– Damit operieren in diesem Raumabschnitt nicht drei, sondern vier verschiedene Beyonder-Gruppen, sendete der Admiral und fasste damit Tainces Überlegungen in Worte.
– Noch zwei mehr, und sie sind komplett, antwortete sie.
Sie kehrte in den Takraum zurück und beobachtete, wie die Rakete der Cartouche in weitem Bogen einer gekrümmten Leuchtspur entgegenflog, dem zweiten Feindschiff, das in der Nähe war. Die Rakete erreichte die Spur und überlagerte sie. Ein weißer Blitz flammte auf, ein Nebel aus winzigen Teilchen, rot mit grünen Flecken, breitete sich aus.
– Z-drei: Treffer! Feind getroffen!
Die beiden anderen Taktiker an Bord des Flaggschiffes stimmten ein Freudengeheul an.
– Gut gemacht, Z-drei, lobte Kisipt.
– Fächer fortsetzen ?
– Fächer fortsetzen. Taince blendete den Jubel der anderen und ihre eigene Erregung aus. Sie beobachtete den Takraum, lauschte auf das Geplapper des Schiffes und spürte, wie der Countdown ablief.
Die Flotte verteilte sich noch immer, die Kurse der Schiffe führten fächerförmig nach außen wie dünne Blumenstiele in einer kurzen Vase. taince wartete und wartete und wartete, bis sie zu spüren glaubte, wie Flottenadmiral Kisipt und alle anderen Luft holten, um sie anzuschreien.
Vierzig Sekunden. Sie sendete:
– Fächer einstellen. Formation fünf auflösen.
– Verstanden, sagte ihr eigener Steuermann. Die anderen Bestätigungen folgten. Im Takraum schoben sich die auseinander fließenden Schiffsspuren unverzüglich wieder zusammen, die Abstände zwischen ihnen verringerten sich.
– K-eins: Das wird eng.
Aber es war machbar. Sie konnten in die frühere Formation zurückkehren, bevor sie auf die Reste der Petronel trafen, und nur darauf kam es im Augenblick an. Der Takraum zeigte, dass die Formierung reibungslos vonstatten ging. Nach vorne war der grell leuchtende Trümmernebel der Petronel zu sehen, er schien sich über den ganzen Himmel auszubreiten und auf die dunkle, sternenlose Röhre zu beiden Seiten überzugreifen. Taince holte das Bild näher heran, suchte sich eine freie Stelle im Zentrum des Feldes und überprüfte sie im Takraum. Da.
Die beiden harten Kontakte begannen zu flimmern, wurden orange und breiteten sich aus. Der Takraum spannte Wahrscheinlichkeitskegel auf, Schätzungen, wo sich die Schiffe befinden könnten. Der Himmel leuchtete kurz in einem einheitlich fahlen Gelb, ein Hinweis darauf, dass der Rest der Beyonder-Flotte überall in diesem Abschnitt sein konnte. Dann löste sich aus dem Sumpf ein Schwarm von hellroten, harten Kontakten, und das Gelb erlosch.
Die Flotte formierte sich. Man kehrte an den Ausgangspunkt zurück. Zumindest, dachte Taince, müssten sie die Beyonder verwirrt haben.
– Alle Schiffe Formation null.
Noch in der Überlebenskapsel spürte sie den Ruck, als das Flaggschiff abbremste, sich ausrichtete und wieder beschleunigte. Sie beobachtete jede Bewegung im Takraum. Die Flotte fiel in sich zusammen, wurde schmäler, verlängerte sich nach vorne und hinten. schiff um Schiff glitt in die Reihe und schob sich mit dem Bug dicht ans Heck seines Vordermannes heran.
– BC-Vier, etwa zehn wieder nach unten. Z-elf, fünf nach vorne. S-drei und S-zwei an Z-acht ausrichten. BC-vier und halten.
Taince beobachtete das Drängeln und Schieben im Takraum und dirigierte die Schiffe so lange auf ihre Positionen, bis alle genau in einer Linie waren.
– Schiffe in Reih und Glied, vize?, sendete der Flottenadmiral, der ebenfalls zuschaute.
– Jawohl.
Es gab keine Kollisionen, keine verpfuschten Manöver, kein Triebwerk, das zu lange gezündet und das Schiff hinter sich versengt hätte. Die Linie fügte sich so mühelos zusammen wie in den VR-Simulationen. Das Schlachtschiff Gisarme übernahm die Führung, sprengte ein paar winzige Partikel weg, die vom Wrack der Petronel übrig geblieben waren, und versuchte mit kurzen Laserfeuerstößen alle kinetischen und anderen Minen abzufangen, die man ihnen in den Weg gelegt haben mochte.
Auch das war ein Lotteriespiel. Wenn es klappte, kämen sie durch und flögen einer hinter dem anderen im Pulk hinter der Gisarme her wie eine lange Kette von Rammböcken. wenn es nicht klappte, könnte es sein, dass zuerst die Gisarme mit etwas kollidierte und dann die Übrigen mit dem zusammenstießen, was von ihr noch übrig war. Die ganze Flotte könnte in einer einzigen großen Massenkarambolage, einem Wasserfall von Kollisionen ausgelöscht werden. Das Risiko war gering – geringer, so behaupteten die Simulationen, als bei allen anderen Manövern – aber nur deshalb, weil diese Taktik so überraschend war, dass sie allein durch ihren Neuigkeitswert eine Art Sicherheitsbonus bekommen müsste. Wenn das nicht zutraf, wäre sie gewagter als alles andere.
Die Beyonder waren nicht auf das Manöver gefasst. Es wich zu sehr vom Standardverhalten der Generalflotte ab. Die Nadelschiffe schossen wie eine einzige Riesennadel durch das Trümmerfeld des Zerstörerwracks, feuerten aus allen Rohren und trafen mehrfach feindliche Schiffe, die mit voller Kraft von außen heranrasten. Im Takraum loderten Feuerstrahlen nach allen Seiten wie die Speichen um eine fadendünne Nabe, dazwischen trudelten grün leuchtend wie winzige Smaragde die Raketen. Die Beyonder versuchten noch, die Flotte einzukreisen, aber es war zu spät. Die feindlichen Maschinen, die am dichtesten herankamen, wurden nur selbst zerstört. Zwei Minuten später hatte die Merkatoria-Flotte das Feld ohne Verluste durchquert, und eine Minute danach war alles Feuer nach hinten gerichtet: ein Kegel aus roten Linien fegte wie ein wirbelnder Rock in die sich leerenden Tiefen des Weltalls. von jetzt an hätte die Flotte in allen Kampfhandlungen das Sagen und könnte mit ihrer überlegenen Feuerkraft den Anfang wie das Ende bestimmen.
– Gute Arbeit, Vize. Flottenadmiral Kisipt klang ein wenig überrascht, ein wenig enttäuscht und ziemlich beeindruckt. Taince wusste, dass viele ihrer Offizierskollegen sich eine richtige Schlacht gewünscht hätten, aber diese Lösung war besser, schneller und eleganter gewesen. ›Gute Arbeit‹ – von einem Voehn war das höchstes Lob.
– Danke. Tainces Gedankenstimme blieb ruhig, aber innerlich war jetzt ihr nach einem Freudengeheul zumute. Sie ballte in ihrer dunklen Fruchtblase, inmitten von Schläuchen und Drähten die Fäuste, ihre Züge entspannten sich zu einem Lächeln, und ein leises Zittern durchlief ihren schwimmenden Körper.
Das Haus der Familie Kehar auf Murla, einer Insel vor der Südküste, ein paar hundert Kilometer von Borquille entfernt, war kugelförmig wie der Palast des Hierchon. Es hatte nur ein Viertel von dessen Größe, aber dafür balancierte es auf einer gewaltigen Wassersäule wie ein Ball auf einer Fontäne auf dem Rummelplatz.
Saluus Kehar stand, adrett bis in die Fingerspitzen, strotzend vor Gesundheit und strahlend wie eines der blitzblanken Raumschiffe, die in seinen Fabriken gebaut wurden, auf der schlanken Hängebrücke, um Fassin persönlich willkommen zu heißen. Die Brücke überspannte die Kluft zwischen der Landzunge, die in den uralten, überfluteten Krater hineinragte, und dem Haus, das leise zitternd auf der tosenden, Gischt versprühenden Wassersäule schwebte.
»Fassin! Wie schön, dich wiederzusehen! He! Die Uniform steht dir ausgezeichnet!«
Fassin hatte erwartet, instruiert/indoktriniert/psychogetestet/ angefeuert/und sonst wie durch die Mangel gedreht, auf ein Schiff gesteckt und schnurstracks nach Nasqueron verfrachtet zu werden. Doch die Bürokratie von Ulubis verließ auch in der dringendsten Notlage ihrer Geschichte die eingefahrenen Geleise nicht und hielt sich offenbar an die zentrale Maxime: Allzu große Eile bei Maßnahmen von großer Tragweite könnte von Übel sein.