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Nun gut, wie meine» neue Freundin «bereits erwähnt hatte, hätte mir ein Test Klarheit verschaffen können. Allerdings war ich der einzige, der für diesen Test in Frage kam. Denn selbst wenn ein zweiter oder dritter Mann existierte, blieben sie im verborgenen. Sollte sich herausstellen, daß ich als Vater auszuschließen wäre, würde es keinen anderen geben, den man testen konnte.

Wie erbärmlich! dachte ich.

Die Vorstellung nämlich, daß am Ende die ganze Wahrheit einzig und allein darin bestehen könnte zu wissen, wer hier nicht der Vater sei. Eine negative Erkenntnis präsentierend, die das Kind geradewegs ins Heim führte.

Und darum also dachte ich:»Wie erbärmlich!«

Aha! Das war ja mal was Neues, so zu denken.

Ganz offenkundig hatte mich die Dame von der Taipeh-Vertretung infiziert. Und Gott mit seinem katzenhaften Schnurren die Infektion begünstigt. Einmal abgesehen davon, wie viele Hilfsgeister da geflötet und geflüstert haben mochten. Jedenfalls trieb mich ein heftiges Empfinden dazu, meine überfallartige Vaterschaft zu bejahen. Ich bestand — pathetisch gesprochen — nur noch aus zwei offenen Armen.

Aber auch offene Arme benötigen rechtliche Standpunkte.

Wie man mir versicherte, konnte ein Familiengericht für den Fall, daß dies dem Wohl des Kindes diene, die elterliche Sorge auf den Vater übertragen, selbst wenn dieser nicht mit der verstorbenen Mutter verheiratet gewesen war. Freilich lagen zwischen dem Tod Lanas und der Möglichkeit einer solchen richterlichen Entscheidung sechseinhalb Jahre. Sechseinhalb Jahre, in denen sich eine taiwanische Pflegemutter um Simon gekümmert hatte. Eine Frau allerdings — soviel erfuhr ich nun doch — , die man kürzlich in eine psychiatrische Klinik eingewiesen hatte.

Einen unheimlichen Moment lang überlegte ich, ob die seelische Störung dieser Frau mit der Pflege des Kindes zusammenhängen könnte. Wenn man sich nämlich ein Kind mit der Fähigkeit dachte, einen jeden in die Klapsmühle zu befördern. Doch solche Phantasien — sich wirklich den Teufel ins Haus zu holen — stammten vor allem aus dem Kino. Und so unterhaltsam das Kino auch sein mag, man sollte sich davon nicht verrückt machen lassen. Im Kino konnte alles und jeder zum Monstrum werden: Ameisen, Aufzüge, Tomaten oder Kinder.

Nach mehreren Gesprächen mit einem Anwalt sowie einer Vertreterin des Jugendamts wie auch des Familiengerichts, und immer wieder mit jener Dame der Taipeh-Vertretung in München, wurde zwischen den taiwanischen und deutschen Behörden vereinbart, den siebenjährigen Simon Senft nach Deutschland zu bringen. Ich hatte mich bereit erklärt, eine eidesstattliche Erklärung darüber abzugeben, im Zeitraum der Empfängnis Lana Senft» beigewohnt «zu haben. Ich fand das Wort gar nicht so übel. Es nahm in der Liste häßlicher oder unpassender Wörter einen unteren Rang ein, klang bloß ein wenig kalt, als handle es sich um eine Form der Untermiete.

Auch wenn dieser formale Akt erledigt war und meine persönlichen Verhältnisse einer Prüfung standgehalten hatten — der Beruf des Bademeisters schafft heutzutage offenbar ein größeres Vertrauen als der des Managers — , so blieb vieles merkwürdig und rätselhaft. Taiwanische Dokumente fehlten, und vor allem war die Frage, wieso man nicht schon viel früher an mich herangetreten war. Oder wenigstens an Lanas eigene Mutter. Nicht, daß ich selbst viel an diese Frau gedacht hätte, eine Person, die immerhin in Stuttgart lebte, und zwar, wie ich hörte, genau so, wie Lana es beschrieben hatte: als Klavierlehrerin, streng und verbittert. — Aber mein Gott, streng und verbittert in Stuttgart, das wäre vielen wie die Aussage erschienen, jemand sei am Ende eines Marathons müde und verschwitzt. Jedenfalls kam ein Treffen zwischen uns nie zustande. Weder wollte Frau Senft den Mann kennenlernen, den ihre Tochter als Ärztin gepflegt und diese Pflege etwas übertrieben hatte, noch das Kind, das aus dieser»Übertreibung «entstanden war. Für Frau Senft war ihre Tochter nicht nur einfach gestorben, sondern auch alles, was mit ihr zusammenhing (wobei Lanas Vater bereits kurz nach ihrer Geburt tödlich verunglückt war — mitunter hat Verbitterung gute Gründe).

Auch sonst meldete sich niemand aus Lanas Verwandtschaft, den diese Sache interessiert hätte. Zu erben gab es nichts. Wenn einst etwas Geld vorhanden gewesen war, dann hatte die taiwanische Pflegemutter es ausgegeben. Eine Frau, die einige Fragen hätte beantworten können. Wäre sie dazu noch in der Lage gewesen. War sie aber nicht. Der deutlichste Ausdruck ihrer Krankheit bestand darin, den Mund nicht mehr aufzumachen. Das letzte, was sie von sich gegeben hatte, war der Hinweis auf meine Person gewesen und wie eng mein Verhältnis zu Lana gewesen war.

Blieb allein der Junge, von dem man nicht wußte, ob er in den vergangenen Jahren überhaupt je mit der deutschen Sprache konfrontiert worden war. Wenn man bedachte, daß er bei einer Chinesin aufgewachsen war. Auch meine Dame von der Münchner Taipeh-Vertretung, die sich mächtig anstrengte, Details in Erfahrung zu bringen, konnte mir dazu keine genauen Informationen geben. Schließlich meinte sie:»Wenn das Kind mal da ist, werden wir schon sehen.«

Ich fragte mich, wie das für den Jungen wohl sein würde, einerseits die zwangsläufige Fremdheit, die sich ergab: der nie gesehene Vater, das nie gesehene Land, eine vielleicht nie gehörte Sprache. Aber natürlich auch, wie es für mich selbst sein würde, der ich mit Kindern nicht die geringste Erfahrung besaß, nicht einmal als Bademeister in diesem so gut wie kinderlosen Schwimmbad. Ich wußte so wenig über die Hege und Pflege eines Siebenjährigen.

Wer würde mir da helfen können? — Wobei ich keineswegs mit dem Jungen nach Köln zu meinen Eltern wollte. Das war mir schon früher bei Freunden und Verwandten als das Allerletzte erschienen, wenn sie ihre Kinder an die eigenen Eltern weitergaben. Und sich damit alles Schreckliche und Dumme wiederholte. Klar, jeder machte Fehler. Aber eigene, neue Fehler waren doch was anderes als fremde, alte Fehler.

Und dann kam der Junge. Ein Flugzeug brachte ihn, wie andere Kinder der Storch.

Ich fuhr nach München, wo das erste Treffen in einem Raum der Taipeh-Vertretung stattfinden sollte. Ich nahm den Zug, nicht nur wegen der Kürze der Strecke. Seit meinem Erlebnis über dem Ostchinesischen Meer mied ich die Luftfahrt. Denn trotz der überaus geringen Wahrscheinlichkeit, gleich zweimal im Leben in ein abstürzendes Flugzeug zu geraten, konnte man ebenso sicher sagen, daß, wenn dieses zweite Mal eben doch eintrat, man es kaum überleben würde. Zweimal abstürzen führte selten bis nie zu zweimal überleben.

Zug also. München also.

Jetzt endlich begegnete ich ihr leibhaftig, meiner Telefonpartnerin, die den Namen Heinsberg trug, Frau Heinsberg, in der Tat eine Deutsche, aber sehr viel jünger als vermutet, auch sehr viel zarter. Sie wirkte nervös. Nicht wie ein Prüfling, eher wie ein Prüfer, der um die Schwere des Gegenstands weiß.

Frau Heinsberg bat mich in einen leeren Raum. Wir setzten uns. Sie redete ein wenig umher — um den heißen Brei, wie man so sagt. Ich fragte sie, gemäß unserer bislang recht direkten Verständigungsweise:»Sie stottern doch wohl nicht, weil Sie so aufgeregt sind, mich endlich zu sehen?«

Sie lachte. Sehr hübsch. Hübsch und verlegen. Dann sagte sie:»Bevor ich viele Worte mache, hole ich einfach den Jungen, okay?«

«Ich bin bereit«, erklärte ich und nahm eine aufrechte Haltung ein.

Sie ging nach draußen und kam zurück mit dem Kind an ihrer Hand.

Simon!

Ich blies durch die Nase, und mein Brustkorb sank ein.

Nein, nicht darum, weil er etwa in einem Rollstuhl saß. Er war auch kein Zwilling oder zu dritt oder mißgebildet oder zwei Meter groß. Es waren vielmehr seine Augen, die mich aufschrecken ließen: die markante Hautfalte an den inneren Augenwinkeln. Es konnte gar kein Zweifel bestehen, daß wenigstens ein Elternteil dieses Kindes asiatischer Abstammung sein mußte.