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Ach ja, sie meinte diesen Film mit Luis Trenker.

Es war nun Mercedes, der behauptete:»Luis Trenker war eher ein typischer halber statt ein typischer ganzer Nazi. «Präziser wurde er nicht. Jedenfalls gab er mir recht. Wir sollten das gute Wetter nutzen. Eine Nacht auf der Hütte würde auch dem Kind gefallen.

Vor allem aber, dachte ich, wollte er seiner Frau auf der Spur bleiben.

30

Mit Mercedes’ japanischem Wagen fuhren wir nach Kasern und stiegen dort zur Hütte hoch. Simon war zuerst nicht wirklich begeistert gewesen, seinen Verkaufsstand und damit auch Sonja aufgeben zu müssen, aber ich erklärte ihm eindringlich, daß wir die Berge, die wir im Tal ja nur von fern sahen — in der Tat wie in einem Fernseher — , nun endlich wieder aus der Nähe würden erleben können. Dort, wo die Felsen waren und der Himmel zum Greifen nah. Und immerhin würden wir am nächsten Tag wieder zurück sein, und dann könnte er den ganzen Sonntag Nachmittag mit Sonja spielen.

Ebendiese Sonja stand daneben und meinte:»Wir spielen nicht, wir verkaufen. Und am Sonntag haben die Geschäfte zu. Oder wußten Sie das nicht?«

Ich dachte mir:»Gott, du kleines, obergescheites Monster!«Und stellte mir den armen Mann vor, den diese vorlaute Göre einmal heiraten und welchen sie dann durch ständige Besserwisserei in den Wahnsinn treiben würde. Andererseits war deutlich zu sehen, wie sehr diese Sonja und mein Simon ein Herz und eine Seele waren und wie sehr sich die beiden blind verstanden und stumm kommunizierten. Ich war mir übrigens sicher, Simon dabei beobachtet zu haben, wie er ein Porträt von ihr gezeichnet hatte. Ich hatte zu weit weg gestanden, um es hundertprozentig sagen zu können. Aber die Art, wie er sie betrachtet und sich sodann wieder über das Papier gebeugt hatte, dies in ständigem Wechsel, war unverkennbar gewesen. Der Maler und sein Modell. Ich hätte die Skizze wirklich gerne gesehen, aber bezeichnenderweise wollte Simon mir diese Stelle seines Block nicht zeigen.

Ich war mir sicher, es hatte die kleine Sonja ziemlich beeindruckt, wie perfekt ihr neuer Freund es verstand, ihr Gesicht aufs Papier zu bringen. Jetzt abgesehen von der Möglichkeit, daß Simon auch die Kunst der Idealisierung beherrschte.

Bezüglich der Sonntagsfrage jedenfalls wußte ich mir nicht anders zu helfen, als der jungen Dame zu erklären:»Auch wenn die Geschäfte geschlossen haben, kann es ein schöner Tag werden.«

«Pah!«meinte Miss Sonja und ging. Dabei streifte sie Simon und lächelte ihn an … Wie alt war sie? Sieben? Also, ich fand, es war ein ungemein keckes Lächeln. Die pure Verführung. In ihrem Lächeln lag ein Versprechen für Dinge, von denen weder sie noch Simon eine Ahnung besaßen. Und doch war es ein Versprechen.

Mittags erreichten wir auf über 2300 Metern jene Schutzhütte, die nur noch einige Tage geöffnet hatte, bevor der Oktober begann und man dort eine Herbstpause einlegte. Obgleich bei dem herrlichen Wetter der Herbst eher an ein leeres Versprechen erinnerte. Aber sagen wir mal so: Der Herbst in diesem Jahr würde sich als ziemlich raffiniert, hinterlistig und bösartig erweisen.

Offensichtlich hatte Mercedes gedacht, man würde ihm auf der Hütte sagen können, welchen Weg seine Frau gewählt hatte. Was aber nicht der Fall war. Allerdings erreichte ihn nachmittags die Nachricht, Clara sei in der Lizumer Hütte angekommen.

Ich sagte:»Sehen Sie?«

«Was soll ich sehen?«

«Wie sich alles zum Guten wendet.«

«Also, besser wäre gewesen, wir hätten Clara hier und jetzt getroffen. «Und fügte noch an:»Wahrscheinlich meinen Sie auch, daß, wenn Ihre Schwester Astri das Messerwerfen bei mir lernt, etwas Gutes dabei herauskommt.«

«Eigentlich schon«, sagte ich. Wie auch sollte ich mir etwas Schlechtes bei Astri vorstellen?

Nach einem Besuch der Sommerbergalm und der Rückkehr zur Hütte sowie einem ausgiebigen Abendessen gingen wir früh zu Bett. Diesmal schlief ich derart rasch ein, daß ich Kerstin noch reden hörte, obgleich ich schon woanders war. Ja, ich hörte sie fortgesetzt erzählen, aber so, als wäre eine Wand zwischen uns und die Stimme, die ich da vernahm, die einer Nachbarin, die ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte.

Zu Gesicht hingegen bekam ich den Mann im Neoprenanzug. Es stand diesmal außer Zweifel, um wen es sich handelte. Nachdem er erneut aus einem sich öffnenden Kleiderschrank aufgetaucht war, stand er nun triefend vor mir und zog sich die Maske vom Gesicht — ein altes, ein sehr altes Gesicht, aber unverkennbar das des Mannes aus dem Flugzeug und der chinesischen Rettungsboje.

Ich war geistesgegenwärtig genug, ihn sofort auf einen Widerspruch aufmerksam zu machen. Ich meinte:»Ist es denn nicht so, daß nur die, die jung oder zumindest mittelalt sterben, durch die Träume der Lebenden wandern? Aber nicht die anderen, die schon alt genug sind, wenn der Tod sie ereilt. Das stimmt doch, oder?«

Der Zehn-Millionen-Mann antwortete mit einer Stimme, die klang, als rede er in ein Wasserglas hinein. Er sagte:»So alt war ich gar nicht, als Sie mich umbrachten.«

«Reden Sie keinen Quatsch«, wehrte ich mich.»Ich habe Sie nicht umgebracht. Seien Sie ehrlich, Sie wissen doch gar nicht genau, was damals geschah. Kein Toter erinnert sich so richtig, wie er starb. Nur ungefähr. Soviel habe ich schon mitbekommen. Sie brauchen nicht zu versuchen, mich anzuschwärzen.«

«Ich weiß noch sehr gut«, erregte sich die Wasserglasstimme,»wie Sie mir die Rettungsweste heruntergerissen haben.«

«Mag sein, aber davon sind Sie nicht gestorben.«

Der Zehn-Millionen-Mann preßte die Lippen zusammen. Es war unverkennbar, wie absolut recht ich hatte. Der Mann besaß nur noch eine vage Erinnerung an das, was sich in der Boje zugetragen hatte. Zugleich sah ich seinen Haß, seinen unbedingten Willen, mich für seinen Tod verantwortlich zu machen. Das war der Grund, weshalb er noch hier war. Nichts war so sehr imstande wie der Haß — eins der stärksten Gefühle bei den Lebenden wie den Toten — , gewisse Gesetze oder Regeln außer Kraft zu setzen.

Der tote Greis hätte sich längst von der Erde entfernen müssen. Aber er war noch immer hier. Er meinte, eine Rechnung offen zu haben.

Ich sagte ihm:»Sie bilden sich das nur ein. Und gleich wie schlimm es für Sie auch sein mag, aber Sie haben umsonst so lange gewartet. Ihnen wird bei mir nicht die Gerechtigkeit widerfahren, die Sie sich erhofft haben. Auch wenn Sie sie vielleicht verdienen. Aber nicht hier, sondern woanders. Versprochen!«

«Das werden wir schon noch sehen«, sagte er. Seine Stimme war jetzt sehr schwach, und seine Gestalt löste sich auf. Es war, als hätte ich eine gewisse Kontrolle über meinen Traum und damit auch über ihn. Das war mir neu. Der Zehn-Millionen-Mann konnte sich nicht halten. Er wurde durchsichtig, immer wäßriger und fiel zurück in den Schrank.

Mein Gott, wenn das bei allen so funktionierte, die einen gerade nerven!

Als ich erwachte, war bereits der Tag im Zimmer und erleuchtete die Stube. Ich sah Simons Gesicht und Kerstins Gesicht, beide noch im Schlaf, und dachte mir:»Was für Engel!«

Draußen vorm Haus traf ich Mercedes. Er stand auf einem Stein, sah über das Land und inhalierte eine Zigarette. Aus seinem Mund drang der Rauch hell und sauber. Ich sagte:»Guten Morgen.«

«Morgen, Herr Braun. Gut geschlafen?«

Diesmal erzählte ich ihm von dem Taucher, der aus dem Schrank kam.

«Aha«, meinte Mercedes,»ist das der gleiche Schrank, der auch in meinem gestrigen Traum war?«

«Sehr gut möglich«, sagte ich.

«Und wer ist der Taucher? Kennen Sie ihn?«

«Jemand von früher.«

«Aus Köln? Wie dieser Allesforscher, dem ich angeblich so ähnlich sehe?«

«Nein, nicht aus Köln. Ich habe den Mann gewissermaßen auf dem Meer kennengelernt.«

«Nun, das ist ungewöhnlich, aber wieder nicht so ungewöhnlich, wenn es sich um einen Taucher handelt.«