»Nein, das könnte gut, das könnte positiv sein«, erklärte Saluus Kehar und steuerte die kleine Maschine im Tiefflug über die Wüste auf das zerklüftete Gelände zu, wo sich die abgenagten Rippen des großen Schiffes wie Schattenfalten vor dem violetten, allmählich dunkler werdenden Himmel abzeichneten. Hinter dem Wrack erschien ein riesiger, blaugrüner Flimmerteppich, wogte lautlos über den Himmel und erlosch wieder.
»Scheiße, das kannst auch nur du sagen«, bemerkte Taince, die an den Knöpfen des Funkgeräts drehte. Aus den Lautsprechern rauschte es wie Brandungswellen.
»Müssen wir so dicht über dem Boden fliegen?«, fragte Ilen, die ihre Stirn gegen das Kanzeldach drückte und nach unten starrte. Sie streifte den jungen Mann, der mit ihr den Rücksitz des kleinen Flugzeugs teilte, mit einem Blick. »Ehrlich, Fass, ist das ratsam?«
Fass ließ sich nicht stören. »Sal kann immer noch nicht fassen, dass sein gnadenloser Optimismus auch Unwillen hervorrufen kann. wie bitte, Len? Was sagtest du?«
»Ich dachte nur …«
»Richtig«, murmelte Taince. »Schalt den gottverdammten Pinger ein.«
»Ich meine«, Saluus gestikulierte mit einer Hand, während er die Maschine noch tiefer, noch dichter an den vorüberrasenden Sandboden heransteuerte. Taince schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge, beugte sich zu ihm hinüber und drückte einen Schalter am Bildschirm; ein leises ›Ping‹ war zu hören, dann stieg das Flugzeug ein paar Meter höher, und der Flug wurde ruhiger. Sal sah sie empört an, sprach aber weiter, ohne die Abstandssicherung wieder abzuschalten. »Wir sind immer noch unverletzt, wir wurden noch nicht in die Luft gesprengt, und jetzt haben wir Gelegenheit, dieses Wrack zu untersuchen, an das wir normalerweise nie herankämen. Zur rechten Zeit am rechten Ort, die Gelegenheit ist perfekt. wie sollte man da nicht optimistisch sein?«
»Du meinst«, Fassin zog die Worte in die Länge und warf einen Blick zum Himmel, »wenn man von der bedauerlichen Tatsache absieht, dass ein paar übereifrige und sicherlich gründlich missverstandene Beyonder-Rebellen gerade versuchen, uns alle in radioaktiven Staub zu verwandeln?«
Niemand hörte auf ihn. Fassin unterdrückte demonstrativ ein Gähnen – auch das nahm niemand zur Kenntnis –, schmiegte sich in die weichen Lederpolster und streckte den linken Arm über die Lehne zu Ilen Deste hinüber (die wieder die Stirn ans Kanzeldach drückte und gebannt beobachtete, wie der fast vollkommen ebene Sandboden unter ihnen vorbeiraste). Er bemühte sich, zumindest unbekümmert, besser noch gelangweilt zu wirken, obwohl er natürlich vor Angst fast umkam und sich entsetzlich hilflos fühlte.
Sal und Taince waren das dynamische Duo in der Gruppe: Saluus, der tollkühne Pilot, gut aussehend, dickköpfig, aber zweifellos hoch begabt (und, dachte Fassin, einfach vom Glück begünstigt), war der Erbe eines riesigen Wirtschaftsimperiums und schämte sich nicht, der Sohn eines sagenhaft reichen, skrupellosen Freibeuters zu sein. Fassin hatte ihm gleich im ersten Jahr auf dem College das Etikett ›der Gierschlund‹ verpasst, einen Beinamen, den ihre gemeinsamen Freunde zunächst nur hinter Sals Rücken verwendeten, bis der davon Wind bekam und ihn prompt zu seinem persönlichen Markenzeichen machte. Und Taince, die Copilotin, Navigatorin und hoch qualifizierte Kommunikationsexpertin, spielte in der Gruppe von jeher die scharfe, gut informierte Kritikerin (wobei Fassin sich selbst in der Rolle des sarkastischen, gut informierten Kritikers sah). Taince Yarabokin, die Offiziersanwärterin, musste man jetzt wohl sagen. Taince das Army-Girl – auch eine von Fassins Prägungen – hatte auf dem College alle Kurse mit Bestnoten abgeschlossen und dank der Reserveübungen, die sie in ihrer Freizeit, an Wochenenden und im Urlaub abgeleistet hatte, bereits die Hälfte der Ausbildung zum Offizier bei den Streitkräften der Navarchie hinter sich gebracht, bevor sie nach Abschluss eines Kurzdiploms für das letzte Jahr auf die Militärakademie übergewechselt war. Dort war sie von der Musterung an auf der Überholspur gefahren. Sie war mitten im Semester vom Ersten ins Zweite Jahr gesprungen, und angeblich hatte man sie schon in diesem unerhört frühen Stadium in die engere Wahl für eine spätere Aufnahme in die Generalflotte genommen, jene die ganze Galaxis überspannende militärische Supermacht, die unmittelbar der Culmina unterstellt war. Mit anderen Worten, sie war offenbar so fest auf militärische Ehren programmiert wie Sal auf wirtschaftlichen Erfolg.
Beide hatten auch bereits ihr Heimatsystem verlassen. Sie waren zum Portal des Ulubis-Systems an Sepektes Lagrange-Punkt L5 gereist und von dort nach Zenerre und zum Komplex gesprungen, dem Wurmlochnetz, das unter den winzigen Lichtern der Sonnen wie ein schwarzer Spitzenschleier über der Galaxis lag. Saluus hatte vergangenes Jahr in den großen Ferien mit seinem Vater eine Bildungsreise durch die mittlere Galaxis unternommen. Sie hatten alle wichtigen Sehenswürdigkeiten besucht, soweit sie zugänglich waren, einige besonders ausgefallene Alien-Spezies kennen gelernt und viele Andenken mitgebracht. taince hatte nicht so viele Orte besucht, aber weitere Strecken zurückgelegt. Sie war im Zuge ihrer Spezialausbildung von der Navarchie zu militärischen Übungen in verschiedene entlegene Stützpunkte geschickt worden. Die zwei waren als Einzige in ihrem Jahrgang so weit herumgekommen und bildeten daher eine kleine exotische Klasse für sich.
Fassin hatte sich oft überlegt, dass es wahrscheinlich diesen beiden zu verdanken wäre, wenn sein junges Leben ein tragisches Ende fände, bevor er sich endgültig entschieden hätte, was er damit anfangen wollte. (Als Seher ins Familienunternehmen eintreten … Oder etwas ganz anderes?) Am ehesten, wenn jeder wieder einmal versuchte, den anderen vor den nachsichtigen Augen ihrer Freunde bei irgendeinem Husarenstück zu übertreffen oder einfach rücksichtslos die bessere Schau abzuziehen. Manchmal gelang es ihm, sich einzureden, der Tod könnte ihn nicht allzu sehr schrecken. Er hätte bereits genug vom Leben, von der Liebe, von all den Grobheiten und Dummheiten der Menschen und der Realität gesehen, um einen jähen, grausamen Tod in Jugend und Schönheit vorzuziehen, in körperlicher und geistiger Frische, während er – wie es die älteren Verwandten nicht müde wurden zu wiederholen – noch alles vor sich hätte.
Bedauerlich wäre allerdings, wenn auch Ilen – die herzzerreißend schöne Ilen, zart und blass, schamlos blond, mit hervorragenden akademischen Leistungen, aber von einer geradezu grotesken Schüchternheit und ohne jedes Selbstbewusstsein – wenn auch sie in den Trümmern zugrunde gehen müsste, dachte Fassin. Womöglich noch, bevor sich erfüllt hätte, was er ihr immer wieder als ihrer beider Bestimmung schilderte – leider glaubte er auch noch selbst daran –, und sie zu einer sinnerfüllten, aber auch körperlich befriedigenden Beziehung gefunden hätten. Im Augenblick – den Kopf nach draußen gestreckt, die Stirn ans Kanzeldach gedrückt – sah sie freilich eher so aus, als wollte sie sich übergeben.
Fassin wandte sich ab und versuchte, sich alle Gedanken an einen frühen Tod wie an eine geschlechtliche Erfüllung, die wohl noch ziemlich lange auf sich warten ließe, aus dem Kopf zu schlagen, indem er die Sterne betrachtete, die jetzt über den falschen Horizont stiegen. Nasquerons schemenhafte Masse bewegte sich weiter, und dahinter kam, rasch dunkler werdend, der Himmel zum Vorschein. Ein neuer Aurora-Ausbruch ließ flimmernde Lichtbahnen entstehen, neben denen die Sterne vorübergehend verblassten.
Ilen schaute in die entgegengesetzte Richtung. »Was ist das für ein Qualm?«, rief sie und deutete auf die eingedrückte Nase des abgestürzten Schiffes. Dahinter stieg, vom Wind zur Seite gedrückt, eine dunkelgraue, fransige Rauchsäule auf.