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Lusiferus zog den Handschuh wieder aus und warf einen Blick durch das dämmrige Gewölbe. Die ruhige, behagliche Höhle tief im Fels hatte weder Fenster noch Lichtschächte. Hier fühlte er sich sicher und konnte sich entspannen. Er wandte sich dem Attentäter zu, der sich wie ein langer brauner Schatten vor der Wand abzeichnete, und sagte: »Zuhause ist es doch immer noch am schönsten, nicht wahr?« Der Archimandrit lächelte sogar, obwohl es niemanden gab, der ihn sehen konnte.

Im Becken scharrte etwas, dann folgte ein dumpfer Schlag und schließlich ein schrilles, kaum noch hörbares Winseln. Lusiferus drehte sich um. Der Abstruse Spleißer riss die Riesenegel entzwei und fraß sie auf. Dabei schüttelte er seinen dicken, braun gefleckten Kopf so heftig, dass schleimige schwarze Fleischbatzen bis über den Beckenrand geschleudert wurden. Einmal hatte er sogar einen lebenden Egel aus dem Becken geworfen und dabei fast den Archimandriten getroffen; Lusiferus hatte den verletzten Egel mit einem Scherenschwert durch den ganzen Raum gejagt und so heftig auf das Vieh eingehackt, dass tiefe Scharten im dunkelroten Granitboden zurückgeblieben waren.

Als es im Becken nichts mehr zu sehen gab, wandte sich der Archimandrit dem Attentäter zu. Er schlüpfte erneut in den Handschuh, holte einen weiteren Rüsselegel aus dem Topf und schlenderte damit auf den Mann an der Wand zu. »Weißt du noch, wie dein Zuhause war, Attentäter?«, fragte er und trat ganz dicht an ihn heran. »Sind in deinem Kopf noch irgendwelche Erinnerungen erhalten geblieben? An die Heimat, die Mutter, die Freunde?« Endlich blieb er stehen. »Ein winziger Rest vielleicht?« Er wedelte mit der feuchten Schnauze des Egels vor dem Gesicht des Attentäters herum. Die beiden witterten einander. Das kalte, zappelnde Wesen in der Hand des Archimandriten streckte sich, um sich an das Gesicht des Menschen zu heften, der Mensch saugte den Atem durch die Nüstern und drehte den Kopf so weit wie nur möglich zur Seite, als wollte er in der Wand verschwinden (es war nicht seine erste Begegnung mit einem Rüsselegel). Doch die Stoßzähne, die sich in seine Brust bohrten, schränkten seine Bewegungsfreiheit stark ein.

Lusiferus folgte dem Kopf des Mannes mit dem Egel und hielt das Vieh so dicht vor das leicht behaarte Löwengesicht, dass der Attentäter den zuckenden, zappelnden Fleischklumpen riechen konnte.

»Oder hat man dir alle Erinnerungen aus dem Gehirn gerissen, hat man dich gründlich gesäubert, bevor man dich losschickte, um mich zu töten? Wie? Ist nichts mehr vorhanden?« Er führte den Egel so nahe heran, dass der mit seinen Mundwerkzeugen leicht die Nase des Mannes berührte. Der Attentäter zuckte zurück und wimmerte vor Angst. »Was sagst du? Weißt du noch, wie es zu Hause war, Kumpel? Eine angenehme Umgebung, Geborgenheit und Sicherheit, Menschen, denen du vertrauen konntest, die dich vielleicht sogar liebten? Was sagst du? Wie? Was? Nun rede schon.« Der Mann versuchte, den Kopf noch weiter zu drehen, und dehnte dabei die runzlige Haut um die Einstichwunden so stark, dass sie an einer Stelle zu bluten anfing. Der Riesenegel in Lusiferus’ Hand zitterte und streckte die schleimigen Mundwerkzeuge noch weiter aus, um sich am Fleisch des Menschen festzusaugen. Doch bevor ihm das tatsächlich gelang, beugte der Archimandrit den Arm und ließ das Tier herabhängen. Es schwang und drehte sich mit bebenden Muskeln hin und her. Man konnte seine Frustration förmlich spüren.

»Hier ist mein Zuhause, Attentäter«, erklärte Lusiferus. »Dies ist mein Heim, meine Zuflucht, und du bist … einfach eingedrungen, hast es mit deinem Anschlag geschändet … entweiht. Oder hast es zumindest versucht.« Seine Stimme überschlug sich. »Ich habe dir mein Haus geöffnet, du hast an meinem Tisch gesessen, ich habe dich bewirtet … wie es die Gastgeber seit zehntausend Menschenjahren mit ihren Gästen tun, und du … du hattest nichts anderes im Sinn, als mir wehzutun, mich zu töten. In diesem meinem Heim, wo ich mich so sicher fühlen möchte wie nirgendwo sonst.« Der Archimandrit schüttelte bekümmert den Kopf, als könnte er so viel Undankbarkeit kaum fassen. Der Attentäter hatte nur einen schmutzigen Fetzen, um seine Blöße zu bedecken. Den zog ihm Lusiferus nun weg. Der Mann fuhr abermals zusammen. Lusiferus betrachtete den nackten Körper mit starrem Blick. »Man hat dich doch recht übel zugerichtet, wie?« Die Schenkel des Attentäters zuckten. Der Archimandrit ließ das Lendentuch zu Boden fallen; morgen konnte ein Diener es aufheben und wieder befestigen.

»Ich liebe mein Heim«, erklärte er leise. »Ich liebe es wirklich. Ich habe alles Nötige getan, um mehr Sicherheit zu schaffen, mehr Sicherheit für mein Heim, mehr Sicherheit für alle.« Er näherte den Rüsselegel den Genitalien des Mannes oder was davon noch übrig war, aber der Egel wirkte teilnahmslos, und der Mann war bereits erschöpft. Sogar der Archimandrit hatte den Spaß an diesem Spiel verloren. Er machte auf dem Absatz kehrt, marschierte auf die breite Brüstung des Beckens zu, warf den Egel in den Topf, der dort stand, und schälte sich den dicken Handschuh vom Arm.

»Und jetzt, Attentäter, muss ich mein Heim verlassen«, seufzte er dann und schaute in das Becken. Der Abstruse Spleißer hatte sich wieder zusammengerollt und lag ruhig auf dem Boden. Nun war er nicht mehr braun, sondern gelblich grün. Er hatte die Farben des Moosbelags angenommen. von den Rüsselegeln waren nur ein paar dunkle Flecken und Streifen an den Wänden geblieben und ein schwacher würziger Geruch, den der Archimandrit inzwischen überall erkannt hätte. Das Blut einer weiteren fremden Spezies. Er wandte sich wieder dem Attentäter zu. »Ja, ich muss fort, für sehr lange Zeit. Offenbar bleibt mir keine andere Wahl.« Wieder ging er langsam auf den Mann zu. »Man kann nicht alles delegieren, und wenn es um die wirklich wichtigen Dinge geht, kann man letztlich niemandem vertrauen. Und manchmal, besonders wenn man sehr weit weg ist und die Nachrichtenübermittlung sehr lange dauert, muss man einfach selbst an Ort und Stelle sein. Was sagst du dazu? Wie? Eine schöne Bescherung, findest du nicht? Da mühe ich mich so viele Jahre lang ab, um mein Heim zu einer festen Burg auszubauen, und nun muss ich es verlassen, um es noch sicherer, noch mächtiger, noch stärker zu machen.« Er trat wieder an den Attentäter heran und berührte einen der gewölbten Stoßzähne, die sich durch dessen Schädel bohrten. »Und alles nur, weil Leute wie du mich hassen, weil sie nicht hören wollen, weil sie nicht tun, was man ihnen sagt und weil sie nicht wissen, was gut für sie ist.« Er packte den Zahn und zog daran. Der Mann winselte vor Schmerz durch die Nase.

»Das stimmt allerdings nicht ganz«, sagte Lusiferus achselzuckend und ließ den Zahn los. »Denn ob uns diese Reise wirklich mehr Sicherheit bringt, ist fraglich. Ich fliege in dieses … dieses Ulubis … System oder was immer es sein mag, weil es dort etwas geben könnte, das wertvoll ist, weil meine Ratgeber mir dazu raten und weil mein Geheimdienst diesbezügliche Informationen gesammelt hat. Natürlich ist sich niemand sicher, das ist immer so. Aber ich stelle fest, dass alle deshalb ungewöhnlich aufgeregt sind.« Der Archimandrit seufzte noch tiefer. »Und ich leichtgläubiger alter Narr werde den Empfehlungen folgen. Hältst du diese Entscheidung für richtig?« Er hielt inne, als wartete er auf eine Antwort. »Ja? Mir ist natürlich klar, dass du mir nicht unbedingt deine ehrliche Meinung sagen würdest, wenn du eine hättest, aber trotzdem … Nein? Ganz sicher?« Er fuhr mit dem Finger über eine Narbe, die sich an einer Seite über den Unterleib des Mannes zog, und überlegte kurz, ob die Verletzung wohl das Werk seiner eigenen Verhörspezialisten sein könnte. Sie kam ihm etwas zu tief vor, nicht fachmännisch genug. Der Attentäter atmete schnell und flach, ließ aber nicht erkennen, ob er überhaupt zuhörte. Hinter den zugenähten Lippen schien er mit den Zähnen zu knirschen.

»Ich bin mir nämlich selbst nicht ganz sicher und könnte einen Rat gut gebrauchen. Was wir vorhaben, muss ganz und gar nicht zu unserer Sicherheit beitragen. Aber es ist notwendig. Manche Dinge müssen einfach getan werden. Wie?« Er ohrfeigte den Mann, aber nicht zu fest. Trotzdem zuckte der Attentäter zusammen. »Keine Sorge. Ich kann dich mitnehmen. Große Invasionsflotte. Reichlich Platz.« Er sah sich um. »Ich finde, du hängst sowieso schon viel zu lange hier drin fest; höchste Zeit, dass du mal rauskommst.« Wieder lächelte der Archimandrit Lusiferus, obwohl es niemand sehen konnte. »Nachdem ich mir so viel Mühe mit dir gegeben habe, möchte ich dich doch auch sterben sehen. Ich glaube, ich nehme dich tatsächlich mit. Nach Ulubis, nach Nasqueron.«