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Es ist genug!!

Es ist genug! Herr, wenn es Dir gefällt, so spanne mich doch aus!

Mein Jesus kommt; nun gute Nacht, o Welt, ich fahr ins Himmels Haus;

Ich fahre sicher hin in Frieden,

Mein großer Jammer bleibt danieden.

Es ist genug!!«

Das >Genug< riß die Köpfe herum, es drang in die Seele, es setzte sich im Gehirn fest, es bohrte sich bis ins Mark.

Sellnow drückte die Stirn gegen die Holzwand, seinen Körper schüttelte ein Schluchzen, und ein Krampf ließ seine Stirn gegen die Wand schlagen. Dr. Böhler blickte zu ihm hin . er schwieg und senkte den Kopf.

Welche Erfüllung, durchzuckte es ihn. Gott lebt... er wird immer leben. Er ist der Vater der Einsamen und Getretenen.

Der Pastor nahm die Hand von der Stirn des Kranken. Sie war voll kalten Schweißes.

»Soll ich ihm das Abendmahl geben, oder wollen Sie erst den Erfolg der Operation abwarten?«

Dr. Böhler verschloß den Darmausgang mit einem Mullberg und richtete sich auf.

»Haben Sie alles bei sich, Herr Pastor?«

»Eine Flasche mit Wasser und ein Stück trockenes Brot.« Er lächelte schwach, wie entschuldigend. »Gott wird es in Wein und Hostie verwandeln ... mit Brot und Wasser hielt er unser Leben aufrecht in den Jahren der Not.«

Dr. Böhler sah zu Sellnow hinüber, der sich beruhigt hatte. Auch Dr. Schultheiß schien so weit gefaßt zu sein, um assistieren zu können. »Ich werde erst operieren«, sagte er. »Wenn Sie wollen - wenn es Ihre Nerven aushalten - können Sie mitkommen und neben dem Tisch stehen.«

»Das wäre gut.« Ein trockener Husten schüttelte den Körper des Pfarrers wie ein Rohr im Wind. Dr. Böhler betrachtete ihn, wie er die Hand vor die dünnen Lippen hielt und sich keuchend vorbeugte. Bald würde er für sich selbst beten müssen.

Emil Pelz und die beiden Sanitäter trugen den Oberfähnrich wieder hinaus über den Gang zum Operationszimmer. Als sie die Tür aufstießen, stand Dr. Kresin in Gummihandschuhen am Tisch und ordnete die Bestecke. In dem Sterilkocher brodelten die Instrumente. Dr. Alexandra Kasalinsskaja saß am Tisch und erhob sich, als die Ärzte mit der Bahre eintraten.

»Wo Gott ist, ist auch der Satan«, murmelte Sellnow. Mit zusammengebissenen Lippen ging er an der Kasalinsskaja vorbei.

Ein Geruch nach Äther durchzog den Raum.

Dr. Böhler nahm aus den Händen von Dr. Kresin dessen Gummihandschuhe. Die ersten nach drei Jahren.

Am nächsten Morgen traf Janina Salja im Kommandanturgebäude

ein.

Major Worotilow hatte sie selbst mit seinem Jeep aus Stalingrad abgeholt und stand nun stolz mit Dr. Kresin und Leutnant Piotr Markow zusammen. Er war glänzender Laune und gönnte es dem vorsichtigen Karl Georg, in seiner Gegenwart neue Blumen zu pflanzen, die aus dem Garten der Oktober-Fabrik von der Nachtschichtkolonne gestohlen worden waren.

Janina Salja sah in Uniform noch schmaler und hilfloser aus. Das rötlichblonde Haar fiel weich herab, ihre großen, wasserblauen Augen tasteten die niedrigen Baracken und die Wachttürme, den Stacheldraht und den Lazarettbau ab, und während Worotilow einen neuen Witz aus Stalingrad erzählte und Markow sich auf die prallen Schenkel schlug, glänzten ihre Blicke auf, als sie am Fenster des Lazaretts die Gestalt von Dr. Schultheiß sah.

Dr. Sergeij Basow Kresin ahnte Verwicklungen. Janina hatte sich auf ihre Weise nach dem Ergehen des deutschen Arztes erkundigt: »Der deutsche Lümmel gefällt mir nicht. Er hat so weiche Hände, die mich abtasten wie Samtpfoten. Ich mag das nicht.« Aber in ihren Augen stand deutlich die Sehnsucht nach diesen Händen, und Dr. Kresin knirschte mit den Zähnen und erwog, Dr. Schultheiß in eine andere Lagergruppe oder wenigstens in ein Außenlager verlegen zu lassen.

Über den Platz, von der Küche her, kam die Kasalinsskaja. Als sie Janina sah, lächelte sie und kam mit schnellen Schritten auf sie zu. Sie umarmte sie mit jenem Enthusiasmus, der sowohl Liebe wie auch Haß auszudrücken vermag, und küßte sie auf beide Wangen.

»Mein weißes Täubchen«, sagte sie heuchlerisch. »Du kommst uns besuchen?«

Worotilow schob die dicke Unterlippe vor. Wie ein Bulle, der wie-derkäut, mußte die Kasalinsskaja denken.

»Janina wird Ihnen Gesellschaft leisten, Genossin«, sagte er betont freundlich. »Sie will die Arbeiter in einer Reihenuntersuchung inspizieren.«

»Welch großes Interesse an den Deutschen! Erst lassen wir sie zu

Tausenden verrecken, und jetzt bringen wir uns ihretwegen um. Es gibt in Rußland Millionen, die nicht so gut leben und nicht so gut versorgt werden wie die deutschen Gefangenen. Aber Sie müssen es ja wissen, Genosse Major.«

»Wenn es nach Genossin Kasalinsskaja ginge, würde man alle Deutschen umbringen«, sagte Major Worotilow lachend zu Janina. »Wir haben da ein gutes System: Wenn ein Stahlwerk oder die Holzkolonne Arbeiter braucht, schicken wir die Genossin Ärztin in die Lager. Innerhalb von zwei Stunden haben wir soviel Arbeiter, wie wir wollen.«

Janina Salja sah die Kasalinsskaja mit einem schrägen Blick an. Sie trat einen Schritt zurück, und über ihr blasses Gesicht zog der Schimmer einer hellen Röte. »Auch die Deutschen sind Menschen.«

Piotr Markow winkte ab. »Genossin . uns nannten sie Untermenschen.«

»Das war im Krieg. Jetzt haben wir Frieden!«

»Wir haben immer Krieg, solange die Welt nicht restlos kommunistisch ist!« Markow wurde ernst. Der Funke des Fanatismus glomm in seinen Augen. Sein Gesicht wurde kantig und brutal. »Erst wenn die rote Fahne die Weltflagge ist, gibt es Ruhe auf der Welt. So lange kämpfen wir.«

»Der ewige Revolutionär!« Worotilow lachte schallend. »Mir ist es immer ein Rätsel geblieben, warum er nicht jeden Abend vor dem Zubettgehen die Internationale singt.«

Übernächtig und noch blasser als sonst kam Dr. Böhler an der Gruppe vorbei und grüßte. Worotilow winkte ihm zu und rief, noch immer lachend: »Wohin, Sie Gliederabschneider?«

»Zu Baracke VIII, Block 4. Dort soll ein leichter Unfall sein.«

»War schon da.« Die Kasalinsskaja nickte ihm zu. »Der Mann hat sich einen Daumen gequetscht. Ich habe ihm Arbeit verordnet.«

»Was haben Sie?«

»Er muß arbeiten! Oder glauben Sie, ich lasse mir soviel Ausfälle gefallen? Die Kerle lassen sich ihren Daumen quetschen, um sich zu drücken! Bei mir nicht! Ich kenne das! Ich war Ärztin in den Bergwerken! Und überhaupt« - sie stemmte die Arme in die Hüften -, »ich bin einem Gefangenen keine Rechenschaft schuldig.«

Dr. Böhler sah zu Dr. Kresin hin. Der blickte in den Himmel, als habe er noch nie Schäfchenwolken gesehen, die langsam herbeitrieben. Worotilow drehte sich angelegentlich eine Zigarette. Piotr Markow grinste unverschämt. Nur Janina Salja sah von einem zum anderen und wandte sich dann ab.

»Das ist ekelhaft«, sagte sie auf russisch. »Ich kann das nicht mit anhören.« Sie faßte Worotilow am Arm. »Komm, bring mich ins Lazarett.«

Willig trottete der Major hinter ihrer schlanken Gestalt her. Ein Bär, der glücklich ist, den Ring durch seine Nase zu fühlen.

Dr. Alexandra Kasalinsskaja sah ihnen mit zusammengekniffenen Augen nach. Um ihre vollen Lippen zuckte ein böses Lächeln. »Kommen Sie«, sagte sie zu Dr. Böhler. »Ich werde den Mann mit dem zerquetschten Daumen doch krankschreiben.«

Dr. Schultheiß hatte von seinem Fenster aus das Eintreffen Jani-nas bemerkt. Er begriff nicht, was dieses biegsame, zarte Mädchen an den Bullen Worotilow band. Eifrig begoß er die Primel in Sell-nows Zimmer, während dieser noch schlief und laut schnarchte. Sellnow hatte die ganze Nacht über am Bett des Oberfähnrichs gesessen und sich heftig mit der Kasalinsskaja gestritten, die plötzlich ins Zimmer schaute und großes Interesse heuchelte. Der Anblick der heißblütigen Frau in einem dünnen Nachtgewand hatte Sellnow dermaßen erregt, daß er seinen Stuhl ergriff und drohte, ihn ihr an den Kopf zu werfen.

»Wie wild«, hatte die Kasalinsskaja lachend gesagt, »wie wild, heroisch und kraftvoll!« Dann war sie gegangen und hinterließ Sellnow in brütender Dumpfheit.