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So was in der Art.

Doch das Zeichen, das mich dann erreichte, war ein ganz anderes als erwartet und erhofft. Das Zeichen war kein Insekt, sondern ein Kind, auch wenn dies für manche Kinderhasser oder genervte Eltern das gleiche sein mag.

10

Es passierte an einem dieser ersten wirklich heißen Tage. Alle waren sie wieder da, die immer erst ins Bad gingen, wenn es richtig warm wurde: die Zuhältertypen, die Bodybuilder, die Schwulen, die Liegestuhlfetischisten, die dünnen Frauen in Bikinis, die dünner waren als der Lack auf ihren Nägeln, all die Eincremer und Einsprüher, die aus den Löchern der Sonnenstudios gekrabbelt kamen, und natürlich die Sixpackfanatiker, die aussahen, als schnitzten sie jeden Tag mit einem scharfen Messer feine Rillen in ihre Torsi. Nirgends gab es dann so viele gut gebaute Männer wie im Bad Berg. Und nicht wenige, deren Haut den Farbton polierter Bronze besaß. Aus diesen Männern hätte man Kanonenkugeln gießen können. Was übrigens zu einer gewissen Wehrhaftigkeit der Stammgäste gut paßte. Natürlich waren auch jene»älteren Damen «vertreten, die man das ganze Jahr über sehen konnte, aber auch jüngere Schönheiten, jedoch erstaunlich wenig Silikon. Zumindest im Vergleich. Etwa im Vergleich zu Wien, wo ich zur Fortbildung gewesen war und in den dortigen Schwimmbädern das Gefühl gehabt hatte, kaum jemand laufe noch ohne Implantat durch die Gegend. Ein Großteil der Wienerinnen schien nur noch partiell aus eigener Natur zu bestehen. Nicht so im Bad Berg, ohne daß dort die Flachbrüstigkeit regiert hätte, wirklich nicht.

Während ich da am Beckenrand stand und auf das gut gefüllte Bassin sah — wobei kaum jemand schwamm, eher spazierten die Leute durchs Wasser — , hörte ich aus dem Lautsprecher meinen Namen. Man rief mich zum Eingangsbereich.

Ich gab einer seitlich stehenden Kollegin das Zeichen, sie möge mein Kontrollfeld mit übernehmen. Wobei die einzige Gefahr in diesem Bad, in dem sich so gut wie nie Kinder oder Halbwüchsige aufhielten, darin bestand, daß eine der älteren Herrschaften einen Infarkt erlitt oder jemand nach einem langen Sonnenbad sich zu rasch ins kalte Wasser begab. Um richtig unterzugehen, war es nicht tief genug. Eher hielt einen dieses völlig unbehandelte Mineralwasser am Leben, als daß es einen tötete.

«Telefon für dich«, erklärte mir die Kollegin an der Kasse und streckte mir den Hörer entgegen.

Ich nahm ihn und sprach hinein:»Ja, hier ist Sixten.«

«Herr Braun?«fragte eine weibliche Stimme.

«Richtig, Sixten Braun.«

Die Dame rief aus München an. Sie stellte sich als Mitarbeiterin des taiwanischen Generalkonsulats vor (was nicht ganz korrekt war, da es sich bloß um die Vertretung dieses Landes handelte, eines Landes, welches im Zuge der Ein-China-Politik diplomatisch nicht anerkannt wurde, gleichwohl eine Repräsentanz besaß, natürlich, denn die Wirtschaft grüßte, und sie grüßte energisch).

Ich war überrascht, nach all den Jahren noch einmal mit dem einst vertrauten Inselstaat konfrontiert zu sein. Und erkundigte mich:»Was kann ich für Sie tun?«

Es war förmlich zu hören, wie meine Gesprächspartnerin sich auf die Lippe biß. Es quietschte, wie beim Gang über eine fragile Hängebrücke. Endlich fragte sie mich, ob mir eine Frau namens Frau Dr. Senft bekannt sei.

«Natürlich«, antwortete ich,»sie war meine Ärztin in Tainan.«

«Ja … also wohl nicht nur Ihre Ärztin, wenn Sie erlauben, daß ich das sage.«

Ich überlegte, ob die Anruferin Taiwanerin war. Eher nicht, so wie sie klang, durchaus münchnerisch.

Ich erklärte ihr, nicht zu wissen, worauf sie hier anspielen würde.

«Nun, auf Ihr Verhältnis zu Frau Dr. Senft.«

«Frau Dr. Senft ist tot.«

«Richtig. Aber ich rede von der Zeit, als Frau Dr. Senft noch nicht tot war.«

«Ich habe keine Vorstellung«, sagte ich,»was das die taiwanische Botschaft angeht.«

«Wir sind keine Botschaft, sondern eine Vertretung.«

«Ach ja, plötzlich. — Also, können Sie mir jetzt sagen, wieso Sie mich anrufen?«

«Wissen Sie von dem Kind?«

«Einem Kind? Wovon reden Sie?«

«Also nicht?!«

«Soweit ich mich erinnern kann, hatte Frau Dr. Senft kein Kind.«

«Nicht so lange, bis Sie beide sich kennengelernt haben.«

«Wollen Sie mir jetzt sagen …«

«Ja, Frau Dr. Senft wurde schwanger. Und sie hat das Kind auch ausgetragen. Einen Jungen. Als sie ein Jahr später starb, bot sich eine Kollegin aus der Klinik als Pflegemutter an. Eine einheimische Krankenschwester. Leider ist diese Frau jetzt aber nicht mehr in der Lage, weiter für den Kleinen zu sorgen. Über die Gründe darf ich nicht sprechen. Entscheidend bei alldem ist, daß Sie, Herr Braun, als Vater in Frage kommen.«

«Mein Gott, Sie können mir doch nicht einfach ein Kind unterjubeln, weil ich mal mit meiner Ärztin … Nicht, daß ich Ihnen eine solche Auskunft schuldig bin, aber bitte gerne: Wir hatten geschützten Verkehr. Definitiv! Ich bin in solchen Dingen überaus pedantisch. Um mir nämlich derartige Anrufe zu ersparen.«

«Was aber nichts genützt hat.«

«Sie meinen, weil ich jetzt trotzdem mit Ihnen reden muß?«

«Müssen Sie nicht. Ich bitte Sie nur um Ihre Kooperation. Ihr Name ist uns in diesem Zusammenhang erst kürzlich bekannt geworden. Und bevor man in Taiwan irgendwelche Schritte unternimmt, wollten wir Sie kontaktieren. Niemand versucht Ihnen etwas unterzujubeln. Eher geht es darum, für ein Kind, einen siebenjährigen Jungen, der nach nur einem Lebensjahr seine Mutter verloren hat und dessen Ziehmutter außerstande ist, auch künftig für ihn dazusein, daß wir für dieses Kind also einen guten Platz finden. Einen guten und vielleicht sogar den einzig legitimen Platz.«

«Sehr löblich, daß Sie sich derart engagieren. Auch wenn Sie das wohl kaum in Ihrer Freizeit machen.«

«Was hat meine Freizeit damit zu tun?«

«Ich will sagen«, erklärte ich,»Sie tun hier folgendes: während Ihrer und meiner Arbeitszeit im trüben fischen, indem Sie mich anrufen, nur weil ich eine kurze — und ich bedaure wirklich zu sagen, eine sehr kurze — Affäre mit dieser Frau hatte.«

Affäre war das absolut falsche Wort. Doch dessen nicht genug, fügte ich noch an:»Ich werde vielleicht nicht der einzige Liebhaber von Frau Dr. Senft gewesen sein, oder?«

Die Konsulatsangestellte — entgegen ihrer anfänglichen Unsicherheit wahrlich keine von den Langsamen — traf augenblicklich den entscheidenden Punkt, indem sie meinte:»Ja, wollen Sie denn, daß Sie einer von vielen waren?«

Ich zögerte, erklärte dann aber:»Nein, das will ich nicht. Überhaupt nicht. Aber ich will auch nicht einer Vaterschaft verdächtigt werden, die ich so gut wie ausschließen kann.«

«Es geht hier nicht um einen Bankraub«, versicherte meine Gesprächspartnerin.

Meine Güte, reden so Diplomatinnen?

Na gut, sie war ja keine Diplomatin. Eher so eine Art Zahnarzthelferin im konsularischen Dienst. Und offensichtlich von der entschlossenen Sorte. Sie berichtete:»Die Pflegemutter des kleinen Simon war eine sehr gute Freundin von Frau Dr. Senft. Von dieser Pflegemutter wissen wir, wie intensiv die Beziehung zwischen Ihnen und Frau Senft damals war.«