Wieder lächelte die Gestalt. »Ich würde Ihnen zu gerne sagen, wann genau das Vorauskommando von heute an gerechnet hier auftauchen wird. Leider steht das nicht in meiner Macht; dieses Signal wurde von der Flotte ausgeschickt, die das T-Schiff begleitet, und wir wissen weder, wie weit sich diese Schiffe zum Zeitpunkt des Absetzens der Lichtgeschwindigkeit angenähert hatten, noch kennen wir ihre Geschwindigkeit beim Eintreffen des Signals. wir können nur Vermutungen anstellen. wenn sich die Vertreter des Separats noch zwei Jahre Zeit lassen, könnten die Kampfgeschwader durchaus vor ihnen hier sein. Sonst landen sie in einem System, das bereits an den Feind gefallen ist oder sich – hoffentlich – noch irgendwie zur Wehr setzt. Wie sie sich dann verhalten, hängt weitgehend von Ihrer Tapferkeit und Ihrer Entschlossenheit sowie von Ihren Nehmerqualitäten ab.«
Die Projektion lächelte. »Das war alles. Gibt es noch weitere Fragen?«
Die Beyonder hatten sie offenbar erwartet. Die Rebellenschiffe flogen bereits mit neunzig Prozent der halsbrecherischen Geschwindigkeit, die sie selbst anstrebten, als sie auf den Fernscannern des vordersten Schiffes erschienen.
Taince Yarabokin schwamm in Fötushaltung im Schockgel, ihre Lungen waren mit Flüssigkeit gefüllt, sie war mit dem Schiff verbunden und wurde von ihm ernährt. Sie sprach mit ihm, hörte ihm zu, fühlte sich in ihm geborgen. Der Druckanzug, der seinen Träger wie eine zweite Haut umgab, vervollständigte das Bild des Kriegers als ungeborenes Wesen noch weiter. Die Verbindung zum Schiff wurde allerdings über Implantate und eine Induktionsmanschette und nicht durch einen Schlauch hergestellt, der durch ihren Nabel führte, und ihre Brust bewegte sich nur schwach, wenn das Kiemenwasser Sauerstoff in ihr Blut schwemmte und Abfallgase wieder ausfilterte. Im Dunkel hinter den geschlossenen Lidern zuckten ihre Augäpfel ohne ihr Zutun. Sie teilte das Gefängnis mit etwa vierzig ihrer Kameraden. alle lagen zusammengerollt, gut geschützt und verkabelt in ihren Überlebenskapseln tief im Bauch der Mannlicher-Carcano, des Flaggschiffs der Flotte.
Vorne an der Spitze scherte der Zerstörer Petronel aus, jagte seine Triebwerke hoch und verschwand in einer Lichtflut, die sich abschwächte, als die Sensoren die Helligkeit kompensierten. Die Abschirmung wurde durchlässiger, und Taince konnte die noch verbliebene Hälfte des Leitschiffs haltlos durch das All taumeln sehen. Der Rumpf löste sich in schwarze, geschwungene Trümmerfontänen auf, einzelne Bruchstücke wurden gegen den Tunnelbogen aus harten, blauweißen Sternen geschleudert, die sich vor ihnen zusammenballten.
– Spitze registriert Vielfachkontakte bei Flottengeschwindigkeit neunzig, sagte eine Stimme. Die Meldung kam von den Fernsensoren.
– Spitze ist getroffen, meldete eine zweite Stimme. Der Flottenstatus.
– Kontakt zur Spitze verloren, folgte prompt eine dritte.
– Spitze verschwunden. Flottenkommunikation und Status kamen fast gleichzeitig.
Taince war sofort wach und hörte gerade noch, wie ein verängstigtes Stimmchen in ihrem Inneren protestierte: Nein! Nicht ausgerechnet auf meiner Wache! Noch dazu, während der Flottenadmiral sein Nickerchen machte und sie allein die Verantwortung hatte. Doch bevor die Reaktion in ihrem Kopf verklungen war, fragte sie bereits Werte ab, beurteilte, überlegte und schickte sich an, Befehle zu erteilen. Sie wechselte mehrmals zwischen der weitgehend realitätsnahen Sicht der Tiefraumsensoren, wo die Sterne vor ihr zu einem blauweißen Kreis zusammengedrängt waren und sich hinter ihr zu einer verschwommenen roten Pfütze sammelten, während in allen anderen Richtungen tiefe Dunkelheit herrschte, und dem Takraum, einer Sphäre mit vielen Linien und Radien. Hier wurden die Schiffe der Flotte als kleine, stilisierte Pfeilspitzen in verschiedenen Größen und Farben dargestellt, gefolgt von Linien aus erlöschenden Punkten, die den Kurs anzeigten, und begleitet von grün leuchtenden Identitäts-und Statuscodes.
Das vorher vereinbarte Trennungsmanöver ließ sich so nicht durchführen. Das Schiff, das soeben der Petronel die Spitze überlassen hatte, war noch auf dem Weg zurück zum Hauptverband, und eine Trennung nach Plan eins würde schlimmstenfalls zu Vielfachkollisionen führen und wäre bestenfalls zu langsam.
Na schön, es wurde allmählich Zeit, dass sie sich ihren Sold verdiente und die Kommunikation in die Hand nahm. Taince sendete:
– Alle Schiffe nach Plan fünf ausschwärmen. BK-drei, außerdem zwei Strich nach innen, Delta schräg links, Zeit fünf, dann zurück.
Die Schiffe meldeten ›Verstanden‹, das erste Signal kam von ihrem eigenen Steuermann. als Letzter bestätigte der Schlachtkreuzer Jingal den leichten Knick, den sie seinem Kurs verpasst hatte, um ihren Z-Sieben besser eingliedern zu können. Zerstörer sieben, die Culverin, war das Schiff, das sich hatte zurückfallen lassen, nachdem es mit der Petronel die Spitze getauscht hatte. Nur am Rande drang in ihr Bewusstsein, dass ihr Körper eine Bewegung registrierte, eine jähe Richtungsänderung, so extrem, dass nicht einmal das Schockgel sie vollständig abpuffern konnte. Ringsum mussten die Schiffe aufflammen wie lautlos explodierende Schrapnelle.
– Hüllenbelastung fünfundachtzig, kam die Meldung von Schiffsintegrität/Schadenskontrolle.
– Alle Einheiten antworten. Fächerformation fünf voll ausgefahren, meldete Flottenstatus.
– Z-sieben: vielen Dank, schließen uns an.
– K-eins: einzelner Kontakt, fünf Nord-abwärts-West
– Z-drei: Doppelkontakt; minus vier Nord-aufwärts-Ost.
Der Kreuzer Mitrailleuse und der Zerstörer Cartouche hatten Feinde ausgemacht. taince brauchte nicht einmal einen Blick in den Takraum zu werfen, sie wusste auch so, dass sie nun von beiden Seiten bedrängt wurden.
– Wir sind also eingekeilt.
– Eine Zange. voll erwischt.
Die letzten Kommentare kamen von den zwei ranghöchsten Taktikoffizieren.
– Hört sich an, als spielten wir Schiffe versenken. (Das war Flottenadmiral Kisipt. Er war aufgewacht und beobachtete das Geschehen. Hatte aber offenbar nichts dagegen, taince vorerst das Kommando zu überlassen.)
– K-eins: Feindberührung bestätigt. Erbitten Feuererlaubnis.
– Z-drei: Feindberührung bestätigt. Erbitten Feuererlaubnis.
Die Mitrailleuse und die Cartouche wollten schießen.
– Empfehlen Feuer frei/Empfehlen Feuer frei, riefen die anderen Taktiker im Chor.
– Feuer frei, genehmigte Flottenadmiral Kisipt. – Vize?
Vizeadmiral Taince Yarabokin war der gleichen Meinung. – K-Eins, Z-Drei; Feuer frei.
– K-eins: Feuer.
– D-drei: Feuer.
Im Takraum sah man von den beiden Schiffen grellrote Strahlen aufzucken. Die limonengrünen Pünktchen mit den eigenen Statusleisten waren Raketen, die auf die feindlichen Schiffe zurasten.
– Mehrfachtreffer im Trümmerfeld Z-Eins, meldeten die Fernsensoren.
– Fächer fortsetzen?
– Fächer fortsetzen, bestätigte Taince. Sie beobachtete die Blitze vor sich. Die wild rotierenden, umherwirbelnden, Purzelbäume schlagenden Trümmer der Petronel wurden weiter von feindlicher Artillerie getroffen. Die Reste stürzten rasch auf die Hauptflotte zu, die sich rasch nach außen verteilte. Sie rief den Countdown bis zur Kollision ab: sechsundsiebzig Sekunden. Sie stellte die Anzeige auf Hautkontakt um, um ihr Sichtfeld nicht unnötig zu überfüllen.