Das Laserfeuer der Mitrailleuse und der Cartouche hatte bisher nichts bewirkt. Die Raketen waren noch auf dem Weg zum feindlichen Schiff. Noch gab es keine Anzeichen für einen Gegenschlag.
Und wenn wir uns irren?, dachte Taince. Vielleicht haben sie uns und unser ach so raffiniertes Manöver ja schon längst durchschaut? Ohne es selbst zu merken, brachte sie in den Tiefen ihrer Überlebenskapsel so etwas wie ein Achselzucken zustande. Und wenn schon. Dann sind wir eben bald tot. Wenigstens müsste es schnell gehen.
– Fächer fortsetzen?
– Fächer fortsetzen, bestätigte sie abermals. Wartete, wog ab, fragte sich, ob das Manöver wohl klappen würde. Im Takraum erschienen aus zweiter Hand, zunehmend überholt, die Kontakte, die die Petronel ausgemacht hatte. Eine leuchtende Wolke aus pulsierenden gelben Echos, die sich langsam auflöste. Die beiden harten Kontakte, die immer noch von den Sensoren der Mitrailleuse und der Cartouche registriert und nun auch von anderen Schiffen in der Nähe bestätigt wurden, waren rote Blinklichter, die langsam näher kamen. Die Trümmer der Petronel, eine getüpfelte, violette Masse, die sich allmählich ausdehnte, trieben genau von vorne auf sie zu.
Alles in Ordnung, beruhigte sich Taince. Es ist zu schaffen.
Sie hatten das ganze Verfahren in VR-Simulationen immer und immer wieder geprobt, um sich gezielt auf diesen Fall, diesen Hinterhalt samt Manöver und Reaktion vorzubereiten.
Die Beyonder würden sicherlich damit rechnen, dass eine Flotte von Zenerre nach Ulubis geschickt wurde. Und es gab natürlich nur eine schnellstmögliche Route; die Direttissima, gerade wie ein Laserstrahl, leicht gekrümmt nur durch Einbeziehung der minimalen Relativbewegung der beiden Systeme, die mit dem Rest des galaktischen Randes in fünfzigtausend Lichtjahren Entfernung um den Kern des großen Rades kreisten.
Sollte die Flotte also diese Route wählen und sich Überfällen durch andere Schiffe und – noch bedrohlicher – durch Weltraumminen aussetzen? (Wozu überhaupt Weltraumminen, wenn ein paar Tonnen zertrümmertes Gestein die gleiche Wirkung erzielten? Man zerschlage einen kleinen Asteroiden zu Kies von Reiskorngröße und verstreue ihn über den Weg, den die Flotte nehmen würde. wenn die Schiffe schnell genug flogen, bliebe nichts übrig. So knapp unter Lichtgeschwindigkeit brauchte man keine zielsuchenden Explosivgeschosse, jede einfache Kollision war vernichtend.) Oder sollte sie weiter ausschwenken, um nicht so leicht abgefangen zu werden, und dafür in Kauf nehmen, dass sie später ans Ziel kam?
Und sollten die Schiffe zusammenbleiben (was vernünftig, aber auffällig war) oder sich trennen? Sollten sie einzeln nach Ulubis fliegen und sich erst kurz vor dem Ziel zusammenfinden (sehr riskant, aber möglicherweise eine Taktik, die der Feind nicht erwartete)? Letztlich hatte der Flottenadmiral aus einem Bündel schwach gekrümmter Routen, die von den Strategen und ihren Sub-KI-Maschinen empfohlen wurden, eine ausgewählt, und dann hatte die gesamte Flotte diesen Kurs genommen.
Es war ein Lotteriespiel. Sie riskierten, dass sie abgefangen wurden, besonders wenn die Beyonder tatsächlich so viel Material zwischen Zenerre und Ulubis deponiert hatten, wie man vermutete. Für sie wäre die einfachste Strategie, etwa auf halbem Wege kleinere Schiffe und Sensorplattformen zu postieren und die eigentlichen Abfangschiffe – bereits mit hoher Geschwindigkeit – in weitem Abstand folgen zu lassen, um ihnen Zeit zu geben, sich für den Angriff zu sammeln. Die Beyonderschiffe waren zahlenmäßig und was die Bewaffnung anging hoffnungslos unterlegen und hätten in einer offenen Schlacht keine Chance. Aber wozu sollten sie sich auf eine offene Schlacht einlassen? Sie brauchten die Merkatoria-Flotte ja nur zu behindern, wo es ging, und dazu wären kleine Überfälle und Hinterhalte geeigneter, bei denen man die ungeheure Geschwindigkeit des Gegners gegen ihn verwenden konnte.
Theoretisch hätte die Merkatoria-Flotte auch auf Nummer sicher gehen und langsam fliegen können. Wer wäre ihr gewachsen? Mit ihrer überlegenen Bewaffnung konnte sie sich jederzeit den Weg freischießen. Aber man hatte ihr befohlen, so schnell wie möglich und ohne Rücksicht auf Verluste Ulubis zu erreichen, deshalb musste sie dicht an der Höchstgeschwindigkeit fliegen und lief dadurch Gefahr, von einer Hand voll kleinerer Schiffe und ein paar Tonnen pulverisierten Felsgesteins in Stücke gerissen zu werden.
Also hatte man sich einen eigenen Überraschungsplan ausgedacht.
Nadelschiffe waren so gebaut, dass sie auch durch schmale Wurmlöcher passten. So einfach war das. Die größten Arteria und die breitesten Portale maßen einen Kilometer im Durchmesser, aber im Mittel betrug der Wurmlochdurchmesser weniger als fünfzig Meter und ein paar sehr alte Arteria waren kaum zehn Meter breit. die Herstellung einer Arteria und ihrer beiden Portale erforderte einen ungeheuren Aufwand an Energie und/oder Material, und hatte man sie erst installiert, dann war es schwierig, kostspielig und gefährlich, sie zu erweitern. Was nützte es der Merkatoria, ein Netz von superschnellen Reiseverbindungen in der gesamten Galaxis zu haben, wenn ihre Schiffe zu dick dafür waren? Deshalb orientierten sich die Maße von Kriegsschiffen – dem letzten Druckmittel für die Merkatoria wie für alle früheren Imperien, Halbimperien und anderen Regierungsformen, die im Lauf der Geschichte versucht hatten, ihre Vorstellung von Frieden durchzusetzen oder der galaktischen Gemeinschaft ihren Willen aufzuzwingen – an der Breite der Öffnungen, die sie zu durchfliegen hatten.
In früheren Zeiten hatte es Großschiffe gegeben, die sich durch Selbstdemontage in viele kleinere, schlankere Bauteile zerlegten, um durch ein Wurmloch zu passen, und sich am anderen Ende wieder zusammenfügten. Aber das war ein allzu aufwändiges Verfahren gewesen. Nadelschiffe waren, obwohl technisch ungeheuer komplex und kostspielig, die einfachere und billigere Lösung. In der Kampfflotte auf dem Weg von Zenerre nach Ulubis waren die größten Schiffe einen Kilometer lang, aber nur knapp vierzig Meter breit.
Die von der Mitrailleuse abgeschossene Rakete erlosch unmittelbar vor dem feindlichen Schiff und wurde durch ein kleines Trümmerfeld ersetzt. Signale vom Kreuzer, den Sensoren und dem Flottenstatus bestätigten den Verlust.
– Die Rakete hat ein feindliches Profil durchschlagen, bevor sie abgeschossen wurde, meldete die Waffenkontrolle. Am Bildschirmrand erschienen die Daten, die die Rakete gesendet hatte.
– Sceuri-Schiff, Sulcus-oder Fosse-Klasse, sendete ein Taktikoffizier.
Sie hatten es also – zumindest bei diesem Schiff – mit der Todesspirale zu tun, dachte Taince. Diese Beyonder-Gruppierung bestand ausschließlich aus Sceuri; Wasserweltbewohnern mit einem tiefen Hass auf die Merkatoria im Allgemeinen und die eigenen Artgenossen, die ihr angehörten (und das waren die meisten), im Besonderen. Die Todesspirale war berüchtigt für ihre Grausamkeit, dabei hatte sie nicht einmal die Ausrede, ihre kostbaren Zivilhabitate schützen zu müssen. Sie unterhielt nämlich keine Habitate, ihre Mitglieder lebten fast ausschließlich auf Schiffen. Mit anderen Worten, es handelte sich um Freibeuter und Terroristen, schlichte Fanatiker. Dennoch waren sie, soweit sich das feststellen ließ, an dem Angriff auf das Ulubis-Portal nicht beteiligt gewesen.