »Sie werden mir sicher beipflichten, dass Ulubis ein angenehmes und einigermaßen begünstigtes System ist.« Wieder hielt es inne.
Fassin hörte inzwischen sehr aufmerksam zu und wäre jede Wette eingegangen, dass die alte Redensart von der Stecknadel, die man angeblich fallen hören könne, wörtlich zu nehmen war. »Und«, sagte die Projektion mit einem strahlenden Lächeln, denn jetzt war sie sicher, die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen zu haben, »als Zentrum der Dweller-Forschung ist es in der ganzen Galaxis gerade für Altertumsforscher und Intellektuelle sicherlich nicht ohne Bedeutung.« Wieder eine Pause. Fassin hatte den Eindruck, dass die KI, die das Hologramm steuerte, durchaus auch imstande war, ihm ein Funkeln in die Augen zu zaubern.
»Man könnte sich dennoch die Frage stellen – auch hier hoffe ich, niemandem zu nahe zu treten – warum gerade Ulubis die Aufmerksamkeit unserer neuen Gegner aus dem Cluster Epiphanie Fünf auf sich gezogen hat. Man könnte sich sogar überlegen – wenn man weiß, wie wichtig es der Merkatoria ist, all die vielen, vielen Systeme wieder zu vernetzen, die seit Jahrtausenden ohne Arteria-Zugang sind – warum der Transport eines neuen Portals von Zenerre nach Ulubis mit solchem Eifer in Angriff genommen wurde, während dichter bevölkerte Systeme von größerer strategischer Bedeutung, die zu jener Zeit eindeutig unter größerem Druck standen, doch wohl mehr Anspruch auf die Mittel und die Fachkenntnis unserer geschätzten Kollegen von der Technik-Fakultät hätten anmelden können. Bedenkenswert wäre weiterhin, warum das Technikschiff Est-taun Zhiffir von jenen Einheiten der Generalflotte begleitet wird, denen mein Original anzugehören die Ehre hat – ja, warum das T-Schiff Est-taun Zhiffir überhaupt mit solchem militärischem Aufwand eskortiert wird.« Das Hologramm hob den Kopf und schaute abermals in die Runde. »Vielleicht wäre es nicht einmal völlig abwegig, die vermeintlich unstrittigen Hypothesen und längst feststehenden Schlussfolgerungen in Zusammenhang mit der Zerstörung des Ulubis-Portals durch die Beyonder-Rebellen vor mehr als zweihundert Jahren neu zu hinterfragen.«
Fassin spürte, wie der ganze Saal leise erschauerte. Geht es hier immer noch um mich und das, was ich gefunden haben soll?, fragte er sich. Je mehr ich höre, desto mehr hoffe ich, dass dem nicht so ist.
»Es gibt einen Umstand, einen Nexus, in dem viele zufällige Informationen zusammenlaufen,« sagte das Abbild mit einem breiten, aber freudlosen Lächeln und einer gewissen Schadenfreude in der Stimme, »und in diesem Umstand vermuten wir die Ursache für alles, was eben angesprochen wurde.« Die Projektion wandte sich dem Hierchon Ormilla zu und sah ihn fest an. »An dieser Stelle muss ich darum bitten, dass alle, die nicht ausdrücklich zu diesem Treffen eingeladen wurden, den Saal verlassen. Die Soldaten können wir vielleicht ausnehmen, vorausgesetzt, ihre Kopfhörer werden abgeschaltet, aber ich würde gegen meine Befehle verstoßen, wenn ich fortführe, solange noch Unbefugte anwesend sind.«