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Die nackten, nur mit einer um die Hüften geschlungenen Sackleinwand bekleideten Fischer gestikulierten aufgeregt, schrien durcheinander und deuteten über Bord. Pedro schaute ebenfalls herab und sah, daß die Boote, die über Nacht auf dem Wasser blieben, losgebunden waren.

Die nächtliche Brise hatte die Boote weit in das offene Meer hinausgetragen. Jetzt trieben sie langsam wieder dem Ufer zu.

Surita befahl den Fischern, die Schaluppen einzuholen. Aber niemand wagte, das Deck zu verlassen. So wiederholte er seinen Befehl.

„Krieche selbst in die Klauen des Teufels“, ließ sich eine Stimme vernehmen. Surita griff an seine Revolvertasche.

Die Fischer wichen zurück, rotteten sich am Mastbaum zusammen und blickten feindselig. Ein Zusammenstoß schien unvermeidlich. Da mischte sich Balthasar ein.

„Ein Araukaner fürchtet niemanden“, sagte er. „Der Haifisch hat mich nicht aufgefressen, und auch der Teufel würde an alten Knochen herumwürgen.“ Die Arme über den Kopf erhebend, warf er sich über Bord ins Wasser Und schwamm zum nächsten Boot. Jetzt traten auch die Perlenfischer wieder an die Reling und beobachteten angstvoll Balthasars Unterfangen.

Ungeachtet seines hohen Alters und seines kranken Beines schwamm Balthasar ausgezeichnet. Mit wenigen Zügen hatte der Indianer das Boot erreicht, die schwimmenden Ruder aufgefischt.

„Das Seil ist mit einem Messer durchgeschnitten“, rief er. „Die Klinge muß scharf wie ein Rasiermesser gewesen sein.“

Nachdem mit Balthasar nichts Gefährliches geschah, folgten einige Fischer seinem Beispiel.

Der Delphinreiter

Die Sonne war gerade erst aufgegangen, brannte aber schon unbarmherzig. Der silberblaue Himmel schien wolkenlos, der Ozean unbeweglich, Die „Meduse“ befand sich schon zwanzig Meilen südlich von Buenos Aires. Auf Balthasars Rat warf man in einer kleinen Bucht Anker, an einem felsigen Ufer, das sich mit zwei Vorsprüngen aus dem Wasser erhob.

Die Boote verteilten sich in der Bucht. Auf jedem befanden sich, wie gewöhnlich, zwei Fischer. Der eine tauchte, der andere zog ihn empor, dann wechselten sie ab.

Ein Boot hatte sich dem Ufer genähert. Der Taucher erfaßte einen großen Kalksteinbrocken, der das Ende des Seils beschwerte, und ließ sich rasch auf den Grund hinab.

Das Wasser war klar und warm, jeder Stein auf dem Grund deutlich zu erkennen. In Ufernähe wuchsen Korallen — die unbeweglich erstarrten Sträucher der Seegärten. Gold- und silberschimmernde kleine Fische schnellten durch das Gestrüpp.

Der Taucher begann sogleich, die Muscheln aufzulesen und in ein Säckchen zu stopfen, das mit einem Riemen an seiner Hüfte befestigt war. Sein Kamerad, ein Hurone, hielt das andere Ende des Seils in den Händen und beobachtete, über Bord gebeugt, das Wasser.

Plötzlich sah er, daß der Taucher, so schnell er nur konnte, aufsprang, die Arme schwenkte, den Strick packte und so stark daran zerrte, daß er den Huronen fast mit ins Wasser gerissen hätte. Das Boot schwankte. Der Indianer zog schnell seinen Kameraden aus dem Wasser und half ihm ins Boot. Der Taucher atmete schwer, mit weit auf gerissenem Mund und starrem Blick. Sein bronzenes Gesicht war aschgrau erbleicht.

„Ein Haifisch?“

Aber der Taucher konnte nicht antworten, er fiel auf dem Boden der Schaluppe zusammen.

Was konnte ihn wohl auf dem Meeresgrund so erschreckt haben? Der Hurone beugte sich über Bord, starrte ins Wasser. Dort schien etwas Ungewöhnliches vorzugehen. Die kleinen Fische huschten wie aufgescheuchte Vögel, die vor dem Habicht flüchten, um sich im dichten Gesträuch der Unterwasserpflanzen zu verbergen.

Und dann sah der Indianer, wie hinter dem zakkigen Vorsprung des wasserbedeckten Felsens etwas wie eine tiefrote Wolke emporstieg. Diese Wolke verteilte sich allmählich nach allen Seiten, das Wasser färbte sich rosa. Dann zeigte sich etwas Schwarzes. Das war der Köper eines Haifisches. Der drehte sich langsam und verschwand hinter dem Vorsprung des Felsens. Die dunkelroten Schwaden konnten nur Blut sein, das jemand auf dem Meeresboden vergossen hatte. Was ging dort vor?

Der Hurone blickte besorgt nach seinem Kameraden, der unbeweglich auf dem Rücken lag, die Luft mit weit geöffnetem Mund einsaugte und blicklos in den Himmel starrte.

Der Indianer griff nach den Rudern, um den plötzlich Erkrankten so schnell wie möglich an Bord der „Meduse“ zu bringen.

Endlich kam der Taucher zu sich, aber es schien, als hätte er die Sprache verloren — er gab nur unartikulierte Laute von sich, schüttelte den Kopf, wölbte die Lippen und keuchte.

Die auf dem Schoner verbliebenen Perlenfischer umringten den Taucher, ungeduldig seine Erklärungen erwartend.

„Sprich“, rief schließlich ein junger Indianer, den Taucher schüttelnd. „Sprich, wenn du nicht willst, daß deine feige Seele dir aus dem Körper fliegt.“

Der Taucher drehte den Kopf beiseite und stammelte mit hohler Stimme: „Ich sah. Meerteufel.“

„IHN? So sprich doch, sprich!“ schrien die Perlenfischer ungeduldig durcheinander.

„Ich sehe einen Haifisch. ein großer, schwarzer. er schwimmt gerade auf mich zu. hat schon den Rachen aufgerissen. das ist mein Ende!. Ich sehe, da schwimmt noch.“

„Ein zweiter Haifisch?“

„Der Teufel.“

„Wie sieht er denn aus? Hat er einen Kopf?“

„Einen Kopf? Wahrscheinlich hat er auch einen Kopf. Aber Augen hat er so groß wie Gläser.“

„Wo Augen sind, muß auch ein Kopf sein“, beharrte der junge Indianer. „Die Augen werden ihm schon irgendwo angebracht sein. Und Klauen hat er auch?“

„Tatzen wie ein Frosch. Er schwimmt auf den Haifisch zu, seine Tatze blitzt auf, fatsch! Und das Blut schießt nur so aus dem Bauch des Haifischs!“

„Was für Füße hat er denn?“ fragte einer der Taucher.

„Füße?“ Der Taucher bemühte sich zu erinnern. „Füße hat er gar keine. Aber einen mächtigen Schwanz hat er und am Ende des Schwanzes zwei Sehlangen.“

„Vor wem bist du mehr erschrocken, vor dem Haifisch oder vor dem Ungeheuer?“

„Vor dem Ungeheuer“, erwiderte entschieden der Taucher „und wenn er mir das Leben auch gerettet hat. Das war ER!“

„Ja, das war ER!“

„Der Meerteufel“, sagte der Taucher.

„Der Meergott“, verbesserte ihn ein alter Indianer. „Der Meergott, der den Armen zu Hilfe kommt.“

Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile auf allen Booten, die in der Bucht lagen. Die Perlenfischer eilten zum Schoner.

Alle umringten den durch den Meerteufel geretteten Taucher. Und er wiederholte seine Erzählung immer wieder, stets mehr und neue Einzelheiten hinzufügend. Er erinnerte sich jetzt, daß aus den Nüstern des Ungeheuers eine rote Flamme herausschlug, daß die Zähne scharf und fingerlang waren, die Ohren beweglich. An den Seiten hatte er Flossen und hinten einen Schwanz, wie ein Ruder.

Pedro Surita, bis zum Gürtel entblößt, in kurzen weißen Hosen, barfuß in Schuhen und einem hohen breitrandigen Strohhut auf dem Kopf, ging mit schlappenden Schritten auf Deck auf und ab und lauschte dem Gespräch.

Je eifriger der Erzähler begeisterte, desto mehr war Pedro überzeugt, daß der vom Haifisch erschreckte Perlenfischer die ganze Geschichte nur erfunden hatte. Möglicher weise ist auch nicht alles erfunden, dachte Pedro. Jemand trennte dem Haifisch den Wanst auf, das Wasser färbte sich rosa. Der Mann lügt zwar, aber an alledem ist auch etwas Wahres. Komische Geschichte, hol‘s der Teufel!

Suritas Gedankengang wurde jäh unterbrochen. Plötzlich ertönte, ganz nah hinter dem Felsen, der Wohlklang des Horns.

Dieser Laut erschütterte dis Besatzung der „Meduse“ wie ein Donnerschlag. Die Gespräche erstarrten, die Gesichter erbleichten. Die Perlenfischer sahen mit abergläubischem Entsetzen auf den Felsen, hinter dem der Laut hervordrang.