Es bestand aus einigen hundert weißen, fensterlosen Häusern, mit Höfen im Innern und flachen Dächern, wo die Bewohner abends Kühlung suchten. Zwei oder drei Moscheen erhoben darüber ihre schlanken Minaretts.
Am Strande war wenig Leben. Berge von Schwämmen lagen zum Trocknen da.
Mauren, Barbaresken und Beduinen aus der Sahara, ungeheure Turbane auf den abrasierten Köpfen, handelten lebhaft mit den Fischern um den Preis ihrer Ladungen.
Der Normanne, dessen Schiff man kannte, mischte sich mit zwei Begleitern in die Gruppen. Er wollte recht viel bemerkt werden, um im Notfall beweisen zu können, daß er von einem Hafen der Barbaresken käme. So kaufte er Schwämme und Lebensmittel, bot Bekannten Kaffee an, verrichtete seine Gebete und Waschungen, wie ein echter Muselmann, und kehrte gegen Mittag aufs Schiff zurück, nachdem er überall verkündet hatte, daß er nach Algier fahre.
»So, das ist erledigt«, sagte er zu dem Ritter, der ihn in ängstlicher Spannung erwartete. »Ich habe mir genügend Augenzeugen für meine Anwesenheit und meine Rechtgläubigkeit verschafft!«
»Wann gehen wir in See?«
»Gleich nach dem Essen. Wenn möglich, möchte ich noch heute nacht in Algier einlaufen. Die Dunkelheit soll uns begünstigen. Und mitten unter allen andern Schiffen wird man sich wenig um uns kümmern!«
»Ich lege alles in eure Hand!« sagte der Baron zuversichtlich.
»Zuweilen sind die Barbaresken«, fuhr der Normanne fort, »recht unangenehm und neugierig. Obwohl ich seit drei Jahren ihre Häfen besuchte, könnten sie doch einmal Verdacht schöpfen!«
Gegen zwei Uhr wurden die Anker gelichtet.
Der Ostwind hielt an, und so flog die Feluke bald wie eine Schwalbe längs der Küste, ohne kreuzen zu müssen.
Da die Korsaren, welche die Küste bewachten, erst weiter draußen auf Schiffe der Nationen lauerten, die den Barbaresken Tribut verweigerten, begegnete der »Soliman« keinem Fahrzeug. Nur Delphine und Seevögel leisteten den Insassen Gesellschaft. Den ganzen Nachmittag blieben sie in Sicht der Küste, an der sich öfter Dörfer und Befestigungen zeigten.
Gleich nach Sonnenuntergang erschien eine dunkle Wolke, und schwarze Nacht brach herein.
»Das ist das richtige Wetter für uns«, sagte der Normanne. »Unter keinen Umständen darf Licht angesteckt werden. In 45 Stunden sind wir im Hafen!«
Erregt fragte der Ritter, ob wohl die Galeeren schon angelangt sein könnten.
»Sicherlich, sie hatten ja einen erheblichen Vorsprung!«
»Ob sie die Beute auch schon geteilt haben?«
»Das geschieht erst später«, beruhigte der Seefahrer, »zuerst werden die Gefangenen ins Bagno gebracht, wo sie oft Wochen verbleiben!«
»Arme Ida, wo werde ich dich da finden!« seufzte Sant Elmo.
»Ihr sprecht von der Gräfin Santafiora? Da müssen wir eben überall herumhören, bis wir ihre Spur entdecken! Euer Begleiter sagte mir, daß sie von einem Mauren, ihrem Sklaven, geraubt worden sei.«
»Leider ist das wahr.«
»Wie heißt er?«
»Zuleik ben Abad.«
»Ein Maurenfürst, sagte mir Eisenkopf. Wenn er wirklich ein angesehener Mann ist, dann hat er sie nach seinem Palast geführt, wenn nicht ... !«
»Nun?«
»... der Bey selber sich die Gräfin ausgesucht hat als einen Anteil an der Beute! Er hat ein Anrecht auf den zehnten Teil. Da die Dame sehr schön sein soll, könnten sie seine Leute gewählt haben! In diesem Falle wäre ihre Rettung sehr schwer!«
»Zuleik würde sie niemand abtreten. Er liebt sie bis zur Tollheit.«
»Dem Befehl des Beys darf sich keiner widersetzen. Er hat die erste Wahl unter den Gefangenen. Vielleicht aber hat der Maure so viel Einfluß, daß er die Gräfin behalten darf.«
»Beides macht mir Sorge und Pein!«
»Nur guten Muts! Ich empfehle aber dringend, kein Wort Italienisch zu sprechen. Am besten ihr und euer Begleiter bleibt stumm ... Ah, da sind ja die Wachtschiffe! Wir wollen unter ihrer Nase vorbeischlüpfen!«
Die Rutensegel wurden eingezogen und nur zwei kleine, schwarze gesetzt, die in der Finsternis unsichtbar waren. Dann ergriff der Normanne selbst das Steuer.
Vier leuchtende Punkte waren am Horizont sichtbar: Die Laternen zweier Wachtschiffe.
Der Normanne fuhr auf sie zu. Die Feluke glitt an dem bei Kap Malifa kreuzenden Schiffe vorbei. Dann mengte sie sich unter die Masse der Segler, die in bunter Reihe den Hafen füllten. Es ging so rasch, daß niemand das Manöver beobachtet hatte.
»Wir sind am Ziel! Nun können wir für den Augenblick ruhig schlafen!«
10. ALGIERS HYÄNEN
Algier war im 16. Jahrhundert Mittelpunkt und festeste Stütze der Barbaresken, welche die Bewohner aller christlichen Staaten des Mittelmeers in Schrecken hielten.
Das moderne Algier erinnert nur noch in seinen Moscheen und seiner Burg, der Kasbah, an die alte Stadt, die von fast uneinnehmbaren Befestigungen und von zahlreichen, mit den unerschrockensten und grausamsten Seeleuten der Zeit bemannten Schiffen verteidigt war.
Sie zählte viele glänzende Paläste, die an Schönheit mit denen Granadas wetteiferten, und prächtige Moscheen.
Ihre Bazare waren gefüllt mit Erzeugnissen Innerafrikas, Indiens, des Orients und Europas. Ihre sechs großen Bagnos waren voll von Gefangenen aus allen Ländern. Sie konnten gegen 25 000 Leute bergen. Unter den Bagnos enthielt das der Santa Caterina eine christliche Kapelle, wofür die Tempelritter eine hohe Summe jährlich zu zahlen hatten.
Tunis zählte gar neun, aber kleinere Bagnos, die 2000 Gefangene faßten. Tripolis nur eins für 500 und Salé zwei sogenannte »Matamur«, unterirdische Räume, die viel schrecklicher als die Bagnos waren.
Algier war der Hauptplatz für die Christensklaven und hatte nie weniger als 25 000, dazu 2000 aus Europa geraubte Frauen. In jener Zeit stand es auf dem Gipfel seiner Macht und konnte es mit Konstantinopel aufnehmen. Alle Mittelmeerstaaten zitterten vor ihm und nahmen ruhig die gröbsten Beleidigungen und Herausforderungen hin.
Seine Flotten beherrschten das Meer und überfielen häufig selbst Küstenstädte. Am meisten litten Sardinien, Neapel, Genua, Venedig und die Romagna unter den Räubereien, da sie ständig die Tributzahlung an den Bey verweigerten. Ihre Schiffe waren selbst im Adriatischen Meere nicht sicher. Aber auch Frankreich, Spanien und andere Staaten hatten mit Überfällen zu rechnen, wenn der Tribut nicht rechtzeitig abgeführt wurde. So unglaublich es klingt, die europäischen Mächte konnten sich nicht entschließen, sich zu vereinen und mit einem Schlage die Räuber zu vernichten oder wenigstens Europa vor ihnen sicherzustellen.
Erst Jahrhunderte später wurde Tripolis von Venedig bombardiert, nachdem das stolze Venezia viele Kämpfe mit den Türken in Kreta, Zypern und im Schwarzen Meere zu bestehen hatte. Dann zwang Piemont diesen Staat nach mehrmaliger Beschießung zur Unterdrückung oder wenigstens Beschränkung seiner Seeräuberei. Jedoch erst die Eroberung Algiers durch Frankreich machte dem Unwesen für immer ein Ende.
Die Stimme des Muezzin rief die Gläubigen zum Morgengebet, als der Normanne in des Ritters Kabine trat und ihm heiteren Tones sagte:
»Wir können in voller Sicherheit an Land gehen. Niemand hat uns beobachtet. Die Nachbarn glauben, ich hätte nur den Platz gewechselt, um näher an die Mole zu kommen! Aber ihr scheint sehr abgespannt zu sein, Herr, als hättet ihr die Nacht kein Auge zugetan!«
»So ist es auch!«
»Laßt gut sein! Wir werden die junge Gräfin schon finden! Haben mehr Freunde hier, als ihr glaubt! Wir haben sogar Freunde unter den heulenden Derwischen, und einen solchen wollen wir jetzt aufsuchen! Nehmt den Mantel um, steckt Pistolen und Dolch in den Gürtel und kommt!«
»Und was machen wir mit Eisenkopf?«
»Den nehmen wir mit! Ich mag ihn nicht hier lassen. Er schwatzt zu gern, und ein Wort könnte uns verraten!«