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»Admiral Quile«, dröhnte der Hierchon mit gerade so viel Nachdruck wie nötig. »Ich verbürge mich für jeden, der hier im Saal ist und versehentlich nicht auf der Liste steht, von der Sie sprechen. Sie können fortfahren.«

»Wenn die Entscheidung bei mir läge, würde Ihr Wort natürlich vollauf genügen, und ich hätte keinerlei Bedenken oder Vorbehalte«, versicherte das Abbild des Admirals. »Ich bedauere zutiefst, wenn Sie den Eindruck gewinnen könnten, ich hätte auch nur die leiseste Absicht, Ihre geschätzten Höflinge kränken zu wollen, aber ich bin an die Befehle des Komplektor-Rates gebunden, und er hat mir jedes weitere Wort ausdrücklich verboten.«

Autsch, dachte Fassin. Der Hierchon tat ihm fast Leid. Das Hologramm hatte ihm soeben nicht nur gezeigt, wer hier das Sagen hatte, es hatte ihn öffentlich gedemütigt. Ein Sarkomagier stand über einem Hierchon und war seinerseits einem Komplektor unterstellt. Und ein einzelner Komplektor mochte seine Macht innerhalb der zivilisierten Galaxis in jeder Hinsicht uneingeschränkt ausüben können – den Willen des Komplektor-Rates hatte er zumindest zu berücksichtigen. Die Angehörigen des Komplektor-Rates wiederum waren wahrhaft allmächtig und nur an die Naturgesetze gebunden, wobei alle Welt behauptete, sie gäben sich alle Mühe, auch die noch zu umgehen.

Hierchon Ormilla gab sich mit Anstand geschlagen, und wenige Minuten später hatte die Hälfte der bis dahin Anwesenden den Saal verlassen. Die unterschiedlich hohen Plattformen vor dem imposanten Schutzanzug des Hierchon wirkten verwaist. Alle Funktionäre und Höflinge waren murrend abgezogen. Fassin hatte noch nie so viel verletzte Würde auf einem Haufen gesehen. Die Militärbonzen waren noch zugegen, aber auch auf ihren Plattformen hatten sich die Reihen gelichtet. Colonel Somjomion von der Justitiarität und der Oberste Archivar Voriel von der Cessoria mussten bis auf Bodenhöhe hinabsteigen, um die die Bedienung der zwei wichtigsten Geräte zur Überwachung des Kochkessels und der darin enthaltenen KI zu übernehmen. Die Spiegelsoldaten standen nach wie vor mit eingerasteten Panzergelenken in einem großen Kreis hinter ihnen, doch jetzt waren sie taub.

Fassin hatte die ganze Zeit unbeachtet auf seinem Platz gesessen und sich gefragt, was er von alledem zu halten hatte. Dabei wusste er genau, was er denken sollte: Was zur Hölle mag ich da gefunden haben, was mag es sein, was ein solches Maß von Paranoia und Geheimniskrämerei bis in die höchsten Ränge rechtfertigen könnte? Aber das Denken fiel ihm schwer. Er wusste auch, was er spüren sollte: nämlich Angst. Das klappte besser: das Entsetzen, das ihn erfüllte, war messerscharf und übermächtig.

»Danke«, sagte das Abbild des Generals. »Und nun«, ein Blick in die Runde der noch Verbliebenen, »möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Was wissen Sie von der so genannten Dweller-Liste?« Die Gestalt hob die Hand. »Eine rhetorische Frage. Sie brauchen nicht zu antworten. Wer möchte, kann sich gerne über seinen Bildschirm oder das entsprechende Gerät informieren. Lassen Sie sich Zeit.«

Überall wurde hektisch getippt. Die Dweller-Liste?, dachte Fassin. Verdammter Mist; was soll der Unsinn?

Das Hologramm lächelte. »Ich werde Ihnen zu gegebener Zeit sagen, inwiefern wir hier – wo das Signal und die Projektion entwickelt und aufgezeichnet werden – inwiefern wir dieses Thema für wichtig halten.«

Fassin hatte natürlich von der Dweller-Liste gehört; es gab keinen Seher, der sie nicht kannte. Leider wussten auch viele Laien von der Liste, und so war sie zu einem jener unerträglich ausgelutschten Themen geworden, die immer angeschnitten wurden, wenn jemand auf einer Party einen Seher kennen lernte – neben anderen uralten Klischees wie: ›Machen die Dweller wirklich Jagd auf ihre eigenen Jungen?‹ und: ›Sind sie tatsächlich so alt, wie sie behaupten?‹

Die Dweller-Liste war eine Sammlung von Koordinaten. Sie war, soweit sich das mit Sicherheit feststellen ließ, gegen Ende des Burster-Krieges vor vierhundert Millionen Jahren aufgetaucht und wahrscheinlich schon damals gründlich veraltet gewesen. angeblich waren auf der Liste die geheimen Arteria-Portale der Dweller aufgeführt, die seit der Epoche des Langen Zerfalls schrittweise angelegt worden sein sollten. Damals hätten, so hieß es, die Dweller entschieden, man könne nicht davon ausgehen, dass die anderen Spezies – oder Speziesgruppen  –, mit denen sie ihre Galaxis teilen müssten, imstande seien, ihre eigenen oder die gemeinschaftlich betriebenen Wurmloch-Netzwerke wirksam zu schützen. wenn man sicher und ohne Umstände von einem Gasriesen zum anderen reisen wolle, sei es daher ratsam, ein eigenes Arteria-Netz zu bauen und zu kontrollieren – und dieses Netz vor allen anderen geheim zu halten.

Natürlich berücksichtigte diese Geschichte die Einstellung der Dweller zu Zeit, Raum, Größe und mehr oder weniger allem anderen in keiner Weise. Die Dweller brauchten keine Wurmlöcher, die es ermöglichten, so gut wie ohne Zeitverlust von einem System zum anderen zu reisen. Sie hatten eine Lebenserwartung von Milliarden von Jahren und konnten ihren Metabolismus und ihre Denkvorgänge so weit verlangsamen, dass eine Reise von tausend, zehntausend oder auch hunderttausend Jahren für sie nicht länger dauerte als eine einzige Schlafperiode oder nicht mehr Zeit beanspruchte, als man brauchte, um ein gutes Buch zu lesen oder ein kompliziertes Spiel zu spielen. Außerdem waren sie bereits überall gewesen; nach eigener Aussage hatten sie sich in der Ersten Diaspora-Epoche, die zu Ende ging, als das Universum erst zweieinhalb Milliarden Jahre alt war, über die ganze Galaxis ausgebreitet. Selbst wenn das geprahlt sein sollte, eine typische Dweller-Übertreibung, war nicht zu leugnen, dass Dweller in beachtlicher Anzahl in mehr als neunundneunzig Prozent aller Gasriesenplaneten der Galaxis zu finden waren, und das schon so lange, wie irgendjemand sich erinnern konnte. (Die große Ausnahme war der Jupiter. Der Gasriese im Hinterhof der Menschheit fiel insofern aus dem Rahmen, als er vergleichsweise wasserarm war. Für die Dweller galt er als Wüstenplanet und wurde nur selten aufgesucht.)

Nachdem Fassin Jahrhunderte in Echtzeit und Jahrzehnte in scheinbarer Zeit bei den Dwellern verbracht hatte, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, die Dweller verabscheuten die ›Schnellen‹-Spezies wie die Menschen und alle anderen in der Merkatoria, die es für nötig hielten, wurmlöcher zu benützen – und bedauerten sie zugleich.

In den Augen der Dweller bedeutete ›schnell‹ zu sein – derart überstürzt zu leben – sich zu einem frühen Ende zu verurteilen. Das Leben habe eine Bahn, eine natürliche Kurve, der man sich nicht entziehen könne. Evolution, Entwicklung, Fortschritt: all das wirke zusammen, um eine empfindungsfähige Spezies in einer bestimmten Richtung voranzutreiben, der Einzelne könne nur entscheiden, ob er die Straße im Laufschritt hinter sich bringen oder sie entlangschlendern wollte. Die ›Langsamen‹ ließen sich Zeit und stellten sich auf die Größe und die natürlichen Grenzen ihrer Galaxis und des ganzen Universums in seiner derzeitigen Existenzform ein.

Die ›Schnellen‹ suchten nach Abkürzungen und schienen entschlossen, sogar die Struktur des Raumes ihrer Hektik und Ungeduld zu unterwerfen. Wenn sie intelligent waren, setzten sie ihren Kopf durch, führten aber ihr eigenes Ende damit nur umso früher herbei. Sie lebten rasch und starben noch rascher, rasten wie jäh aufflammende, prachtvolle aber schnell verblassende Leuchtspuren über das Firmament. Die Dweller wollten wie alle ›Langsamen‹ auch noch fernere Zeiten erleben und waren bereit, so lange zu warten.