«Und jetzt?«fragte ich, nachdem unsere Münder sich wieder getrennt hatten, und fügte ein gehauchtes» Du «an.
Na, vielleicht hätte etwas weniger Hauch besser gewirkt. Jedenfalls meinte Lana:»Ich würde tatsächlich sehr gerne beim Sie bleiben, wenn das geht.«
«Kein Problem«, beeilte ich mich zu erklären. Und:»Können wir trotzdem miteinander schlafen?«
Sie nickte. Dabei wirkte sie jetzt wirklich müde. Ein Schleier verdeckte den Himmel in ihrem Gesicht, silbriggrau.
Mich packte das schlechte Gewissen. Ich sagte ihr, wenn sie zu müde sei …
«Nein. Lassen Sie uns gehen.«
Wir gingen. Nicht zu ihr und auch nicht zu mir. Sondern in ein Hotel, welches gleich um die Ecke lag. Kein Luxushotel, aber das war ziemlich egal.
Alsbald standen wir im Zimmer und betrachteten uns. Ich dachte mir:»Verdammt, wie bei einem Duell.«
Dann aber kam sie näher und begann mich auszuziehen. Ganz die Frau Doktor, die sie war. Als seziere sie. Doch es war nicht gefühllos, nur sehr präzise und diszipliniert, wie sie da einen Knopf nach dem anderen durch den Schlitz führte. Man hätte nach dem gleichmäßigen Intervall, der das Öffnen der einzelnen Knöpfe bestimmte, wahrscheinlich eine neue Zeitskala entwickeln können.
Ich war von der Art, wie sie mich da» aufknöpfte«, derart fasziniert, daß ich es nicht wagte, den Prozeß dadurch zu stören, ihr Kostüm auch nur anzufassen. So geschah, was mir noch nie passiert war. Nämlich mit einemmal gänzlich nackt vor einer noch vollkommen angezogenen Frau zu stehen.
Sie war einen Schritt zurückgetreten, legte den Kopf schräg, blickte mich ungeniert von oben bis unten an und meinte:»Man sieht Ihnen wirklich an, daß Sie über Hürden springen. Hübsch!«
Ich wollte mich beschweren darüber, wie hier Noten vergeben wurden, einmal abgesehen davon, daß man über Hürden nicht sprang, wie ich bereits ausgeführt hatte, überlegte es mir aber, ging auf Lana zu und nahm sie in die Arme. Ich spürte Jacke und Rock ihres Kostüms auf meiner Haut. Wolle, ein wenig grob, aber nicht unangenehm. Wie bei einem Tier, einem Zebra vielleicht oder einer Giraffe, einem Steppentier jedenfalls.
So nah und fest an ihr, vernahm ich ihre Stimme an meinem Ohr. Sie wollte wissen:»Stört es Sie, wenn ich angezogen bleibe?«
Ich schluckte. Wie sollte ich das verstehen? Gleichzeitig wurde mir klar, wie sehr sich jegliche Gegenfrage verbot. Lana hatte mich um etwas gebeten, nicht fordernd, nicht diktierend, sondern durchaus so, wie ein Liebender den anderen Liebenden um etwas bittet, ohne sich erklären zu wollen.
Und genau darin besteht ja der Sinn der Liebe: keine Erklärungen abgeben zu müssen. Im wirklichen Leben — denn die Liebe ist in der Tat genau das Gegenteil — muß man sich ständig rechtfertigen. Darum wird auch so viel gelogen. Von Kindheit an erscheint das Lügen als ein grundsätzliches Prinzip des wirklichen Lebens. Die Liebe hingegen gipfelt darin, nicht lügen zu müssen. Nicht darum, weil man so ehrlich ist, sondern weil einer den anderen nicht zwingt, die Wahrheit auszusprechen. (Dort, wo es anders ist, ist es keine Liebe, sondern irgendein wackeliger Deal.)
Klar, ich hätte ob dieses Ersuchens, angezogen zu bleiben, beleidigt sein können. Und war es auch für einen Moment. Dann aber begriff ich den Sinn und begriff, daß Lana mir ja weder den Sex noch ihre Zuneigung versagte, sondern bloß einen Teil ihrer Haut. Dafür konnte es Gründe geben, die mit mir zu tun hatten, aber noch viel mehr Gründe, die nicht mit mir zu tun hatten. Ich sagte:»Bleiben Sie, wie Sie sind.«
«Danke«, gab sie zurück und küßte mich jetzt mit großer Heftigkeit. Wenn ich das so dramatisch sagen darf: Ich spürte, wie ihr Körper unter mir zu brennen begann. Zusammen mit dem Kostüm, das passenderweise den gleichen flammenden Farbton wie leicht verdünnter Campari besaß. Wobei ich erst jetzt die kleine Brosche aus rotem Glasstein bemerkte. Als verstecke sich ein durchsichtiges Käferchen auf dem Ornat eines Kardinals.
Ich nackt, sie angezogen, fielen wir gemeinsam aufs Bett. Die Altsteinzeit sich mit der späten Zivilisation verbindend. Ich schob ihr den Rock sachte nach oben, um an ihre Unterwäsche zu gelangen. Aber sie trug keine, was ich weniger schockierend als praktisch fand.
Ich berührte sie am Geschlecht, zunächst einmal nur die Hand dagegen haltend. Ein kleiner Seufzer drang aus dem Spalt zwischen den weißen Zähnen hervor. Ich löste einen Finger und begann Lana zu massieren. Ich bemerkte, wie sehr es mich erregte, daß sie dieses Kostüm trug, unter dessen Kruste ihr Körper zu ahnen war.
Ich streckte die Hand aus und griff nach dem Präservativ, das auf dem Kopfpolster lag. Gleich diesen obligaten Willkommenspralinen. — Hatte ich selbst es dort hingetan? Oder Lana, die vorausschauende Medizinerin? Mitunter war mein Gedächtnis ein verrückter Golfplatz. Nun gut, Hauptsache, das Ding lag bereit. Ich riß das Päckchen auf und war bemüht, so geschickt wie möglich die nötigen Handgriffe zu absolvieren. Sodann zog ich Lanas Beine sachte auseinander, nahm die Hürde eines gestreckten Beins und drang in sie ein.
Keine Frage, als Mann praktiziert man den Sex stets mit dem Gefühl, etwas würde nicht stimmen, gehe zu langsam oder zu schnell, zu heftig oder zu lahmarschig. Die Liebe schließt ja Fehler nicht aus, Ungeschicklichkeiten, daß man Schmerz verursacht, wo man eigentlich ein Glücksgefühl herstellen möchte. Ganz abgesehen von der verdammten Möglichkeit, zu früh zu kommen, sich gleich einem Sechzehnjährigen nicht im Griff zu haben. Man fürchtet, daß einem die Technik versagt. Sich die ganze» Technikgläubigkeit «als Trugschluß erweist.
Ich nahm die Geschwindigkeit heraus, trabte sachte dahin, schaute nach rechts und links, betrachtete die Landschaft des Zimmers und wurde wirklich ruhiger. Ich dachte daran, sobald ich zurück in Köln war, meine Verlobung aufzulösen, die Beziehung zu dieser Frau zu beenden, die in einem Nebel verborgen blieb. Ich verspürte nicht das geringste Bedürfnis, den Nebel zu durchdringen, um alte Gewohnheiten wiederaufzunehmen.
«Wo bist du?«hörte ich Lana sprechen.
«Schon wieder da«, sagte ich und nahm erneut Tempo auf. Das klingt wie bei einer Maschine. Aber aus der kurzzeitigen Ablenkung heraus geriet mein Körper jetzt in einen idealen Rhythmus, jene Abfolge der Schritte, die den Hürdenläufer befähigt, das Hindernis nicht als Übel zu begreifen, im Gegenteil, das Hindernis trägt einen, wie die Luft den Segler trägt.
Nicht eine einzige Hürde fiel, und schließlich war ich ganz in und bei Lana. Keine Frage der Technik, sondern des Hirns. Und das Hirn war jetzt gut und brav und spendierte uns ein Ziel, an das wir beide glücklich gelangten.
Danach lagen wir nebeneinander und hielten uns an der Hand. Ich bemerkte, daß Lana eingeschlafen war. Ich wäre jetzt gerne in ihrem Schlaf gewesen, in ihren Träumen, wie man sich ja auch wünscht, hin und wieder die Gedanken des anderen zu lesen. Aber das ist wahrscheinlich etwas, was man sich für den Tod aufsparen muß. Romantisch gesehen. Romantisch gesehen, ist Gedankenübertragung ein Vorgeschmack auf die Möglichkeiten, die einem das Jenseits beschert. Wenn’s das gibt. Eine andere Art von Sex. Jetzt aber blieb mir nichts als mein eigener Schlaf.